Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
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Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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wie es so schön heißt: It takes two to tango. Der Umbruch ließ sich nicht nur an den Farbigen festmachen, die nun in die Städte des Nordens strömten. Die Kriegsjahre brachten auch einen soziologischen Einschnitt für die weibliche Bevölkerung, deren Selbstverständnis nicht mehr von den viktorianischen Idealen dominiert wurde. Auch wenn der Ausdruck »Flapper« (für die »flatterhafte« Frau, die kurze Haare trug, Jazz hörte und kleinkarierte Konventionen bekämpfte) erst in den Roaring Twenties populär wurde, so machte die Frauenbewegung doch schon während des Krieges einen großen Schritt nach vorn.

      Die Veränderung ließ sich beispielsweise in Englands Fabriken feststellen, wo geschätzte zwei Millionen Frauen männliche Arbeitsplätze übernahmen. Als sich die USA 1917 am Krieg beteiligten, unterstützte Teddy Roosevelt die feministische Autorin Harriot Stanton Blatch, die dazu aufgerufen hatte, endlich »die woman-power freizusetzen«. Blatch hatte unter anderem behauptet, dass der Krieg in England die dortigen Frauen »leistungsfähig ... putzmunter und glücklich« gemacht habe. Auch bei der Wahlberechtigung ließ der Zeitgeist nicht auf sich warten: Zwischen 1913 und 1920 führten Norwegen, Dänemark, Australien, Russland, Polen, Deutschland, England, Holland und Amerika das Wahlrecht für Frauen ein.

      All diese gesellschaftlichen Umbrüche mögen erklären helfen, warum gerade 1917 in Chicago und New York eine neue Tanzmode Furore machte: Jazz war die erste musikalische Bewegung, die sich organisch auf den Straßen der Großstädte gebildet hatte und das Gesicht der Musikindustrie für immer verändern sollte.

      Bereits vor dem Krieg wurde das Wort »Jazz« in Kalifornien benutzt und bedeutete so viel wie »Spritzigkeit«. (Einer ominösen Theorie zufolge hatte es auch Wurzeln in dem Slangausdruck »Jism«, womit das männliche Ejakulat gemeint war.) Eine plausiblere Erklärung lieferte die Herkunft aus einem gälischen Wort, das »teas« geschrieben, aber »tchass« ausgesprochen wurde – und soviel wie Hitze, Erregung, Kraft und Leidenschaft bedeutete. Es war auch der Name eines irischen Kultes, der sich um die Gestalt der Nationalheiligen St. Bridget rankt: Das ewige Feuer, das an ihrem Grab brannte, war das Wahrzeichen aller Glücksspieler – und als sich die Iren in die Neue Welt aufmachten, sei es dort zunächst in den Spielhöllen aufgetaucht, um von dort aus den Weg über den Sport auch in die Musik zu finden. Die Tatsache, dass Gälisch eine alte Sprache ist, deren Übertragung in lateinische Buchstaben der richtigen Aussprache nicht gerecht wird, mag vielleicht auch die Tatsache erklären, dass zwischen 1913 und 1918 mindestens vier Schreibweisen im amerikanischen Sprachgebrauch auftauchen: Jass, Jas, Jazz und Jaz.

      1913 benutzte ein irisch-amerikanischer Sportjournalist namens Scoop Gleeson das Wort »Jass«, um die explosionsartige Dynamik von Baseball-Spielern zu beschreiben. Im »San Francisco Bulletin«, Gleesons Zeitung, konnte man bereits im April 1913 einen Artikel mit der folgenden Überschrift lesen: »In Praise of Jazz. A Futurist Word Which Has Just Joined the Language«. Der Autor Ernest J. Hopkins erklärt, dass »ein neues Wort, wie ein neuer Muskel, nur dann entsteht, wenn es eigentlich schon seit Ewigkeiten gebraucht wird. Dieses bemerkenswerte und vollmundige Wort ... bedeutet so etwas wie Leben, Vitalität, überschäumender Esprit, Freude, Pepp, Faszination, Elan, überschwängliche Virilität, Mut, Glück ... ach, was soll’s? Jazz eben. Kein anderes Wort kann das Gleiche ausdrücken.«

      In Chicago benutzte man das Wort, um damit eine schon ältere, aber immer populärer werdende Spielart der Blasmusik zu bezeichnen, die mit den Migranten aus den Südstaaten gekommen war. In der Chicago Daily Tribune schrieb Chefredakteur Fred Shapiro im Sommer 1915 einen begeisterten Artikel und erklärte: »Blues ist Jazz und Jazz ist Blues ... Blues ist keine Musik, die mit Noten festgehalten wird, sondern von dem Pianisten oder anderen Solisten interpoliert wird. Dabei ist die Musik nicht einmal neu, wird aber so interpretiert, dass sie nun einen zweiten Frühling erlebt. Sie wurde im Süden bereits vor einem halben Jahrhundert gemacht, hat durch die Bearbeitung der Dunkelhäutigen aber ein neues Leben gewonnen. Im Musikgeschäft nennt man diese Musik Jazz.«

