Название | Bangkok Oneway |
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Автор произведения | Andreas Tietjen |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957770660 |
»Sie ist mir ein paar Sekunden zuvorgekommen und hat mich rausgeschmissen!«
Dagmar mischte sich ein:
»Wer ist denn diese Stäffenny?«
Ute sah erst Rainer und dann, nach kurzem Zögern, Dagmar an. Dann fing sie an zu erklären:
»Stefanie Conner ist meine Vorgesetzte beziehungsweise war meine Vorgesetzte.«
»Sie hat ihr den Job ausgespannt, dieses Miststück!«, fügte Rainer hinzu.
»Das stimmt doch gar nicht, Rainer!« Ute wandte sich wieder Dagmar zu.
»Ich war jahrelang Reiseleiterin hier in Thailand. Zunächst waren die Rundreisen noch relativ abenteuerlich. Es wurde in mehr oder weniger schlechten Bussen gefahren, viel Improvisation und Spontaneität war gefordert und auch die Gäste waren darin einbezogen. Ich erinnere mich zu gerne an eine Tour, auf der der Bus nicht anspringen wollte. Hätten wir auf einen Ersatz gewartet, dann wäre uns ein ganzer Tag verloren gegangen, also packten alle Gäste mit an, um den Bus anzuschieben. Nach jedem Stopp wieder aufs Neue. Wir haben da ein richtiges Zeremoniell draus gemacht, mit beschwörendem Einreden, Räucherstäbchen und Blumenschmuck am Kühlergrill. Gegen Ende der Reise hatte unser Hokuspokus tatsächlich Wirkung gezeigt und das Fahrzeug sprang wieder von selbst an. Es war eine tolle Zeit. Dann ging mir der Wandel der Thailandtouristen mehr und mehr auf die Nerven. Ich wechselte in andere Länder wie Indien, Nepal und Indonesien. Als die Stelle der Niederlassungsleiterin Thailand vakant wurde, rief mich die Firma nach Bangkok. Vier Jahre lang saß ich fast ausschließlich in einem klimatisierten Büro und bekam kaum etwas vom Sonnenlicht mit. Deshalb beantragte ich eine Versetzung auf eine andere Stelle irgendwo im Konzern. In den letzten Jahren hatte es Veränderungen in der Firmenzentrale gegeben. Wir sind an die Börse gegangen und all die guten Leute, mit denen ich von Beginn an zu tun hatte, alle, die ich kannte und die mich kannten, sind abgewandert. In leitende Positionen waren Manager vorgedrungen, die vom Reisen und von den Besonderheiten der fremden Länder überhaupt keine Ahnung hatten. Es wurde ständig alles umorganisiert, nur des Umorganisierens wegen. Und dann kommt da auf einmal dieses blondierte Fräulein Conner angewackelt, Beautycase größer als ihr Reisekoffer, und will unserem seit Jahren eingespielten Team erklären, wie man Reiseleitung macht. ›Nennt mich einfach Stäffenny, ganz unkompliziert. Wir repräsentieren Spaß und gute Laune.‹ Dieses Weibsstück hatte mich von Anfang an auf dem Kieker. Erstens, weil ich all das in- und auswendig kannte, was sie erst noch mühsam erlernen musste und zweitens, weil ich beliebt bin. Bei den Kollegen, den Gästen und den Geschäftspartnern. Stefanie Conner ist eine Siebenundzwanzigjährige ohne jegliche Auslandserfahrung und ihr wurde die Leitung von Martan Travel Thailand übertragen. Ich musste ihre Fehler korrigieren und davon gab es viele. Ist doch klar, dass sie damit ein Problem hat! Im ersten halben Jahr hat sie mich noch auf Rundreise geschickt, weil sie zu wenige Leute hatte, aber seitdem lässt sie mich nur noch die Drecksarbeit machen und schikaniert mich, wo sie kann.«
»Du hast keine Protegés mehr in dem Laden«, warf Rainer ein. »Ich hätte sofort das Handtuch geworfen, wenn ich gesehen hätte, was da auf mich zukommt. Du warst ja der Meinung, dass alles wieder wie früher werden würde. Wird es aber nicht, Schätzchen!«
*
Ute hatte Brötchen organisiert, es gab Filterkaffee und echten Käse.
»Wir Expats brauchen hier in Bangkok auf nichts zu verzichten«, hatte sie Dagmar vorgeschwärmt. Expat nannten sich die Ausländer, die in fremden Ländern eine neue Heimat suchten, ohne dort jemals wirklich Wurzeln zu schlagen. Gefrühstückt wurde am Küchentresen in Utes Hotelsuite. Nach einer durchzechten Nacht, zunächst in der Diskothek und später noch in einer Szenebar, die fast ausschließlich von jungen Thailändern der gehobenen Mittelschicht besucht wurde, hatte Dagmar ein weiteres Mal bei Ute auf der Couch übernachtet. Die beiden Frauen unterhielten sich über das Leben in einer exotischen Riesenmetropole, aber natürlich wurde auch wieder das Verschwinden von Dagmars Ehemann Heinz thematisiert.
