Название | Cowboys & Indies |
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Автор произведения | Gareth Murphy |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871612 |
Es geschah in diesen tumultösen Jahren des Neubeginns, dass die großen Talentscouts der Rock’n’Roll-Ära ihr Handwerk erlernten. Sie schulten ihr Urteilsvermögen in einer blühenden Musikkultur und besaßen einen sechsten Sinn für geschichtliche Zusammenhänge, aber auch für zeitlose Musik – eine Qualität, von der die Schwarmgeister und Trittbrettfahrer dieser Branche nur träumen können.
Zudem – und auch das werden wir im Verlauf des Buches erfahren – handelt es sich beim Musikgeschäft zwangsläufig um ein zyklisches Phänomen. Auf eine Jahrhundert-Ernte folgen unweigerlich auch unfruchtbare Perioden. Mag sein, dass wir uns gerade in einer Dürre-Phase befinden, doch selbst das können wir erst mit Sicherheit wissen, wenn wir uns eine langfristige Perspektive zu eigen machen. Auch wenn es zutrifft, dass sich zur Zeit immer weniger Rock’n’Roll-Entrepreneure in die Untiefen des digitalen Zeitalters wagen, so liegt das Musikgeschäft doch keineswegs auf dem Sterbebett. Auch heute gibt es eine Gruppe von Einzelkämpfern, die sich durch die unwirtliche Wüste quälen – beflügelt nur von ihrem unerschütterlichen Glauben an die Macht der Musik. Nicht auszuschließen, dass die gegenwärtigen Veränderungen im Rückblick sogar als Ära der unbegrenzten Möglichkeiten gesehen werden. Wenn die Flüsse wieder Wasser tragen, werden die Auserwählten Viadukte und hängende Gärten bauen, werden neue Visionäre noch größere Tempel und Marktplätze konstruieren. In einem Metier, in dem die Jugend stets nach neuen Sounds und Ideen verlangt, wird es immer die record men geben, die dieses Bedürfnis befriedigen. Sie sind diejenigen, die das Lagerfeuer am Knistern halten.
Wenn mir bei meinen Begegnungen mit den Machern – vor allem im Indie-Lager – eine Eigenschaft ins Auge fiel, so war es ihr unerschütterlicher Glaube. Anders als die Mitläufer, die sich gerne mit prominenten Namen und süffigen Anekdoten brüsten, sind die echten Visionäre seriös, diskret und nüchtern, meiden das Rampenlicht und die Verlockungen des großen Geldes. Ihre Ziele folgen in der Regel einem höherem Motiv: Praktisch hinter jedem stilbildenden Label versteckt sich eine sehr spezifische Geschichte, die gewöhnlich tief im Charakter des jugendlichen Gründers verankert ist. Dies sind die Schirmherren der musikalischen Gegenwart, dies sind die Propheten, die die Geschichte des Musikgeschäfts verinnerlicht haben und sich gleichzeitig in der Rolle des Richters und Schutzengels sehen.
Das Spektrum der Akteure ist dabei gewaltig – und das altbekannte Klischee von »Majors contra Indies« bringt uns nicht weiter: Viele legendäre record men haben für Major-Label gearbeitet. Unbestritten aber ist, dass sich für alle Protagonisten irgendwann einmal die gleiche Frage stellt: Musik oder Geld? Genau aus diesem Grund haben wir – in Anspielung auf die Cowboys und Indianer unserer Sandkasten-Jahre – das vorliegende Buch auch »Cowboys & Indies« genannt. Wie die alten Indianer-Häuptlinge sind die neuen Helden der Musikwelt von einer Mission erfüllt: Sie wollen nicht nur ihr Dorf retten, sondern eine ganze Kultur. Die Cowboys hingegen sind die Opportunisten, die nur planlos um sich schießen. In ihrer unangenehmsten Inkarnation sind es Zocker, Bauernfänger oder Kopfgeldjäger, für die es am Ende nur um die Zahlung des Lösegelds geht. Dazwischen gibt es natürlich auch noch die halbblütigen Grenzgänger – oft genug komplizierte und komplexe Charaktere, die ständig die Seiten wechseln, weil sie sich zwischen Idealismus und Zockerei nicht entscheiden können.
Im Filmgeschäft heißt es oft, dass Regisseure die besseren Interviewpartner sind. Ich denke, dass diese Faustregel auch aufs Musikgeschäft zutrifft: Die record men sind ergiebigere Gesprächspartner als die Stars, die sie aufgebaut haben. Sie sind gleichzeitig Zeitzeugen und Katalysatoren, sie kennen die wahren Geschichten, sie wissen, wer diese Stars wirklich sind und wem sie ihren Durchbruch zu verdanken haben. Sie sahen in ihnen den ungeschliffenen Diamanten, handelten ihre Verträge aus, überwiesen ihre Tantiemen und warfen die große Hype-Maschine an. Macht man sich ihre Perspektive zu eigen, stellt sich das große Spiel in einem gänzlich neuen Licht dar.
