Название | Der Kessel der Götter |
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Автор произведения | Jan Fries |
Жанр | Религия: прочее |
Серия | |
Издательство | Религия: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944180328 |
Ribemont hat aber noch mehr zu bieten als das. Auch um die Palisade herum fand man menschliche Knochen. Wieder finden wir kopflose Körper vor, die aus verschiedenen Ober- und Unterkörpern zusammengesetzt waren, und wiederum waren diese Körper vollständig mit Waffen und Rüstungen ausgestattet. Ihrem Zustand nach zu urteilen ist es wahrscheinlich, dass diese morbiden Dekorationen aufrecht an der Wand lehnten und über Jahre hinweg friedlich vor sich hin verwesten. Innerhalb der Anlage und nahe bei ihren Ecken kommt es noch knochiger. Hier finden wir winzige, offene Einfriedungen, die wie Quadrate aussehen, mit einer Seitenlänge von 2 m. Die kleinen Wälle waren komplett aus Langknochen erbaut worden, die man sorgfältig aufeinander gestapelt hatte. Etwa 2000 von ihnen (von etwa 600 Leuten) wanderten in das Nordgebäude. Die meisten von ihnen stammten von Menschen und einige auch von etwa zwei Dutzend Pferden. Daraus wurde ein kleiner Wall erbaut, der etwa 70–100 cm hoch war. Wahrscheinlich hatten diese frühen „Knochenhäuser” kein Dach. Die Knochenwände umgrenzten einfach einen kleinen, heiligen Ort, wo unbekannte Riten durchgeführt wurden. Innen war der Boden mit menschlichen Beckenknochen gepflastert. Im Zentrum befand sich eine kleine Grube von nur 25 cm Durchmesser, aber fast einen Meter tief, gefüllt mit den zermalmten, verbrannten Überresten von hunderten menschlicher Langknochen. Das Knochenhaus im Südosten enthielt ebenfalls eine Anzahl menschlicher Langknochen. Außerdem wurden Fragmente von Knochen gefunden, die verdächtig danach aussahen, als sei das Mark extrahiert worden. Kannibalismus? Oder vielleicht nur Reinigung? Denk mal darüber nach. Erwäge alle Möglichkeiten. Da die Knochen vorher bereits eine Zeit lang der Verwesung ausgesetzt waren, bevor man sie zerbrochen hatte, ist es wahrscheinlich, dass das Mark nicht mehr essbar war. Alles in allem haben die Ausgrabungen von Ribemont bisher mehr als 15,000 menschliche Knochen zu Tage gefördert. Mehrere tausend Metallobjekte kamen zum Vorschein, unter ihnen etwa 500 Lanzenspitzen. Die Ausgrabungen sind noch nicht beendet. Vielleicht erwarten uns noch viele Überraschungen. Das Ausstellen der Trophäen, Leichen und Knochen fand zu Beginn des ersten Jahrhunderts vor unserer Zeit ein Ende. Ab diesem Zeitpunkt wurde Religion in Ribemont zu einer eher symbolischen, weniger nekrophilen Angelegenheit. Der Glaubenswandel muss gründlich gewesen sein, denn als die Römer kamen, um das Land zu besetzen, fanden sie nichts vor, gegen das sie etwas einzuwenden gehabt hätten (außer den Druiden). Eine große Siedlung entstand um den Komplex herum, der Tempel wurde wieder aufgebaut, und alles war bis ins dritte Jahrhundert hinein voll funktionsfähig.
Abschliessend könnte man sagen, dass die gallischen Tempel, speziell in Nordfrankreich, sich intensiv dem Sammeln und Verehren morbider Trophäen verschrieben hatten. Natürlich wäre es leicht, die vielen Menschenknochen als Beweis für Menschenopfer zu interpretieren. Das könnte sein, muss aber nicht notwendigerweise so gewesen sein. Die Krieger von Ribemont waren vielleicht Opfer, vielleicht wurden aber auch würdige Feinde ausgestellt, die auf dem Schlachtfeld gestorben waren, oder es handelte sich um eine Massenexekution von Kriegsgefangenen oder sogar eine Anzahl stammeseigener Krieger, denen die Ehre zuteil wurde, den Tempel beschützen zu dürfen. Wer weiß schon, ob die verbrannten Knochen in den Gruben Freund oder Feind gehörten? Wer weiß, ob es ein Privileg oder eine Beleidigung für die Toten war, wenn aus ihren Knochen Wälle gebaut wurden? Wessen Knochen bildeten den Boden des Knochenhauses, und wessen Knochen wurden zerschlagen und verbrannt? Sei es, wie es sei, ich möchte darauf hinweisen, dass, ganz egal, wer in diesen Tempeln endete, sie mit Sicherheit Orte des schieren Verfalls waren. Es ist eine Sache, Knochen zur Schau zu stellen; tatsächlich tun das viele Völker überall auf dem Erdball. Die Frage ist nur, wie sie eigentlich das Fleisch entfernen. Die Leiche zu kochen ist eine viel sauberere Sache, als sie einfach verrotten zu lassen. Wenn ein Stier in der Grube von Gournay verweste, muss das ein ziemlich übler Anblick gewesen sein. Kannst Du Dir den Gestank vorstellen, die sich windenden Maden, kannst Du das Summen einer Million von Aasfliegen hören? All das hatte offensichtlich seinen Platz in der Welt der gallischen Religion der La Tène-Zeit. Diese Menschen, ganz egal, ob wir glauben, dass sie Druiden oder eine unbekannte Priesterschaft waren, machten aus ihren heiligen Orten Tempel der Verwesung und des Verfalls. Was ist heilig an der Verwesung? Kannst Du Dir ein totes Tier am Straßenrand ansehen und seine ästhetischen Aspekte schätzen, wie Baudelaire es tat? Es ist nicht einfach ein Totenkult, es ist ein Kult der Verwesung. Ich würde allerdings dafür eintreten, dass das nicht zwangsläufig bedeutet, dass die gallischen Priester morbid oder vom Tod besessen waren.
