Название | Cowboys & Indies |
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Автор произведения | Gareth Murphy |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871612 |
Jehuda Otto Heinemann war 1877 als sechstes von 16 Kindern in Lüneburg geboren worden. Mit 37 Jahren war er der Geschäftsführer der Carl Lindström AG, einer der größten Plattenfirmen in Europa. Zur Firma mit Sitz in Berlin gehörten ein riesiges Presswerk sowie drei große Label: Odeon, Parlophon und Beka. Die Fabrik in Berlin beschäftigte mehrere Tausend Angestellte und presste täglich 100000 Platten. Mit Vertriebsnetzen in Frankreich, England, Österreich und Holland war Carl Lindström eine der ersten »Majors« auf dem europäischen Kontinent. Mit »Disco National« hatte man gerade auch eine Dependance in Argentinien eröffnet, wo nun die ersten Aufnahmen der Tango-Legende Carlos Gardel produziert wurden.
Im Sommer 1914 segelte Heinemann nach New York, um sich vor Ort mit den Eigenheiten des amerikanischen Markts vertraut zu machen. Das Schiff hatte kaum abgelegt, als der Krieg ausbrach. Heinemann wurde kurzzeitig im englischen Hafen Southampton interniert, bevor er seine Reise nach Amerika fortsetzen konnte. Durch die verschiedensten Beistandspakte ausgelöst, sahen sich immer mehr Nationen gezwungen, in den Krieg einzutreten. Grenzen wurden geschlossen, Telegrafenkabel gekappt und die Schiffsverbindungen ein gefährliches Vabanque-Spiel. Heinemann begann es zu dämmern, dass er in Amerika festsaß und wohl oder übel Geld verdienen musste.
Auch wenn er bei Null anfangen musste, so brachte er doch reichhaltige Erfahrungen mit und hatte sich auf seinem ersten US-Trip 1909 auch bereits mit dem amerikanischen Markt vertraut gemacht. Er meldete eine Import-Export-Firma – die »Otto Heinemann Phonograph Supply Company« – in New York an und gründete eine kleine Manufaktur in Ohio. Sein Geschäftsmodell sah vor, Motoren für den blühenden Markt der unabhängigen kleinen Phonografen-Firmen zu bauen, die in den Kriegsjahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Der Plan ging auf.
Auch mit der Plattenproduktion liebäugelte Heinemann, wollte aber zunächst einmal abwarten, bis sich der Staub der Firmengründungen gelegt hatte. 1918 kaufte er mit der »Rex Talking Machine Corporation« eine insolvente Firma und engagierte ihren musikalischen Direktor Fred Hager. Es war bezeichnend für Heinemanns Faszination mit der Kultur der amerikanischen Ureinwohner, dass ein Federschmuck-tragender Indianer das Logo seines Okeh-Labels zierte.
1920 besuchte er erstmals wieder Berlin und war schockiert von der beginnenden Währungskrise, von Kriegsschulden, Hungersnöten und politischer Unruhe. Nach sechs aufregenden Jahren als Firmengründer in Amerika konnte er es nicht abwarten, endlich wieder nach New York zu kommen, wo er ungeduldig das Urteil im Prozess »Starr Piano Company vs. Victor« erwartete. Mit einer Geldspritze seines früheren Arbeitgebers Carl Lindström etablierte er Okeh-Niederlassungen in Chicago, San Francisco, Atlanta, Seattle und Toronto.
Mit freiem Zugriff auf das Lindström-Repertoire begann er mit dem Import von Schallplatten für deutsche, schwedische, tschechische und jüdische Minderheiten. Doch die Beschäftigung mit diesen musikalischen Nischen führte Heinemann und sein Team schon bald zu zwei simplen Fragen: War die farbige Bevölkerung nicht die größte und potenziell profitabelste Minderheit in den USA? Und wenn ja: Warum sollte die farbige Bevölkerung anders ticken als die Minderheiten, die Okeh bereits bediente?
