Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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am 1. März 1901 vor Gericht erschien, sprach Eldridge Johnson den Richter direkt an und lieferte einen flammenden Appell. Es gelang ihm, einen überzeugendem Einblick in die dunklen Machenschaften seiner Widersacher zu geben. Als er den Gerichtssaal verließ, war jedenfalls seine juristische Position so stark wie nie. Ihm blieb zwar verboten, das »Gramophone«-Trademark in den USA zu benutzen, doch er konnte all seine Produkte ohne Beschränkungen verkaufen.

      Johnsons nächster Schritt bestand darin, mit Berliner eine neue, dauerhafte Vereinbarung zu treffen. Ein komplexer, aber doch fairer Vertrag wurde geschlossen, durch den Berliners Patente auf die »Consolidated Talking Machine Company« überschrieben wurden, die sich im Anschluss in »Victor Talking Machine« umbenannte. Johnsons neue Fabrik arbeitete rund um die Uhr und lieferte bereits im ersten Jahr 7570 Grammophone aus.

      Doch dann kam Philip Mauros nächster Paukenschlag. Jahre zuvor hatte ein Laufbursche namens Joseph Jones einen Sommer lang in Berliners geheimem Labor gearbeitet. Nachdem er beobachtet hatte, welche Probleme Berliner mit seinen Master-Scheiben aus Zink hatte, glaubte der junge Mann, in Wachs das bessere Trägermaterial gefunden zu haben. Im November 1897 hatte er einen Patentantrag gestellt, der dann aber unbearbeitet im Patentamt vor sich hinschlummerte. Bis Philip Mauro auf der Bildfläche erschien.

      Joseph Jones hatte sich in der Zwischenzeit mit einem zwielichtigen Entrepreneur namens Albert Armstrong zusammengetan und die kleine Firma »Standard Talking Machine« gegründet, die Abspielgeräte mit zwei Lautsprechern produzierte und waagerecht abspielende Tonträger benutzte, obwohl sie dafür keine Lizenz hatte. Natürlich hatte Berliner geklagt, doch mit Mauros juristischer Hilfestellung hatten Jones und Armstrong ihre Firma abgemeldet, um gleich eine neue zu gründen. Mauro hatte sich derweil um Jones’ Patentanmeldung gekümmert. Um an dem explosionsartig wachsenden Markt für Schall­­platten partizipieren zu können, hatten sie ein kompliziertes Firmengeflecht aufgebaut, über das Columbia nun ebenfalls die waagrechten Tonträger verkaufte. Die Platten zierte ein Logo mit dem Namen »Climax«, um pro forma zu demonstrieren, dass Columbia diese Platten nicht produzierte, sondern nur vertrieb.

      Dank Mauros juristischer Finesse wurde Jones am 10. Dezember 1901 das Patent tatsächlich erteilt. Easton und Mauro jubilierten: Mit Hilfe von Jones’ Patent konnte nun auch Columbia ganz legal waagrechte Tonträger mit ihrem Logo verkaufen. Johnson und Douglass reagierten mit einer nicht minder zündenden Idee: Nachdem sie gehört hatten, dass sich die Hersteller der getürkten Tonträger ausgenutzt fühlten, kaufte Johnson sie auf und produzierte nun Platten mit seinem »Viktor Talking Machine«-Logo. Als Easton eine dieser Platten in die Hand bekam, ging er durch die Decke und bestellte umgehend Mauro ein – genau wie es sich Johnson und Douglass vorgestellt hatten. In langwierigen Verhandlungen kam man zu einem Kompromiss: Victor verkaufte die Fabrik für die ursprünglichen 10000 Dollar an Columbia, während Columbia samt aller Tochterfirmen zustimmte, sämtliche Verfahren gegen Viktor einzustellen.

      Am 8. Dezember 1903 endete das vierjährige Drama mit einem gegenseitigen Lizenzabkommen: Victor und Columbia warfen ihre Patente in einen Topf und etablierten damit in punkto waagrecht spielender Platte praktisch ein Monopol. Edward Easton war besonders glücklich mit dem Resultat: Sein Erzfeind Thomas Edison würde sich an dem neuen Format nicht beteiligen können. Eldridge Johnson hatte ebenfalls Grund zur Freude: Er, der früher defekte Nähmaschinen repariert hatte, war nun in einer beneidenswerten Situation, da ihm letztlich die Früchte von Berliners Erfindung in den Schoß fielen.

      Selbst Emile Berliner, der große Verlierer der Saga, konnte mit dem Ausgang durchaus zufrieden sein. Angesichts der schlitzohrigen Geschäftsleute, mit denen er sich plötzlich konfrontiert sah, konnte er fast schon froh sein, nicht alles verspielt zu haben. Eldridge Johnson würde das Gramophone bauen, das sich Berliner ausgedacht hatte, dafür aber dem Erfinder bis an sein Lebensende Tantiemen zahlen. Um auch noch diesen Stein aus dem Weg zu räumen, kaufte Berliner Frank Seamans US-Firma für 135000 Dollar, um sie dann endgültig zu schließen.

