Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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Abwesenheit sogar pro forma zum Geschäftsführer machte. Die traurige Tatsache aber war, dass Johnsons Büro in Camden/New Jersey immer mehr Staub ansetzte.

      Seine Mitarbeiter hielt es nicht davon ab, auch weiterhin exklusive Deals mit den größten Stars herauszuhandeln: dem Geigen-Virtuosen Fritz Kreisler, dem irischen Tenor John Mc­Cormack oder den Sopranistinnen Alma Gluck, Nellie Melba und Luisa Tetrazzini. Im Vergleich zu Victors geballter Star-Power konnte Columbia Records nicht mithalten und überließ das Feld der Hochkultur dem unbestrittenen Platzhirschen.

      Edward Easton, nun schon seit 20 Jahren in diesem Geschäft, steuerte ebenfalls auf seine persönliche Krise zu. Da Victor auf allen Märkten erfolgreicher war, suchte er nach Alternativen und kam unglücklicherweise wieder auf seine Idee zurück, allen Behörden in Washington ein Diktiergerät zu verkaufen. Das Timing hätte nicht katastrophaler sein können. Die wachsende Geldmenge, die notwendig war, um Amerikas Wachstum zu finanzieren, war durch neue Goldfunde in Alaska, Colorado und Südafrika ermöglicht worden, gleichzeitig aber auch durch die Tatsache, dass europäische Großbanken Goldbestände in die USA verlagerten. Als die Goldreserven immer dünner wurden, warfen die gleichen Banken das Ruder wieder um, erhöhten den Zinssatz – und schon floss das Gold wieder Richtung Europa. Zudem hatte man nach dem letzten Finanzcrash von 1893 die Banken zwar dazu verdonnert, höhere Cash-Reserven zu halten, hatte bei dieser Auflage aber nicht die Trustfonds miteinbezogen. Mit dem Resultat, dass sich die Anzahl der Beteiligungsgesellschaften, die nur zwei- bis dreiprozentige Cash-Reserven halten mussten, in kürzester Zeit vervielfacht hatte. Als im Oktober 1907 die Aktienmärkte um 50 Prozent abstürzten, zogen verängstigte Anleger ihr Geld nicht zuletzt aus diesen Anlagemodellen zurück. Viele Banken wurden zahlungsunfähig und mussten Insolvenz anmelden.

      Auch wenn die Regierung dem Bankensektor mit Bailouts unter die Arme griff, so hinterließ die »Panik von 1907« doch ihre Spuren. Easton hatte sich mit einigen Investitionen die Finger verbrannt und musste nun miterleben, dass Columbia mit Cashflow-Problemen zu kämpfen hatte, die bislang unvorstellbar gewesen waren. Da seine Hausbanken plötzlich mit Krediten knapsten, musste er sich von einigen Hundert Mitarbeitern in New York und Washington trennen. Danach, erinnerte sich seine Tochter, »überkam ihn eine tiefe Melancholie. Er konnte nicht mehr lächeln und sprach auch kaum noch, wenn er an langen Abenden zuhause saß. Stundenlang starrte er nur in die Luft.« Von Erschöpfung und Versagen gezeichnet, versank der Columbia-Boss in eine Depression, von der er sich nie wieder erholen sollte.

      Am 23. Januar bestieg Easton, in Begleitung seines langjährigen Vertrauten William Morse, den Morgenzug nach Manhattan. Als Morse bemerkte, dass Easton nicht aus dem Speisewagen zurückkam, schwante ihm Böses. Er bat den Zugführer, den Zug anzuhalten. Man fand Easton zwischen den Gleisen – lebend, aber völlig starr und betäubt. Er hatte sich das Leben zu nehmen versucht.

      Die Rezession traf aber jeden – selbst Victor, die einen Umsatzrückgang von 50 Prozent zu beklagen hatten. Alle Plattenfirmen suchten sich mit der gleichen Strategie gegen die Krise zu wappnen: Man senkte die Preise, trennte sich von wenig erfolgreichen Produkten und konzentrierte alle Anstrengungen auf Bereiche, die noch einträglich waren. Columbia etwa trennte sich endlich von seinen Zylinderwalzen, stellte mit dem »Grafonola« eine krasse Victrola-Kopie vor und produzierte nun auch zweiseitige Schallplatten.

      Drei Jahre später war die Wirtschaftskrise überwunden – und Victor durfte 1910 mit 107000 Gramophonen einen neuen Verkaufsrekord feiern. Mit »The Voice of Victor« etablierte man eine eigene Händlerzeitung, in der man den Handel über neue Produkte informierte oder verkaufsfördernde Maßnahmen anregte. Betrat einer ihrer Vertreter ein Geschäft, packte er zunächst einmal kostenlose Victor-Logos und elegante Laden-Displays aus.

      Edward Easton kam noch einmal an seinen Arbeitsplatz zurück, musste aber gleich einen weiteren Tiefschlag verkraften, als sein geschätzter Produktionschef Thomas Macdonald im Alter von 52 Jahren unerwartet verstarb. Nachdem er jahrelang über diesen Schritt gebrütet hatte, raffte er sich endlich auf und ließ Thomas Edison eine Nachricht zukommen: Columbia stand zum Verkauf.

