Sklavenjäger. Boris Cellar

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Название Sklavenjäger
Автор произведения Boris Cellar
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944145563



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er ein klein wenig Spiel in der Bewegung.

      An den Eisenfesseln ertastete ich jeweils zwei Öffnungen, eine an der Vorderseite und eine hinten. An den Vorderseiten waren die Verbindungsketten befestigt, die Rückseiten waren frei. Selbst am Halsband war an einer Öse eine Kette angebracht. Diese befand sich an der Vorderseite und führte irgendwohin in die Finsternis. Ich zog an der Kette und hatte schnell den Punkt erreicht, an dem sie gespannt wurde. Ein kleines Stückchen Freiheit – zumindest ein kleines. Vorsichtig folgte ich dem Verlauf der Kette, wobei ich das kalte Material durch die Finger der linken Hand gleiten ließ. Mit der Rechten tastete ich mich vorwärts und versuchte mich davor zu schützen, daß ich nicht irgendwo dagegen stieß.

      Die Kette verschwand in einem schmalen Loch in der Wand. Ich legte die Handflächen daneben und spürte rauhen Stein, der es umschloß. Dieser fühlte sich wesentlich grober an als der Block, auf dem ich gelegen hatte. Wenn man darüber strich, rieselte an manchen Stellen feiner Staub zu Boden, der mich sogleich in der Nase kitzelte. Mühsam unterdrückte ich einen sich anbahnenden Niesanfall.

      Das Loch selbst war etwas breiter als der Durchmesser der Kettenglieder. Die Öffnung fühlte sich glatt und künstlich an. Nach der Beschaffenheit des Materials zu urteilen, sollte die Kette wohl beim Hinausgleiten und Zurückfahren keine hörbaren Geräusche verursachen und möglichst reibungslos hindurchgleiten. Auf jeden Fall paßte es nicht zu dem mittelalterlichen Ambiente, welches der Keller mit den Folterinstrumenten verströmt hatte. Entweder befand ich mich in einem anderen Gebäude, oder das Verlies war im nachhinein verändert worden.

      Langsam tastete ich die Wand ab, von oben nach unten. Auf Hüfthöhe konnte ich neben dem Steinblock zwei kreisrunde Platten fühlen, die sich millimeterweit in die Wand drücken ließen. Weiter ging es nicht. Die Platten wurden von einem festen Widerstand blockiert. Zwei weitere, ähnliche Platten befanden sich auf Höhe der Knöchel. Ihr Abstand voneinander entsprach etwas über einem Dreiviertelmeter – eine Entfernung, die zustande kam, wenn man mit gespreizten Beinen an der Wand stehen mußte.

      Die Seitenwände meines Gefängnisses fühlten sich im Gegensatz zur Rückwand künstlich an. Ich klopfte gegen glattes Material. Ein dumpfer Ton entstand. War das etwas Plexiglas? Na toll, Stein und Plastik! Ich unterdrückte die aufkommenden Gedanken über Sinn und Unsinn der menschlichen Bauweisen, die es nicht schafften, mit der Natur im Einklang zu stehen. Eine Erinnerung, die mich in die bunte Farbenwelt auf dem Wanderweg zur Burg versetzte.

      Das war doch so was von egal! Natürliche und künstliche Materialien bildeten für mich hier gleichermaßen undurchdringliche Barrieren. Haut, Knochen und Fleisch würden die Wände nicht durchdringen können, egal wie sehr und wie oft ich es versuchen würde. Ob ich es dennoch irgendwann noch einmal probierte?

      Die Front der Zelle war klar durch Gitterstäbe definiert. Ich befand mich also in einer Kerkerzelle, in einer Art Verlies! Angekettet wie ein Sträfling. Im Dunkeln gelassen. Isoliert …

      »Ihr verdammten Arschlöcher!« brüllte ich. »Laßt mich frei, oder ihr werdet es bereuen! Ich will hier raus!«

      Wütend hämmerte ich mit meinen Fäuste gegen die Gitterstäbe. Die Ketten an den Handgelenken rasselten dabei im Takt der Schläge. Das Gewummer und Gehämmer vertrieb die bedrückende Stille. Ich steigerte mich in Rage, schreiend und trommelnd. Es tat gut – einfach nur gut!

      Doch schon bald vertrieb der Schmerz den willkommenen Zorn. Ich mußte mich zwingen aufzuhören, bevor ich die Haut an den Händen endgültig zu blutigen Klumpen geschlagen hatte oder mir ein paar Knochen brach. Zähneknirschend verzog ich das Gesicht und spuckte auf den Boden.

      »Ihr Wichser!« murmelte ich mit gepreßter Stimme. Ich hatte erkannt, daß alle Bemühungen sinnlos waren und nichts bewirkten. Ernüchterung wischte den Elan beiseite.

      »Laßt mich frei!« forderte ich trotzig.

      Meine Fäuste pochten. Mit zusammengebissenen Zähnen verbat ich mir jede weitere Träne. Trotz lähmender Verzweiflung holte ich aus und schlug erneut nach dem Gitter. Die Kette zwischen den Handgelenken krachte scheppernd dagegen. Erst einmal, etwas langsamer. Dann schneller und heftiger.