Für den modernen Menschen ist der Anblick einer Leiche etwas Schreckliches, aber das liegt daran, dass die westlichen Kulturen offenbar große Angst vor dem Tod in allen seinen Erscheinungsformen haben und daher versuchen, ihn aus dem Alltagsleben zu verbannen. Darf ich fragen, wie viele meiner Leser jemals einen Menschen haben sterben sehen? Und wie viele von denen, die Fleisch essen, haben jemals versucht, ein Tier zu töten? Ja, es ist einfacher, einem anderen die Schmutzarbeit zu überlassen. Ich frage mich, ob das eine gesunde Einstellung ist. Die Kelten waren näher am Sterben dran; jedes Kind war daran gewöhnt, zu sehen, wie Tiere geschlachtet wurden, nicht zu reden von den Dingen, die geschahen, wenn Verbrecher hingerichtet wurden oder wenn im Frühling wieder Krieg, Viehraub und nächtliche Angriffe zur Begleichung alter Schulden angesagt waren. Wenn Du ein verwesendes Tier betrachtest, wird es Dir vermutlich schwer fallen, zu akzeptieren, dass Tod und Verfall eine eigene Ästhetik haben. Viele Buddhisten und einige obskure tantrische Sekten meditieren angesichts verwesender Leichen oder besuchen Orte des Todes und Gräber, um sich an solche Erfahrungen zu gewöhnen. Es kann gut sein, dass die Priesterschaft solche Orte des Schreckens benutzte, um ihre eigenen Ängste und Befürchtungen zu besiegen und ein reifes Verständnis für die Tatsache zu entwickeln, dass Materie immer irgendwann zerfällt. Vor diesem Hintergrund könnte ein Tempel des Gestanks und der Verwesung genau der richtige Ort sein, um Ängste und Sorgen zu überwinden. Die Ästhetik des Grauens kann einen kathartischen Effekt haben, der zur Gewöhnung und schliesslich zum Seelenfrieden führt.
Anstatt nun zu Schlussfolgerungen zu kommen, möchte ich Dich bitten, diese Gelegenheit zu nutzen. Schließe die Augen, lass in Deiner Phantasie eine Tempelanlage entstehen und erforsche sie. Kannst Du die mumifizierten Leichen der Krieger oder den Stier in seiner Grube verwesen sehen, ohne dass Dich dieser ungewöhnliche Anblick emotional durcheinander bringt?
Roquepertuse
Zuletzt lass uns einen Blick auf Roquepertuse werfen. Dieser sakrale Distrikt gilt als Musterbeispiel für keltische Tempel, seit er in den 20´er Jahren ohne allzuviel Sorgfalt freigelegt wurde. Das Museum von Marseille hat die Möchtegern-Rekonstruktion stolz ausgestellt; es handelt sich im Wesentlichen um ein paar Steinpfeiler mit Nischen für Schädel, Teile von Statuen, die unbekannte Götter darstellen und einen sitzenden Vogel, der auf mehr unterschiedliche Arten interpretiert worden ist, als gut für ihn war. Das Ergebnis ist zwar eindrucksvoll (s. Illustration), lässt aber eine Menge Fragen offen. Ausgrabungen in den frühen 90´ern von B. Lescure haben ergeben, dass Roquepertuse sehr viel geheimnisvoller war. Zunächst einmal war die heilige Anlage kein abgeschiedener, isolierter Ort, sondern lag direkt neben einer Siedlung. Sie war auch viel größer als bisher angenommen. Wo die frühere Archäologie nur einen kleinen heiligen Bezirk gesehen hat, geht die moderne Forschung von einem so großen Bereich aus, dass sich die Frage stellt, ob tatsächlich der ganze Komplex sakral war. Die Steinpfeiler, die im Museum mit 70 cm Abstand aufgestellt sind, waren tatsächlich