Genaugenommen stammte die erste Frage von dem farbigen Komponisten und Theaterproduzenten Perry Bradford, der sich in der farbigen Vaudeville-Szene einen Namen gemacht hatte. Im Februar 1920 war er ins Okeh-Studio in New Yorks West 45th Street marschiert, um sich dort mit Fred Hager auszutauschen. Er stellte ein paar Songs vor, die er für die 36-jährige Sängerin Mamie Smith geschrieben hatte, die gerade in der Vaudeville-Produktion »The Maid of Harlem« die Hauptrolle gespielt hatte. »Es gibt 14 Millionen Negros in diesem wundervollen Land«, sagte Bradford. »Natürlich werden sie die Platten kaufen, die von einem der Ihren aufgenommen wurden. Wir sind schließlich die Einzigen, die das Zeug haben, heiße Jazz-Songs zu interpretieren, die gerade frisch aus der Backröhre kommen.«
Am 10. August 1920 organisierte Okeh eine Session, die federführend von Tontechniker Ralph Peer betreut wurde. Der Song, von Mamie Smith stimmgewaltig eingesungen, hieß »Crazy Blues« und hatte eine gefällige Melodie, die sich über einen 12-taktigen Blues in der Tradition der New Orleans-Blaskapellen schmiegte. Die Aufnahme entpuppte sich als Hit und verkaufte rund eine Million Exemplare – von denen nicht wenige auch in weißen Haushalten landeten. Hager und Heinemann wussten, dass sie auf eine Goldader gestoßen waren. Umgehend bestellten sie W. C. Handy ins Okeh-Studio ein, um noch mehr Material im Brassband-Stil aufzunehmen.
Von Okehs Erfolg beeindruckt und wild entschlossen, die erste echte schwarze Plattenfirma zu etablieren, gründete Handys Musikverleger Harry Pace ein Label namens Black Swan. Er lieh sich 30000 Dollar und nahm eine Reihe von Songs auf, die aber kommerziell allesamt enttäuschten. Er durfte sich bei seinem musikalischen Direktor Fletcher Henderson bedanken, dass er in Gestalt von Ethel Waters doch noch fündig wurde. Die attraktive Sängerin mit einer unglücklichen Kindheit nahm für Black Swan zunächst »Down Home Blues« und »Oh Daddy« auf und verkaufte innerhalb von sechs Monaten eine halbe Million Platten.
Harry Paces Geniestreich bestand allerdings darin, seine Künstler auf eine Tournee durch die Vaudeville-Theater des ganzen Landes zu schicken. Zwischen November 1921 und Juli 1922 machten die »Black Swan Troubadours« in 21 Bundesstaaten und mindestens 53 Städten Station. Lester Waltin, ein farbiger Zeitungskolumnist, übernahm die Aufgabe des Tourmanagers und überredete Zeitungen wie New York Age, The Chicago Defender, Pittsburgh Courier und Baltimore Afro-American dazu, die Tour publizistisch zu begleiten. Selbst einige weiße Zeitungen fühlten sich zu einer Berichterstattung bemüßigt.
Ethel Waters (die sich in ihrem Vertrag mit Black Swan verpflichten musste, in den nächsten zwei Jahren nicht zu heiraten) trat in einem eleganten Federkostüm auf, wie es in den Clubs von Chicago und New York inzwischen Mode geworden war. Die Tribute, eine Zeitung aus North Carolina, schrieb über ihren Auftritt: »Ethel Waters und ihre Jazz-Größen mögen die Bühne verlassen haben, doch die Erinnerung an sie wird sich selbst in einigen Monaten noch nicht verflüchtigt haben ... Die Zuschauer waren wie elektrisiert und wollten nicht glauben, was sie gerade erlebt hatten ... Mit vollem körperlichen Einsatz, gewagte Hüftschwünge inklusive, lieferte sie eine Show, die beim Publikum unbekannte Gipfel der Verzückung auslöste.« Nach sieben Monaten und ausnahmslos ausverkauften Konzerten war die Mailorder-Nachfrage derartig explodiert, dass Black Swan 30 Mitarbeiter einstellen musste. Bereits am Ende der Tour hatte man Ware für 100000 Dollar an 1000 verschiedene Händler geschickt.
Mit dem rapide wachsenden Interesse an den sogenannten »race records« etablierten sich neue Vertriebskanäle, die zunächst auf das Einzugsgebiet jener Zeitungen beschränkt waren, die sich ausschließlich an Farbige richteten. Zeitungsverkäufer boten Blues-Platten an ihren Ständen an, Kofferträger auf den Bahnsteigen, Verkäufer gingen von Tür zu Tür. Zeitungen wie The Chicago Defender forderten »die Musikliebhaber und alle, die den Fortschrift der farbigen Bevölkerung unterstützen wollen«, dazu auf, die neuen Platten zu kaufen.
Okeh nahm immer mehr farbige Musiker unter Vertrag, hatte aber seine ganz eigenen Ideen, was künftige Absatzmöglichkeiten betraf. Heinemann installierte nicht nur alternative Vertriebswege, sondern betrat auch Neuland, als er im Oktober 1921 damit begann, in Talking Machine World eine ungewohnte Anzeigen-Serie zu schalten: Die redaktionell gestaltete Werbung zeigte Okeh-Anzeigen in schwarzen Zeitungen – und sollte weiße Händler mit der Vorstellung vertraut machen, dass »race music« ein immenser und immens lukrativer Markt war.
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