Название | Cowboys & Indies |
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Автор произведения | Gareth Murphy |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871612 |
Auch wenn sich Douglass nie von seinem Nervenzusammenbruch erholte und allgemein als unberechenbar galt, behielt ihn Johnson als nominellen Vorstandsvorsitzenden in der Firma. Da sein Honorar weiter gezahlt wurde, war Douglass in der glücklichen Lage, nun sorgenfrei seinen Kindheitsträumen zu frönen. Mit seiner Familie zog er nach Kalifornien, kaufte sich einen 52 Zimmer-Palast und baute ein riesiges Fenster in seinen Pool, um so Unterwasseraufnahmen drehen zu können. Auch in seinem hauseigenen Labor beschäftigte er sich mit den technischen Grundlagen des Films und ließ sich 1916 eine Technik patentieren, die später von Cecil B. DeMille gekauft wurde und de facto der Vorläufer von »Technicolor« war. Er schrieb einen surrealistischen Roman (»Ajax Defied The Lightning«), filmte vor Hawaii tropische Fische und drehte mit »Cupid Angling« den ersten amerikanischen Farbfilm.
Die Gründungsväter der Musikindustrie konnten inzwischen auf ihr Leben zurückblicken und mit Stolz feststellen, dass sie einen bemerkenswerten Beitrag zur modernen Kulturgeschichte geleistet hatten. Als klassisch geschulter Musiker hatte Emile Berliner eine Firma etabliert, die fest auf dem Boden europäischer Kultur stand – ein Attribut, das Columbia und Edison gänzlich abging. Leon Douglass hatte es verstanden, daraus ein rundes Paket zu schnüren und auch die Mittelschicht mit den Errungenschaften der Hochkultur zu beglücken. Johnson wiederum war der archetypische Boss, der die Geschicke der Firma mit patriarchalischer Güte lenkte: loyal, diszipliniert, aber immer auch alert und tatendurstig. Es war ihren Leistungen zu verdanken, dass die Welt die Schallplatte in ihr Herz schloss. Selbst als Douglass und Berliner später nur noch ihren Kindheitsträumen nachhingen und in herrschaftlichen Palästen residierten, so nahmen sie damit zumindest noch das Leben künftiger Musikmogule vorweg. Sie waren die Pioniere. Praktisch alles, was sie erfunden hatten, sollte in den kommenden Jahrzehnten nur noch modifiziert werden.
4
DIE GROSSE MIGRATION
Jede Epoche trägt die Träume der nächsten Generation bereits in ihrer Brust. Als sich das junge Jahrhundert den »Roaring Twenties« näherte, waren die Früchte der viktorianischen Innovationen allerorts sichtbar. Junge Menschen wuchsen in einer Welt auf, die mit den Pferdekutschen und straff geschnürten Korsetten ihrer Eltern nichts mehr gemein hatte. Es gab elektrisches Licht, elegant gestaltete Firmenschilder, Telefone, Aufzüge und Automobile. Die Städte waren größer geworden, lauter, aufregender und schneller.
Die Viktorianer hatten die großen Veränderungen erträumt, dabei aber die Rechnung ohne den anstehenden Krieg gemacht. Als die Infanteristen mit fehlenden Gliedmaßen und zerstörten Illusionen heimkehrten, begannen viele junge Amerikaner damit, die alten, europäischen Werte infrage zu stellen, die nicht zuletzt von Firmen wie »Victor Talking Machine« so erfolgreich tradiert worden waren.
Der Konzern hatte innerhalb weniger Jahre ein unvorstellbares Wachstum vorgelegt, war inzwischen aber auch so schwerfällig und selbstgefällig, dass er den Draht zur jungen Generation verloren hatte. Das viktorianische Faible für Klassische Musik, Marching Bands und Vaudeville hatte einer neuen Faszination Platz gemacht – dem Tanzen. Kulturelle Impulse kamen nicht mehr aus dem Opernhaus, sondern direkt von der Straße. Und wie immer gab es Plattenproduzenten, die die Zeichen der Zeit schneller erkannten als andere.
Bereits 1911 hatte mit »Alexander’s Ragtime Band« ein völlig untypischer Ohrwurm Wellen geschlagen und sich zum ersten globalen Hit gemausert. Verschiedene Versionen von verschiedenen Interpreten hatten mehr als eine Million Exemplare verkauft. Obwohl sich »Alexander’s Ragtime Band« noch am traditionellen Rhythmus der Marching Bands orientierte, transportierte er doch eine positive Energie, die das Publikum in ungeahnter Weise elektrisierte. Victor Produzenten realisierten zwar, dass ihre Kunden nach tanzbarer Ware verlangten, doch das Heißeste, was sie ihnen anbieten konnten, waren Tango und Foxtrott.
