Cowboys & Indies. Gareth Murphy

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Название Cowboys & Indies
Автор произведения Gareth Murphy
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862871612



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trauen, als sie sich eine schwammige Aufnahme anhören mussten, auf der Berliner mit fettem deutschen Akzent »Twinkle Twinkle Little Star« sang. Der Spott war ihm gewiss: »Ist der Berliner wirklich so weit gesunken? Wie traurig. Wenn er uns eine sprechende Puppe präsentiert hätte, wären wir ja vielleicht in der Lage gewesen, etwas Geld für ihn zu sammeln.«

      Für Edward Easton sah die Welt weitaus rosiger aus. Aggressiv bewarb er Columbias Produktpalette in allen auflagestarken Zeitschriften: McClure’s, Cosmopolitan, Munsey’s, Harper’s und so weiter. Obwohl die Rezession die Konsumfreude merklich gedämpft hatte, erfreute sich Columbia derartiger Zuwachsraten, dass Easton sein Headquarter von Washington nach Manhattan verlegt hatte und Außen-Büros in Chicago, Philadelphia, St. Louis, Baltimore und Buffalo unterhielt.

      1896 kehrte obendrein Edison auf den Markt zurück. Er hatte seinen Prozess gewonnen, die entsprechenden Patente zurückbekommen und konkurrierte nun mit Columbia an allen Fronten. Er baute seinen eigenen Musikkatalog auf und senkte die Preise für seinen uhrwerkbetriebenen Phonographen auf 40 Dollar. Ein Jahr später bot er sogar ein Gerät für 20 Dollar an. Zum Weihnachtsgeschäft 1897 drehte Columbia den Spieß um und bot ein Graphophone für zehn Dollar an. Der Preiskrieg ging in die vorläufig letzte Runde, als Edison ein Gerät namens »Gem« für gerade mal 7.50 Dollar in die Läden stellte. Innerhalb von fünf Jahren hatte sich der Markt für sprechende Maschinen radikal verändert und sprach nun einen völlig neuen Kundenkreis an.

      Berliner war sich schmerzhaft bewusst, dass er ebenfalls einen aufziehbaren Antrieb brauchte. Im Februar 1896 meldeten sich Berliners Techniker bei einem Bastler namens Eldridge Reeves Johnson, der eine Nähmaschinen-Reparatur in Camden/ New Jersey betrieb. Es war eine Begegnung, die Johnson zu einem der reichsten Amerikaner seiner Generation machen sollte.

      Auch wenn Johnson später scherzte, Berliners Prototyp habe wie »ein leidlich trainierter Papagei mit kratziger Kehle und verschnupftem Kopf« geklungen, war er von den Möglichkeiten doch fasziniert. Er war auch desillusioniert, was sein Nähmaschinengeschäft anging, das trotz jahrelanger Schufterei kaum einen Profit abgeworfen hatte. Johnson begann, sich in seiner Freizeit in die Feinheiten des Gramophones zu vertiefen. Indem er die mechanischen Abläufe straffte, schaffte er es, die Herstellungskosten drastisch zu reduzieren. Binnen kurzer Zeit wurde er der Hauptlieferant von Berliners Maschinen.

      Auch bei der Suche nach einem alerten Werbe-Profi waren Berliner und seine Partner fündig geworden: Frank Seaman war selbstbewusst, überzeugend und versprühte einen natürlichen Optimismus. Seaman bot Berliner einen Deal an, den dieser nicht ablehnen konnte: Seaman verzichtete auf ein Honorar, forderte dafür aber einen 15-jährigen Exklusivvertrag für seine Werbeagentur. Innerhalb der bestehenden Firmenstruktur gründete er eine weitere Firma, bezog Büros im Musikdistrikt des Broadways und fing damit an, das Gramophone in Zeitschriften aggressiv zu bewerben.

      Fred Gaisberg, Berliners Musikdirektor, stellte zu seiner Freude gleichzeitig fest, dass seine Firma zwar beim Umsatz hinterherhinkte, aber trotzdem keine Probleme hatte, namhafte Interpreten an Land zu ziehen, die sich für die Walzentechnologie und deren hochkomplizierten Aufnahmeprozess nicht erwärmen konnten. Der erste große Fisch an der Angel war der italienische Tenor Ferruccio Giannini, der verkürzte Arien aus »Rigoletto«, »Traviata«, »Trovatore« und »Cavalleria Rusticana« einsang. Berliner und Gaisberg nahmen Redner, Prediger, Freigeister und Schauspieler auf, schafften es aber auch, den damals sehr populären John Philip Sousa und seine U.S. Marine Band von Columbia loszueisen und exklusiv für Gramophone unter Vertrag zu nehmen.

      Als sich das Jahr 1898 ans Ende neigte, konnte Frank Sea­man Verkäufe in Höhe von über einer Million Dollar vermelden. Nichtsdestotrotz sorgte die internationale Expansion, die Berliner vorantrieb (»Deutsche Grammophon« in Deutschland und die »Gramophone Company in England) für Irritationen – sowohl bei Columbia als auch in seinem eigenen Team. Seaman schmollte, weil er sich eine weltweite Rolle gewünscht hatte, sein Vertrag aber nur das nordamerikanische Territorium abdeckte. Edward Easton wiederum, von Berliners Wachstum aufgeschreckt, versicherte sich der Dienste eines einflussreichen Patentanwalts aus Washington. Niemand konnte die kommenden Entwicklungen vorhersehen, doch Tatsache war, dass die juristischen Schlachten der kommenden Jahre den Lauf des Musikgeschäfts im gesamten nächsten Jahrhundert beeinflussen sollten.