      Auch in seinem Privatleben war der sensible Berliner an einer Tragödie vorbeigeschrammt. Nachdem er den Verdacht geschöpft hatte, dass Bakterien in der unpasteurisierten Milch für die Darmprobleme seiner Tochter verantwortlich waren, hatte er sich von den beratenden Ärzten getrennt und kochte die Milch für seine Tochter nun zunächst ab. Langsam aber sicher erholte sich das Kind und legte an Gewicht zu. An ihrem ersten Geburtstag im April 1901 wog sie fast 20 Pfund.

      Das persönliche Fegefeuer hatte Berliners Prioritäten grundlegend verändert. Fortan verwendete er einen Großteil seiner Tantiemen für Flugblätter zur Milch-Hygiene, die er in amerikanischen Schulen verteilen ließ. Der Mann, der die Schallplatte erfunden hatte, sprach nun bei Gesundheitsverbänden und Politikern vor und wurde das Sprachrohr für die Sicherheit der Schulmilch.

      Das Goldene Zeitalter der Erfinder war an ein Ende gekommen. Thomas Edison und Emile Berliner waren von schnelleren, smarteren Akteuren abgehängt worden, doch die noch junge Schallplattenindustrie war gesund und begann nun selbstbewusst auf ihren Beinen zu stehen. Es waren Anwälte und Vertriebsleute, verstärkt aber auch Musiker, die fortan das Kommando übernehmen sollten.

       3

       HIS MASTER’S VOICE

      Die Welt rückte näher zusammen, die wachsenden Metropolen lieferten den urbanen Humus – und die Plattenkäufer schickten ihre Ohren auf Reisen. Die US-Kultur war seit jeher durch Immigration geprägt worden, aber das neue Jahrhundert erlebte einen Ansturm unbekannten Ausmaßes: neun Millionen allein in den ersten zehn Jahres des 20. Jahrhunderts. Der rasend wachsende Schmelztiegel in und um New York erwies sich dabei als idealer Nährboden für ethnische Satire.

      Columbia hatte in der jiddischen Comedy die Nase vorn, vor allem mit »Cohen on the Telephone« – einer Sketch-Serie über einen jüdischen Einwanderer, der sich am Telefon mit einem haarsträubenden Englisch verständlich zu machen versucht. Es gab auch reichlich amerikanische Akzente, über die man sich lustig machen konnte – etwa den typischen Redneck aus dem Süden der USA. 1902 hatte beispielsweise Len Spencer einen ausgemachten Hit mit »Arkansas Traveler« landen können.

      Die mit Abstand am meisten persiflierte Bevölkerungsgruppe aber waren jene Leute, die man damals als »Negro« bezeichnete. Zur Jahrhundertwende war das Minstrel-Konzept von (Bert) Williams und (George) Walker auf den Kopf gestellt worden: Es waren zwei farbige Männer, die sich als weiße Minstrels ausgaben, die wiederum schwarze Varietésänger imitierten. Mit ihrem Programm »Two Real Coons« waren sie jahrelang durch die schwarzen Vaudeville-Theater getourt und schließlich auf dem Broadway gelandet. Victor und Columbia boten ihnen an, Songs aus ihrem Programm auf Tonträgern festzuhalten. »Weiße Komiker mit schwarzen Gesichtern machten sich einen Spaß daraus, einen dunkelhäutigen Charakter zu spielen«, erklärte Walker 1906. »Mit dem Resultat, dass sich nun farbige Performer bemüßigt fühlten, weiße Performer mit ihren angemalten Gesichtern zu imitieren. Nichts war absurder als die Vorstellung, dass sich ein Farbiger selbst porträtierte, indem er sich durch den Kakao zog.«

      Im Geist der grenzenlosen Tortenschlacht übernahmen auch weiße Songschreiber die »Coon Song«-Tradition aus dem farbigen Vaudeville. »I Wants A Ping Pong Man« etwa machte sich über die neue Mode des Tischtennisspielens lustig, die gerade aus England nach Amerika schwappte, lebte aber nicht zuletzt von den Anzüglichkeiten, die das schwarze Dienstmädchen zum Besten gibt. Populär war 1899 auch Scott Joplins »Maple Leaf Rag«, doch all die modischen Eintagsfliegen wurden von den großen Plattenfirmen gar nicht zur Kenntnis genommen. Deren klassisch trainiertes Personal, das in den »Talking Machines« einen Luxusartikel für den gehobenen Mittelstand sah, konnte sich gar nicht vorstellen, dass musikalische Kreativität auch außerhalb der Großstädte stattfand.

      Wie Emile Berliner richtig vorhergesagt hatte, sollte sich die Oper als größter Umsatzträger erweisen. 1902 schiffte sich Fred Gaisberg nach Italien ein, um dort einen 28-jährigen Tenor zu begutachten, der in europäischen Opernhäusern für Begeisterung sorgte: Enrico Caruso. In einem Mailänder Hotelzimmer produzierte Gaisberg mit ihm historische Aufnahmen, die noch immer zu den größten Artefakten des frühen Musikgeschäfts zählen.

      Mit Caruso hatte Victor den ersten überdimensionalen Star gefunden, um das