      Sinnigerweise wurde das Wort in den Südstaaten erst später populär. Im November 1916 schrieb die Times-Picayune aus New Orleans in einem Vorbericht auf eine anstehende Musikparade: »Kultur-Organe aus dem Norden haben Kenntnis von den Jas Bands genommen. Zunächst hieß es, dass diese synkopierte Musik aus Chicago stammen würde, aber wie jeder, der einmal den ›Tango Belt‹ von New Orleans besucht hat, mit Sicherheit bestätigen kann, steht die wahre Wiege dieser Jaz Bands in dieser Stadt ... Genau woher die Bands stammen, die man bis zu diesem Winter nur in New Orleans kannte, lässt sich nicht ermessen. Es wird behauptet, dass sie aus den sogenannten Fish Bands entstanden seien, die an den Wochenenden in den Camps am See-Ufer spielen. Tatsache ist, dass ihre Popularität bereits Chicago erreicht hat und sicher schon bald New York überschwemmen wird.«

      »Livery Stable Blues« und »Dixie Jass Band One Step«, die erste Jazz-Aufnahme, wurde von Victor im Februar 1917 veröffentlicht. Es waren weiße Musiker, die sich Original Dixieland Jass Band nannten, aus dem Süden stammten, aber in Chicago auftraten. Drei Monate später lud sie Columbia ein, zwei weitere Aufnahmen einzuspielen: »Darktown Strutters Ball« und »Back Home in Indiana«. Selbst Edison sprang auf den Zug und veröffentlichte »Everybody Loves a Jass Band« von Arthur Fields. Wobei man offensichtlich Ende 1917 zu dem Konsensus gekommen war, dass »Jazz« die orthografische Variante war, die dem beschriebenen Phänomen am nächsten kam.

      1919 lag ganz London der Original Dixieland Jazz Band zu Füßen – und Columbias britische Tochterfirma gab nicht weniger als 30 Aufnahmen in Auftrag. Ihr Bandleader erinnerte sich daran, dass bei einem Privatkonzert im Buckingham Palace der französische Marschall Philippe Pétain sie so skeptisch durch sein Opernglas inspiziert habe, »als hätte er Ungeziefer bei uns entdeckt«. Als König George begeistert zu klatschen begann, hätten schließlich auch seine stocksteifen Gäste das königliche Protokoll über Bord geworfen und ihren Spaß gehabt. Nach vier frenetischen Monaten musste die Band schließlich das Land abrupt verlassen: Gerüchten zufolge hatte sie der Earl of Harrington bis an die Docks von Southampton verfolgt, weil einer der Musiker ein Techtelmechtel mit seiner Tochter begonnen hatte.

      Da sich der wachsende Graben zwischen Jugend und ihren traditionell erzogenen Eltern nicht ignorieren ließ, sahen sich die Victor-Manager gezwungen, nicht nur ihr Image, sondern auch das ganze Repertoire auf den Prüfstand zu legen. Hochkultur wurde zunehmend verpönt – mit den entsprechenden Folgen für Victors Gewinnmargen. Calvin Child, der innerhalb der Firma für die Künstlerverträge zuständig war, wurde mit der delikaten Aufgabe betraut, den Opern- und Klassik-Stars neue Verträge schmackhaft zu machen: Statt astronomischen Pauschalen sollten sie künftig nur noch prozentual am Gewinn beteiligt werden. Um die bittere Pille zu versüßen, wurde ihnen allerdings immer noch ein jährliches Grundgehalt eingeräumt. Caruso erhielt immer noch fürstliche Konditionen: ein jährliches Grundgehalt von 100000 Dollar, garantiert für die nächsten zehn Jahre. Weniger zugkräftige Namen erhielten noch Garantien von durchschnittlich 15000 Dollar pro Jahr, doch das Zeitalter der prozentualen Beteiligung war nicht mehr aufzuhalten.

      Nachdem alle Verträge neu ausgehandelt waren, verkündete »Talking Machine World« im Juli 1919 die »Demokratisierung der Musik«. Der Preis für Victors Opern- und Klassikaufnahmen wurde bis auf einen Dollar gesenkt – und selbst die exklusiven und limitierten Luxus-Editionen, die bis zu sieben Dollar gekostet hatten, wurden nun für die Hälfte angeboten. In einer begleitenden Werbekampagne sah man die Operngötter plötzlich mit Boxhandschuhen, in der Küche oder auf einem Fahrrad. Alle nur erdenklichen Bemühungen wurden unternommen, um der Klassischen Musik ihre snobistische Aura zu nehmen.

      Was Victor allerdings nicht verhindern konnte, war der Verlust ihres Patents auf waagerecht abspielende Platten. Es war die vielleicht wichtigste Zäsur der Nachkriegsjahre, als es zu einem Prozess kam, bei dem sich Victor und die Starr Piano Company gegenüberstanden, die ein neues Label namens Gennett ins Leben gerufen hatte. Ohne eigene Patente hatte Gennett 1919 waagerechte Platten veröffentlicht – und wurde von Victor prompt vor den Kadi gezerrt. Starrs Anwälte waren allerdings in der Lage, das Gericht davon zu überzeugen, dass es in Victors Patenten einige Ungereimtheiten gab. Im Januar 1920 wies daher das Bundesberufungsgericht Victors Einspruch zurück und öffnete die Tore zu einem Wettbewerb, der diesen Namen erstmals wirklich verdiente.

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