Sklavenjäger. Boris Cellar

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Название Sklavenjäger
Автор произведения Boris Cellar
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944145563



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»Geh zurück auf Los.« Immer und immer wieder. Noch einmal von vorne. Ewiger Gleichlauf. Wiederholung. CAROLA! Aufwachen!!

      In den Interviews für meine Studienarbeit hatten Gefängnisinsassen häufig davon berichtet, wie schlimm Langeweile für sie war. Mit allem konnte man in Gefangenschaft fertigwerden: mit den Mitgefangenen; den Wärtern; der Verpflegung; den Hierarchien, Sitten und Gebräuchen in den Justizanstalten. Sogar Krankheiten waren behandelbar. Irgendwie bekam man alles auf die Reihe. Nur die Langeweile – die bekam man nicht in den Griff. Die hielt einen im Griff, zerstörte die Psyche. Es gab nichts, was man dagegen tun konnte. Man konnte nur warten. Warten – und zwar jeder für sich alleine! Da half niemand. Damals konnte ich mir das nicht vorstellen, konnte das nicht verstehen. Mittlerweile hatte ich eine gewisse Vorstellung davon gewonnen, was mir die Interviewpartner sagen wollten.

      Durst! Der Durst konkurrierte mit der Langeweile, entwickelte sich sogar zu einem gleichwertigen Kontrahenten.

       Könnte ich endlich etwas zu trinken haben? Ich habe schon ziemlich lange nichts mehr getrunken. Falls es jemanden interessiert. Mein Rachen ist ganz trocken, und die Zunge klebt am Gaumen - wie Gummi. Außerdem muß ich auf Toilette. Meine Blase zerreißt gleich, und ich möchte nicht auf den Boden pinkeln. So etwas ist ekelhaft; außerdem stinkt es bereits nach kurzer Zeit. Hallo! Ich bin ein zivilisierter Mensch. Meine Eltern haben mich zu einem anständigen Menschen erzogen. Ich habe Manieren. Ich bin schmutzig und möchte mich waschen und die Zähne putzen. Bitte! Habt Erbarmen. Ich breche auch nie wieder ein. Es war falsch. Das sehe ich doch ein. Leute! Bitte!!

      Meine stummen Klagen verhallten ungehört. Ich konnte all die Emotionen nicht in Sprache umsetzen, konnte das Flehen und die Entschuldigungen nicht artikulieren. Mir fehlten dazu Kraft und Wille. Außerdem ging es in meinem Kopf gerade viel zu chaotisch zu. Die Gedanken überschlugen sich. Unstet wanderten meine aufgerissenen Augen umher, ohne etwas zu erkennen. Finsternis hatte mich verschlungen. Sie arbeitete entschlossen daran, mich in den Wahnsinn zu treiben.

      Instinktiv tastete ich das grobe Kleid nach meinem Handy ab. Wie absurd war dieses Handeln! Keine Taschen, kein Telefon. So einfach war das! Das Mobiltelefon war noch immer sicher im Rucksack verstaut.

      Du kannst hier niemanden anrufen, Carola. Deine Verbindungen sind gekappt! Du bist ganz alleine. Hungrig. Durstig. Blind.

      Du kannst dir vielleicht die Zeit mit Gedankenspielen vertreiben, brauchst aber nicht hoffen, daß dich jemand in absehbarer Zeit aus der Zelle holt. Du bist gefangen. Vielleicht für immer. Hast du daran schon einmal gedacht?

      Ich versuchte, die fiese Stimme in meinem Kopf zu ignorieren. Zum Trost beschwor ich in Gedanken die kleine Pension in dem malerischen Ort an dem Flüsschen Ourthe, in der ich vor ein paar Tagen abgestiegen war. Angst vermeiden – wenn man den Teufel nicht an die Wand malte, erschien er auch nicht.

      Die Pensionswirte bewirtschafteten die Unterkunft liebevoll. Jeden Vormittag standen nach einem leckeren Frühstück frische Schnittblumen als Sommergruß auf dem kleinen Tischchen in meinem kleinen Zimmer. Aus dem Fenster sah ich direkt auf den Marktplatz des Ortes, der typisch für die belgischen Ardennen war. Die Bänke einer Pommesbude luden unterhalb der Fensterbank zum Verweilen ein. Nicht, daß jemand etwas gegen belgische Pommesbuden sagt! Hier machen die Einheimischen die besten Pommes Frites der Welt. Ein wunderschönes Idyll; es war zu schön gewesen, um wahr zu sein.

      Das Zimmer verfügte über W-lan, was mir bei der Informationsbeschaffung für die Studienarbeit sehr behilflich war. Dank Laptop, Email und Internettelefonie konnte ich mit der Uni in Kontakt bleiben und mich mit meinem Professor abstimmen. Mit wenigen Mausklicks konnte ich im World Wide Web alles über diese Burg in Erfahrungen bringen – unter anderem leider auch, daß man mich auf legalem Weg nicht hineinlassen würde. Hätte ich mal lieber auf die Warnungen auf der Homepage gehört! Aber im nachhinein ist man immer schlauer. Jetzt saß ich hier, eines Besseren belehrt, hilflos und gefangen.