      Philip Mauro, der ominöse Patentanwalt, stellte ein »Gramophone« auf den Tisch und beschäftigte sich eingehend mit dem mechanischen Innenleben. Anschließend nahm er die Geschäftsstrukturen des Gegners unter die Lupe – und reichte im Oktober 1898 Klage gegen Seamans Firma ein, da sie die Copyrights an der federnden Aufhängung der Gramophon-Nadel von Bell und Tainter verletze. Mit einer brillanten Doppelstrategie wollte Mauro nicht nur das wirtschaftliche Wachstum des Gramophones eindämmen, sondern auch Unfrieden zwischen den Geschäftspartnern säen. Es waren drei Firmen, die den Gewinn untereinander aufsplitteten: Eldridge Johnson verkaufte die Maschinen mit einer 25-prozentigen Gewinnmarge an Berliner, Berliner schlug 40 Prozent auf, bevor er sie an Seaman weiterverkaufte. Mauro hatte aus wohlinformierten Kreisen erfahren, dass Seaman mit seinem Deal nicht glücklich sei, da er allein aus seinem Gewinn die immensen Werbungskosten zahlen musste.

      Als die Klage vor Gericht zugelassen wurde, konnte Mauro den Richter zwar von der Patent-Verletzung überzeugen, doch Seaman legte Einspruch ein und gewann erst einmal Zeit. In der Überzeugung, die gesamte Konkurrenz ausstechen zu können, ließ er heimlich das »Zonophone« produzieren, das sich nur in äußerlichen Details von Berliners »Gramophone« unterschied. Im März 1899 gründete er unter dem gleichen Namen eine neue Firma, meldete sie aber in einem anderen Gerichtsbezirk an. Im Oktober stellte er abrupt die Aufträge für das »Gramophone« ein – was die Firmen von Berliner und Johnson an den Rand des Ruins brachte.

      Für Berliner und seine Partner kam Seamans Aktion aus heiterem Himmel. Da sie aber in Seamans Firma keine Mitsprachemöglichkeit hatten, blieb ihnen nur der Weg zum Kadi. Für Eldridge Johnson war die finanzielle Notlage besonders prekär: Er besaß zwar 50000 Dollar in »Gramophone«-Aktien, hatte sich aber gerade tief verschuldet, um eine vierstöckige Fabrik zu bauen.

      Die Lage wurde völlig unübersichtlich, als Seamans Einspruch gegen die Columbia-Klage vor Gericht verhandelt wurde. Mit einer Drehung um 180 Grad bestätigte Seaman plötzlich Mauros Unterstellung, dass Gramophone das Patent von Bell und Tainter verletze. Der Richter erließ eine Einstweilige Verfügung, worauf Berliners Geschäftstätigkeit in den USA de facto beendet war. Zwei Wochen später unterschrieben Seaman und Mauro einen Vertrag, mit dem sie sich gegenseitigen Rechtsschutz und kommerzielle Optionen zusicherten.

      Da Berliner in den USA nicht mehr tätig werden konnte, blieb Johnson nur die Alternative, seine Aktien zu verkaufen oder die Insolvenz anzumelden. Obwohl er keine eigenen Patente besaß, hatte er aber noch ein As im Ärmel: Drei Jahre lang hatte er nun Berliners Schallplatten intensiv studiert. Ihm war aufgefallen, dass die unsauber geschnittenen Rillen eine raue, metallische Klangfarbe nach sich zogen. Indem er mit wachshaltigen Mischungen experimentierte, gelang es Johnson, ein besseres, wärmeres Klangbild zu entwickeln. Seine Anwälte rieten ihm allerdings vom Gang zum Patentamt ab, da sie befürchteten, seine neue Mischung verletzte Bell & Turners Patent auf wachshaltige Walzen.

      Um seine Schulden abzubezahlen, engagierte Johnson ein Verkaufsgenie namens Leon Douglass, der mit einem aberwitzigen Plan aufwartete: Im Herbst 1900 investierte Douglass die Hälfte von Johnsons letzten 5000 Dollar in eine riskante Kampagne: »Gramophone records FREE!« Die Anzeigen forderten Gramophone-Besitzer dazu auf, sich ein kostenloses Muster von Johnsons verbesserter Schallplatte zuschicken zu lassen. Die Idee war zündend genug, um die Lawine zum Rollen zu bringen.

      Seaman reagierte umgehend und behauptete in einer Anzeigenkampagne, das »Zonophone« sei der einzig legitime Plattenspieler. »Gramophone«-Besitzern drohte er sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen und schickte Briefe an Händler, um Johnsons Reputation auch auf dieser Ebene zu unterminieren. Emile Berliner, der drei Prozesse gegen Seaman angestrengt hatte, musste obendrein auch noch private Tiefschläge verdauen. Die neugeborene Tochter Alice rang nach einer mysteriösen Darminfektion mit dem Tod. Ende 1900 war sie acht Monate alt, wog aber nicht einmal acht Pfund.

      Als Berliner an ihrem Krankenbett saß, muss das Dickicht von Klagen und Gegenklagen auf ihn wie ein Albtraum