      »Warum wollt ihr uns euer Geschäft verkaufen, wenn es so blendend läuft, wie ihr immer behauptet?«, fragte Edisons Labelchef Frank Dyer. Easton entgegnete, dass er komplett aussteigen wolle. Er habe das Interesse verloren – und außerdem seien seine liebsten Arbeitskollegen bereits tot. Auch wenn Dyer liebend gerne Columbias Patente übernommen hätte, so verriet doch ein Memo an Edison, dass Columbia in der Branche wenig Freunde hatte: »Es gab immer eine gewisse Antipathie gegen Columbia, vor allem aber gegen Mr. Easton persönlich, weil er als skrupellos und unberechenbar gilt«, schrieb er. »Ich weiß, dass Mr. Eldridge Johnson genau die gleiche Einstellung vertritt wie ich.«

      Auch wenn man das Angebot ablehnte, so führte Eastons Avance doch zumindest dazu, sich im Edison-Camp über die eigene Positionierung Gedanken zu machen. 1913 stellte man die vermeintlich revolutionäre »Edison Diamond Disc« vor, die allerdings immer noch mit senkrecht geschnittenen Rillen arbeitete. Um das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die außergewöhnliche Tonqualität zu richten, arrangierte man mit großem Werbeaufwand sogenannte »Tone Tests«, die in Theatern und Kirchen stattfanden. Das Abspielgerät und ein Sänger standen hinter einem Vorhang – und die Zuschauer wurden aufgefordert, zwischen Original und Kopie zu unterscheiden. Die Veranstaltung war natürlich ein schlechter Scherz, da die Sänger vorab instruiert worden waren, sich stimmlich möglichst am Klang des Plattenspielers zu orientieren.

      Doch Edisons primäre Achillesferse war und blieb die Musik. Eigensinnig, unsensibel und immer in der Furcht lebend, seine Patente könnten gestohlen werden, mischte er sich selbst in die A&R-Arbeit ein. Von seinen europäischen Partnern wurden ihm vorzügliche Opernaufnahmen angeboten, doch seine Abneigung gegen diese »Opern-Perverslinge« führte dazu, dass viele dieser Aufnahmen nie in Amerika veröffentlich wurden. Der Geiger Samuel Gardner traf den Nagel auf den Punkt, als er bemerkte, dass Edisons Taubheit »keinen Einfluss auf seine Musikalität gehabt habe – weil es diese Musikalität nie gab«.

      Während Edison sein Musikgeschäft noch krampfhaft zu verteidigen suchte, ging es mit Edward Easton rapide bergab. 1915 starb er im Alter von 59 Jahren – ein unglücklicher Millionär, der nie den Respekt seiner Branche gewonnen hatte. Auch wenn ihn die Konkurrenz als Haifisch beschrieb, war er doch verantwortlich für einige Attribute, die dem Musikgeschäft nie mehr abhanden kommen sollten. Seine Neigung, selbst bei geringfügigen Differenzen gleich mit dem Anwalt zu drohen, zählte mit dazu.

      Als in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach, war Eldridge Johnson am Ziel seiner Träume. 1915 konnte er mit Alma Glucks »Carry Me Back to Old Virginnny« erstmals die Millionen-Schallmauer durchbrechen und durfte sich 1917 über eine halbe Million »Victrolas« und ein Repertoire mit 7000 verschiedenen Tonträger freuen. Doch als sich Amerika Ende 1917 am Krieg beteiligte, kamen mit dem Erfolg auch Verpflichtungen. Johnson musste einen großen Teil seiner Fertigungshallen zur Produktion von Gewehren und Doppeldeckern zur Verfügung stellen. Anfang 1918 waren sie aufgrund von Kohle-Engpässen sogar elf Wochen lang gezwungen, die Produktion jeweils Montags komplett zu stoppen. In diesem schwierigen Jahr konnten nur noch 21 Millionen Platten gepresst werden – ein Umsatzrückgang von 40 Prozent. Zum Glück war Amerikas militärisches Engagement nur von kurzer Dauer, sodass bereits 1919 wieder 474000 Plattenspieler gebaut wurden. 1920 verzeichnete die Firma mit 560000 Victrolas und 33,4 Millionen Tonträgern sogar das zweitbeste Resultat ihrer Geschichte – eine Bilanz, die bereits ein Jahr später mit der unfassbaren Zahl von 55 Millionen verkaufter Schallplatten erneut übertroffen wurde.

      Die »Talking Machine«-Industrie hatte die Kinderkrankheiten abgeschüttelt und die waagerechte Schallplatte zu ihrem Standard gekürt. Eldridge Johnson, inzwischen einer der reichsten Amerikaner, konstatierte allerdings auch, »dass Wachstum heutzutage nicht mehr selbstverständlich ist. Der Acker ist be­stellt, der Boden nicht mehr jungfräulich. Niemand sollte er­warten, noch auf ganze Klumpen von Gold zu stoßen. Die große Zeit der Goldgräber ist vorbei.«

      Es war wohl auch kein Zufall, dass die zwei großen Visionäre der Branche – Emile Berliner und Leon Douglass – nun auch ihre ersten exzentrischen Pensionäre wurden. Berliner, der sein beschauliches Leben durchaus zu schätzen wusste, sollte sich nur noch einmal als Erfinder versuchen. Wieder ging es um eine Maschine, die sich durch eine