      Im Hinterkopf kramte ich einige bruchstückhafte Erinnerungsfetzen hervor. Die Adresse der Pension und dieser Burg hatte ich von einem Kommilitonen erhalten, der irgendwie vom Thema meiner Arbeit erfahren hatte und sich ziemlich interessiert zeigte. Wie hieß der Typ noch gleich? Hm … es wollte mir nicht einfallen.

      Die Not trieb mich wieder zurück in das Hier und Jetzt und zerstörte die schönen Gedankenspielereien. Kopfkino war etwas Schönes, solange es funktionierte! Doch bei mir funktionierte es auf Dauer hier in der Zelle einfach nicht. Die Erinnerung an die Welt da draußen vertrocknete bereits wie mein Körper. So langsam hätte ich wirklich gerne etwas zu trinken gehabt. Ich spürte regelrecht, wie die Haut spröder und spröder wurde.

      Die Lage, in der ich mich befand, paßte mir überhaupt nicht. Ich konnte mich nur wiederholen. Die Dunkelheit und die körperlichen Strapazen zehrten bereits jetzt schon ziemlich arg an meinen Nerven. Ich hatte genug. Das Abenteuer könnte so langsam zu Ende sein. Die Zelle war, so gut es ging, erkundet. Jeden Quadratzentimeter hatte ich mit bloßen Händen abgetastet, die Beschaffenheit der Grenzen ausgelotet. Die Fesseln waren störend, auch wenn sie mich nicht sonderlich behinderten. Und die Langeweile war kaum auszuhalten.

      Alles in allem kotzte mich die Situation einfach nur an. Und ein wenig Angst hatte sich bereits im Unterbewußtsein eingenistet, um leise die Frage zu stellen, was passierte, wenn ich doch nicht wieder freikam. Doch diese Möglichkeit war undenkbar, einfach absurd! Daher ignorierte ich das Unbehagen, welches sich langsam, aber sicher in mir einquartierte.

      Mir war kalt. Ich war es nicht gewohnt, den ganzen Tag nur im Hemdchen herumzusitzen, selbst wenn dieses aus festem Leinen bestand. Woher auch? Normalerweise befand ich mich nicht in einem dunklen Loch in Gefangenschaft! Der robuste Stoff kratzte über die Haut, was meine darunterliegende nackte Brust ziemlich empfindlich machte.

      Mißmutig stellte ich die Füße auf die Steinliege, zog die Knie an und schlang die Arme fest um die Schienbeine. Ich wollte mich ganz klein machen, mich tief in die Ecke der immer enger werdenden Zelle verkriechen. Irgendwoher vernahm ich ein leises Schluchzen. Angestrengt lauschte ich in die Schwärze, bis mir bewußt wurde, daß es mein eigenes klägliches Wimmern war.

      Warum antwortete mir niemand? Warum ließ man mich alleine? Was wollten diese Leute von mir? Wann bekam ich endlich etwas zu essen? Und wenn ich etwas bekäme, würde ich dann etwas dafür tun müssen? Würde man mich zu etwas Widerwärtigem zwingen? Ich wollte kein Opfer sein wie in den bösen Internetgeschichten – Opfer, die von gemeinen Sadisten bis aufs Blut gequält wurden. Vielleicht sollte ich mir endlich einmal klarwerden, in was für einer Lage ich mich tatsächlich befand.

      Die fiesen Gedanken verseuchten sukzessive das Gehirn. Was wurde hier gespielt? Sollte ich eine Sklavin werden? Wurde ich hier langsam gebrochen? Wurde zuerst mein Wille zerstört und dann mein Körper? Immerhin war hier irgendwo in der Nähe eine perfekt ausgestattete Folterkammer. Jedes Glied konnte separat geschunden werden, ganz nach Belieben. Man konnte mich hier unten tagelang, wenn nicht gar wochenlang, festhalten und martern, ohne daß es jemand mitbekam – vielleicht sogar bis zu meinem Tode.

      Wer auch immer mich festhielt, den Bastarden war ich schutzlos ausgeliefert. Sie konnten mit mir machen, was sie wollten. Den Gedanken an eine sexuelle Erniedrigung versuchte ich ganz weit wegzuschieben. Zu abstoßend war diese Vorstellung. Eigentlich saß ich ganz schön in der Klemme. Die starke, alles unter Kontrolle habende Carola Reinhart war sprichwörtlich im Eimer!

      Apropos. So einen hätte ich jetzt gerne in der Zelle. Es drückte und zwickte immer noch im Unterleib. Ich hatte keine Ahnung, wann ich das letzte Mal das WC benutzt hatte. Es dürfte schon einige Zeit her gewesen sein. Zumindest wurde es langsam höchste Zeit, erneut zu gehen. Entgegen allen anderslautenden Gerüchten brauchen wir Frauen keine zweite Person, um austreten zu können. Wir schaffen das ganz alleine. Wenn wir müssen, müssen wir. Da brauchen wir keine andere. Würdet ihr mich bitte auf Toilette lassen?

      Ich kniff die Beine zusammen und preßte die flache Hand in den Schritt. Verkrampft beugte ich mich in die Hocke. Die Gesichtshaut spannte schon vor Anstrengung. Meine Zelle sollte sauber bleiben. Es war so peinlich. Doch ich konnte es nicht mehr länger halten.

      Mit Trippelschritten – bloß nirgendwo dagegenstoßen oder in dieser Hockposition