Denn seltsamerweise sind es fast nie die Stars, die über ihren Tellerrand hinausschauen können. Wer das Kreieren und Aufführen von Musik zu seinem Lebensinhalt macht, geht gewöhnlich in dieser Tätigkeit völlig auf. Oft genug stehen Musiker unter dem Druck, ihre einmal erreichte Position verbissen zu verteidigen und sich gegenseitig zu bekämpfen. Anders der große Impresario hinter den Kulissen: Er kann die Achterbahnfahrt entspannt und belustigt verfolgen, er steht hinter der Bühne, zieht die Fäden, zählt die Einnahmen – und verfolgt die Ereignisse aus sicherer Distanz.
Einen Kitzel gibt es allerdings, mit dem jeder Pop-Dompteur klarkommen muss: das Gefühl, ein unberechenbares Monster an seiner Leine zu haben. Es gibt in diesem Buch horrende Anekdoten von Manipulation und Größenwahn, und doch scheinen selbst derartige Exzesse der Musik nie etwas anhaben zu können: Wann immer es in der populären Musik einen neuen Thrill zu entdecken gibt, tanzt die Welt bereitwillig mit. (Wobei die Finanzierung von Musikaufnahmen wohl immer ein Risiko bleiben wird. Wie jeder Zirkusdirektor bestätigen kann, gibt es mit Sicherheit gefahrlosere Wege, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.)
Auf unserer Panorama-Reise durchs 20. Jahrhundert können wir auch verfolgen, wie die beginnende Globalisierung zu gegenseitigen Befruchtungen führt. Der traditionelle Austausch, der auf beiden Seiten des Atlantiks gepflegt wurde, hat das Musikgeschäft seit den Anfängen am Laufen gehalten. Es ist kein Zufall, dass viele der großen record men aus Amerika und England gleichzeitig auch Abenteurer waren, die die Welt bereisten und ihre Zukunft in einer der aufstrebenden neuen Metropolen suchten. Im Verlauf des Buches werden sich diesbezüglich einige biografische Parallelen herauskristallisieren. Im letzten Kapitel, »Prophezeiungen« betitelt, werden sich vielleicht auch einige ewige Wahrheiten über dieses eigentümliche Phänomen eröffnen, das wir gemeinhin Popmusik nennen.
Indem ich die Geschichte des Musikgeschäfts an ihren Pionieren festmachte, wollte ich die Geheimnisse lüften, die sich hinter dem großen Vorhang verbergen. Machen wir uns also auf den Weg und beginnen unsere Odyssee durch die musikalischen Universen, die unsere Väter und Vorväter begeisterten. Es ist kein Zufall, dass am Anfang unserer Reise eine technologische Revolution steht.
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SPRECHENDE MASCHINEN
Unsere Geschichte beginnt in Paris. All die Verästelungen, die den genealogischen Baum der späteren Musikbranche bilden – Produzenten, Label, Musiker –, lassen sich auf dieses konkrete Datum zurückführen. Wir schreiben das Jahr 1853. In einem kleinen Buchladen in der Rue Vivienne sitzt ein Mann auf seinem Stuhl und blättert in einem Manuskript. Der 36-Jährige ist der Schriftsetzer Édouard-Léon Scott de Martinville, der gerade ein neues Physikbuch Korrektur liest. Er blättert eine Seite um und ist spontan fasziniert von einem Diagramm, das das Verhalten von Klangwellen darstellt. Während er noch die seltsam gekrümmten Wellenlinien vor ihm betrachtet, reift in seinem Kopf eine Idee heran – die Idee für eine Maschine.
Nachdem er jahrelang mit der Frage nach einer adäquaten Umsetzung schwanger gegangen ist, kommt er schließlich zu einer ebenso simplen wie überzeugenden Lösung: Halte dich an die Natur! Seine Klangaufzeichnungs-Maschine soll ein Stift sein, an dem sich ein mechanisches Ohr befindet. Ein trichterförmiges Empfangsgerät würde die eingehenden Schallwellen auffangen, so wie das Außenohr den Klang zum Trommelfell leitet. Zwei elastische Membrane sollen dann die Funktion des Trommelfells übernehmen, während verschiedene Hebel die Knöchelchen des Mittelohrs nachempfinden würden, das Klangwellen in der Flüssigkeit des Innenohrs zu mechanischen Impulsen verwandelt. Eine Wildschweinborste am Ende des mechanischen Ohrs würde dann die Vibrationen auf eine mit Ruß beschichtete Glasplatte ritzen.
Am 25. März 1857 reichte er das Konzept bei der »Académie des sciences« in Paris ein und erhielt im