Der reduzierte Schiffsverkehr und die Einberufung von Millionen europäischer Männer hatten nach 1914 dazu geführt, dass die amerikanischen Einwanderungszahlen drastisch zurückgegangen waren. Ein wachsender Isolationismus schlug sich im »Immigration Act« von 1917 nieder, der in der amerikanischen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurde. Doch als sich die Wirtschaft wieder belebte, schlug sich der mangelnde Nachschub unmittelbar in einem akuten Arbeitskräftemangel nieder. Das Phänomen überschnitt sich mit einem anderen gesellschaftlichen Umbruch, der im amerikanischen Süden zu beobachten war: Der latente Rassismus und eine wachsende ländliche Armut hatten dafür gesorgt, dass Millionen von Farbigen in die nordamerikanischen Städte flüchteten.
Der Krieg verstärkte damit einen existenten Prozess, der als »The Great Migration« bekannt war, nun aber neue Dimensionen annahm. 1910 lebten noch drei von vier Farbigen auf einer Farm, neun von zehn lebten in den Südstaaten. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts zogen zwei Millionen von ihnen nordwärts, 400000 allein zwischen 1916 und 1918. Die größte Konzentration farbiger Migranten erlebte Harlem, wo sich 200000 ehemalige Sklaven in einer Nachbarschaft niederließen, die 15 Jahre zuvor praktisch noch weiß war.
Chicago war der zweitgrößte Magnet, nicht zuletzt ausgelöst durch The Chicago Defender – einer Zeitung, die primär in Mississippi, Virginia, New Orleans, Arkansas, Oklahoma, Texas und Georgia vertrieben wurde. Der andere Trend, der Chicagos Profil verstärkt prägen sollte, war die Prohibition. Da Unmengen kanadischen Alkohols in das Schwarzmarkt-Mekka jenseits der Grenze strömten, wurde Chicago die neue Boomtown, die in der öffentlichen Wahrnehmung bald nur noch mit Speakeasys und Gangstern gleichgesetzt wurde.
Die melancholischen Erinnerungen an den Süden und seine warmen Sepia-Töne fanden ihr dynamisches Pendant in den grellen Lichtern der Großstadt. Es war eine explosive Mixtur, aus der sich schon bald eine Vielzahl faszinierender Hybride entwickeln sollte.
Und die schwarze Musik aus dem Süden drängte nicht nur in die Dancehalls, sondern auch in die Büros der Musikverleger. Der erste Pionier, der schwarze Musik in die Städte des Nordens brachte, war W. C. Handy, ein farbiger Komponist und Bandleader, der seit einem Jahrzehnt auch im Musikgeschäft arbeitete.
In Handys Jugend wurde Blues überwiegend noch von Blasorchestern gespielt, die sich an den Marching Bands der viktorianischen Ära orientierten. Ende des 19. Jahrhunderts hatten viele Städte, oft sogar größere Firmen, ihre eigene Blaskapelle, die bei Festivitäten, Hochzeiten oder Beerdigungen aufspielte. Die neue Rag-Spielart entwickelte sich, als nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 in New Orleans die Instrumente der Militärkapellen unters Volk gebracht wurden. Da die schwarzen Marching Bands nicht vom Notenblatt spielten und gleichzeitig die Offbeat-Rhythmen ihrer afrikanischen Tradition integrierten, mutierte das kerzengerade Umpta der weißen Märsche nun in einen diffuseren, vielbeinigen Groove. Der Terminus »Ragtime« entstand, als man für diese lockere, ragged Art des Spielens einen Namen suchte.
Handy war der Erste, der das Wesen der »Drei-Akkorde-Harmonik« systematisch unter die Lupe nahm. Er kam zu dem Resultat, dass der schwammig-eiernde Effekt, den man später »blue note« nannte, zunächst nur von einer spezifischen Bevölkerungsschicht kultiviert wurde: Es waren die farbigen »Hilfsarbeiter, Honkytonk-Pianisten, Vagabunden und andere Mitglieder der unteren, aber unbeugsamen Gesellschaftsschicht ... Beim Singen achtete der einfache und ungeschulte Negro darauf, dass er die dritte und siebte Note der Tonleiter dehnte und so die Unterschiede zwischen Dur und Moll verwischte. Es machte keinen Unterschied, ob er sich nun auf den Baumwollfeldern im Mississippi-Delta befand oder auf den Deichen bei St. Louis.«
Im Jahre 1912 schrieb Handy einen Song, der im boomenden Markt für Notenblätter ein immenser Erfolg wurde. Er hieß »Memphis Blues«, war der erste überregionale und auf Notenblättern verbreitete 12-taktige Blues und gilt als Inspiration für den Foxtrott, der 1914 von dem New Yorker Tanz-Duo Vernon und Irene Castle kreiert wurde. Handy hatte New York im Sommer des Jahres als Bandleader besucht, als »der Tango in aller Munde war«. Er erinnerte sich, »wie ich eines Abends die Tänzer foppte, indem ich mit einem Tango-Intro anfing, dann aber plötzlich auf einen schmutzigen Blues umsattelte. Meine Augen glitten ängstlich über den Tanzboden, doch dann schien der Blitz einzuschlagen und direkt in die Füße der Tanzenden