      Das Sausen des Metalls und der darauffolgende, klirrende Aufprall waren Musik in meinen vor Stille tauben Ohren. Immer wieder hämmerte ich die Kette gegen das Gitter. Doch es gab keine Reaktion. Ich schlug zu, bis mich die körperliche Anstrengung erschöpfte. Ein aus blindem Ärger entfesselter, langgezogener Schrei bahnte sich seinen Weg aus dem Mund nach draußen, breitete sich aus zu einer ohrenbetäubenden Kakophonie und verhallte schließlich ungehört. Heulend ließ ich mich zu Boden sinken – wie ein Häufchen Elend. Alles war um sonst!

      »Bitte …« brachte ich flüsternd heraus. Verzweiflung tränkte meine bebende Stimme. Ernüchterung und Sinnlosigkeit. Niemand war durch diese schmerzhafte Aktion beeindruckt worden. Keine Reaktion wurde erzwungen. Alles war wie gehabt. Finsternis und Einsamkeit.

      Nach einer unbestimmten Zeit voller Niedergeschlagenheit und Tränen drückte ich mich schließlich vom Boden hoch. Kein Zeitgefühl – keine Ahnung, wie lange ich dort saß. Hier gab es weder Sekunden noch Minuten. Die Zeit verstrich nach ihren eigenen Gesetzen, die mir verborgen blieben. Ich hatte keine Möglichkeit einzuschätzen, wieviel Zeit nach dem Eindringen in die Burg bis jetzt verstrichen war.

      Es war erschreckend. So langsam verlor ich jeglichen Halt. In mir breitete sich ein Gefühl des freien Schwebens aus. Losgelöst von der Realität befand ich mich irgendwo zwischen hier und dort, dem Jetzt und irgendwann. Es zehrte an den Nerven, war beunruhigend, gruselte mich, bescherte mir eine Gänsehaut. Ich konnte es nicht leiden, keine Kontrolle über eine Situation zu haben. Hier gab es nichts zu kontrollieren. Ich konnte nur warten und hoffen, daß nicht noch Schlimmeres geschah. Mehr blieb nicht! Nur die Hoffnung – und die stirbt bekanntlich zuletzt.

      Als ich wieder zu meinem Schlafblock zurückgehen wollte, trat ich in der Zellenmitte unvermittelt in ein Loch und wäre um ein Haar gestolpert. Mit einem beherzten Schritt – natürlich in einen spitzen Stein – gewann ich das Gleichgewicht zurück. Was war das gewesen?

      Der Schreck lähmte mich nicht lange. Sogleich ließ ich mich auf die Knie sinken und erkundete mit den Fingern die Öffnung im Boden. Sie war etwa eine Hand breit und hatte eine runde Form. Es fühlte sich an, als sei hier ein Rohr, ähnlich einem Abfluß, in den Steinboden eingelassen worden. Dessen Wände fühlten sich glatt, fest und vor allem künstlich an. In einer Tiefe von etwa sechs Zentimetern spürte ich Feuchtigkeit und zog meine Hand schleunigst zurück. Das Wasser war so warm wie die Luft des Gefängnisses. Warmes Wasser bedeutete nichts Gutes. Abgestanden lockte es Unmengen schrecklicher Bakterien an. Dieses nicht erkennbare Ungeziefer brauchte ich nicht in meiner Nähe. Nein, wirklich nicht!

      Meine Nase berührte fast den Boden, als ich mich noch weiter herunterließ, um an der Brühe zu schnuppern. Es roch etwas abgestanden, hatte aber noch nicht den spezifischen Geruch von Brackwasser. Jemand mußte das Wasser erst vor kurzem hier eingelassen haben. Vielleicht war das Wasser doch nicht so schlimm verseucht wie zunächst befürchtet.

      Was war das für ein Rohr, fragte ich mich. Warum hat jemand in diese Zelle ein Stück Plastik eingelassen? Wozu sollte das gut sein? Dann dämmerte es mir langsam. Ein Abwasserrohr. Nein, bitte nicht! War das etwa meine Toilette? Sollte ich mein Geschäft mitten in dem Raum verrichten? Ohne Toilettenspülung? Was passierte, wenn die Schmutzbrühe überlief? Ich wollte nicht darüber nachdenken. Wie abartig war das denn?

      Angeekelt verzog ich das Gesicht und schob mich von dem Loch zurück. Waschwasser konnte das beim besten Willen nicht sein. Zum Reinigen bräuchte ich frisches Wasser. Wie sollte ich mich denn bitteschön hier drinnen waschen? Was war mit meinem perfekten Gebiß, auf das ich so stolz war? Schon ein Tag ohne Zahnbürste und Zahnseide war bereits die Hölle für meine kleinen Beißerchen. Wie sollte ich ohne Spülung meine langen Haare in Schuß halten und dafür sorgen, daß sie weiterhin so schön rot glänzten? Falls ich die nächsten Tage überleben sollte …

      Im Zellenboden eingelassen fand ich noch zwei metallene, kuppelförmige Ausbuchtungen von etwa einem Viertelmeter Durchmesser. Der Sinn der beiden Gegenstände erschloß sich mir leider nicht. Was sollten sie bedeuten? Was war ihr Zweck?