»Hast du überhaupt schon einmal versucht, ihn auf seinem Handy anzurufen?«, fragte Ute.
Hektisch suchte Dagmar ihr eigenes Mobiltelefon hervor und wählte die Nummer ihres Mannes. Nach einer Automatenansage in thailändischer Sprache wurde auf Englisch mitgeteilt, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar sei.
Ute machte ihrem Schützling ein Angebot.
»Warum ziehst du nicht vorläufig bei mir ein?«, schlug sie vor. »Dein Hotelzimmer wird dich auf Dauer ein Vermögen kosten und für eine gewisse Zeit reichen meine zwei Schlafräume und die große Wohnküche wohl auch für zwei Personen.«
Dagmar zögerte, bevor sie dankbar einwilligte. Sie fühlte sich wohl und sicher in Gegenwart ihrer neuen Freundin, andererseits hatte dieser Schritt etwas Definitives, sich einzurichten auf eine längerfristige Situation. Allzu gerne wollte sie aber daran glauben, dass ihr Heinz plötzlich und guter Dinge wieder auftauchen würde. Martan Travel hatte sich im Bemühen um das Wohlergehen seiner Kunden nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Davon, dass man eine Obhutspflicht seinen Gästen gegenüber hatte, wollte man in der Zentrale Bangkok nichts wissen. Frau Conner war für Dagmar nicht zu sprechen oder ließ sich durch ihre Mitarbeiter verleugnen. Diese wiederum stellten Preisnachlässe für die verpatzte Rundreise und Entschädigungszahlungen in Aussicht, die später mit der deutschen Zentrale ausgehandelt werden müssten. Für die momentane Situation und für jedwede Fürsorge wollte sich niemand zuständig fühlen. Ute war wütend über das Verhalten ihres ehemaligen Arbeitgebers, war aber aufgrund ihres fristlosen Rausschmisses, verbunden mit einem Hausverbot in allen Niederlassungen von Martan Travel Thailand, nicht in der Lage, Entscheidungen herbeizuführen.
»Natürlich haben die keine personellen Kapazitäten mehr für Notfälle«, entrüstete sie sich. »Nachdem so viele Mitarbeiter gekündigt haben.«
*
Gegen halb elf am Vormittag wurde Dagmar telefonisch zu einem Gespräch auf die zuständige Polizeidienststelle gebeten. In einem hellen, holzvertäfelten Büro wurde sie von einem gepflegt aussehenden Offizier in blank gebügelter Uniform zu den Einzelheiten über das Verschwinden ihres Mannes befragt. Es war ein Dolmetscher und Bevollmächtigter der deutschen Botschaft anwesend, der Dagmar ein gewisses Gefühl von Sicherheit vermittelte. Die bekannten Fakten stellten eine mehr als dürftige Grundlage für weitere Nachforschungen dar. Der Polizeibeamte ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er im Grunde genommen nicht den geringsten Fahndungsansatz erkennen konnte.
»Wir werden das Foto Ihres Mannes veröffentlichen und dann auf Hinweise hoffen«, hatte er gesagt. Nach dem etwa halbstündigen Gespräch lud der Botschaftsmitarbeiter Dagmar zu einem Kaffee ein und sprach einige wichtige Aspekte für die weitere Zeit in Thailand an.
»Wir haben für Sie ein Visum für die Dauer der Nachforschungen beantragt«, erklärte er.
Damit konnte sich Dagmar quasi unbefristet in dem Land aufhalten und musste sich nicht auch noch mit Fragen der Aufenthaltserlaubnis herumschlagen. Für eventuelle finanzielle Engpässe wurde ebenso Hilfe in Aussicht gestellt wie für die bevorstehende behördliche Kommunikation mit ihrer Heimatstadt. Der Beamte drückte noch einmal sein Bedauern über die unglückliche Situation aus, dann verabschiedete er sich freundlich.
*
Als Dagmar, wie verabredet, mit ihrem gesamten Gepäck in Utes Hotelappartement erschien, war diese gerade damit beschäftigt, ihrerseits einen Koffer zu packen.
»Was ist los?«, fragte Dagmar verunsichert.
»Mach dir keine Gedanken, ich muss nach Sukhothai fahren. Möglicherweise wartet dort ein Job auf mich. Rainer hat mich gerade angerufen, ich soll übermorgen am frühen Vormittag dort vorsprechen.«
»Nimmst du mich mit?«, fragte Dagmar bittend.
Ute unterbrach ihre Reisevorbereitungen und zögerte einen Moment lang.
»Warum nicht? Wir müssen dort aber übernachten.«
Dagmar