Название | Sklavenjäger |
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Автор произведения | Boris Cellar |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944145563 |
Meine Vorbereitungen auf diese Reise waren nicht nur körperlicher Art gewesen. Das Internet bot bekanntlich einen breiten Fundus an Informationen. Die Vorrecherchen hatten ergeben, daß es in der Burg Führungen mit detaillierten Erklärungen zu den vorhandenen Gerätschaften gab. Aufbau und Wirkungsweise sollten nicht nur verbal, sondern auch plastisch dargestellt werden.
Das kam mir sehr gelegen, sollte ich doch eine Arbeit über traumatisch bedingte Persönlichkeitsveränderungen von Langzeithäftlingen im 18. Jahrhundert nach vorangegangener peinlicher Befragung verfassen. Es ging darum, wie sich Einstellung und Verhalten von Gefangenen nach der Folter änderten und ob man Parallelen zur heutigen Verwahrung politisch inhaftierter Personen und bei ihnen angewandter, moderner Verhörpraxen ziehen konnte.
War ein aufgeklärter, moderner Mensch durch körperliche und seelische Impulse so stark manipulierbar, daß sich seine Einstellungen zu gewissen gesellschaftlichen und politischen Themen rudimentär ändern konnten? Ein wichtiger Fragekomplex meiner Arbeit bestand darin, wie wahrscheinlich es war, daß sich diese Gefangenen erst nach Inhaftierung und Verhör unter Schmerzen den ursprünglich vorgeworfenen, extremen Strömungen zuwendeten. Wäre es sogar möglich, diese Radikalisierung einer Persönlichkeit bewußt durch Verhörspezialisten herbeizuführen? Könnte man durch diese Art der Gehirnwäsche solche Menschen böswillig zu extremistischen Zeitbomben transformieren; etwa um gewisse unpopuläre Rechtseinschnitte gegenüber der Bevölkerung oder Maßnahmen gegen bestimmte Gruppierungen zu rechtfertigen? Die Beantwortung dieser Fragen stellte wohl den eigentlichen Grund meiner Forschungen dar, wie ich befürchtete.
Gerade in der heutigen Zeit mit den mehr oder minder geheimen Internierungslagern auf der ganzen Welt erschien das Thema hoch brisant und gefährlich aktuell. Der Beweis der aufgeworfenen Thesen sollte sehr diskret und vertraulich behandelt werden. Ich vermutete, daß meine Arbeit von irgend jemandem mit politischem Hintergrund in Auftrag gegeben worden war und sicherlich für Projekte, von denen ich gar nichts wissen wollte, verwendet werden sollte.
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mir die Foltergerätschaften im Rahmen einer Führung in der Burg erklären zu lassen. Zu meinem Leidwesen war diese jedoch inklusive der dazugehörigen Anlage in Privatbesitz. Vor Ort hatte sich herausgestellt, daß die im Netz angepriesenen Führungen entgegen den dort eingestellten Informationen nicht öffentlich waren. Für mich gab es ohne persönliche Beziehungen keine Möglichkeit, legal in das Gebäude zu gelangen. Emails blieben unbeantwortet. Weder persönliche noch wissenschaftliche Argumente hatten die Verantwortlichen zu einer Reaktion veranlaßt. Mir sollten also das Verlies und die lehrreichen Erklärungen auf dem offiziellen Wege verwehrt bleiben. Meine Studienreise in die belgischen Ardennen wäre somit völlig um sonst gewesen.
Aber von wegen! Jetzt, wo ich einmal da war, gab ich nicht so einfach auf. Wenn der Berg nicht zum Propheten kam, mußte der Prophet eben zum Berg kommen. Nach dem ersten Frust, den ich in der örtlichen Gaststätte mit reichlich Alkohol ertränkt hatte, beschloß ich, das Verlies auf eigene Faust zu erkunden; und so stand ich schließlich hier in dem staubigen Innenhof direkt vor der unscheinbaren Seitentüre, die etwas abseits vom großen, eisenbeschlagenen Eingangstor in das Innere des Gemäuers führte.
Die altertümliche Holztüre war verschlossen. Unter der Klinke schlummerte die einladende Öffnung eines simplen Buntbartschlosses, welches das Eindringen von unliebsamen Besuchern verhindern sollte. Wie originell! Buntbartschlösser waren so einfach zu überlisten, daß man dazu nicht allzu viele einbrecherische Qualitäten benötigte. Für mich persönlich war die vermeintliche Sicherung eher Einladung als Abschreckung.
Aus dem Rucksack kramte ich die in meiner Unterwäsche verborgene Dietrichsammlung heraus. An einem Schlüsselring waren mehrere Haken, Ösen und andere biegsame Metallgegenstände befestigt. Vorsichtig und angespannt lauschend erkundete ich mit den kleinen Stiften den Schließzylinder. Den genauen Moment abzupassen, um die Schließfalle zurückzufahren, ist die hohe Kunst des Schloßknackens. Konzentration und Geschicklichkeit waren die entscheidenden Zutaten, ohne die das Gericht nicht gelang. Dazu würzte man eine Prise Ruhe und Geduld, und irgendwann ließ sich jedes Schloß überwinden. Nach wenigen Momenten hatte ich die Verriegelung gelöst und konnte die Türe mit einem kaum wahrnehmbaren Knarzen aufdrücken.
Mein Vater hatte mich bereits in jungen Jahren gelehrt, Schlösser aller Art zu öffnen. Seine faszinierende Kunst, komplizierte Dinge kindgerecht zu erklären, machte mich zu seiner gelehrigen Schülerin. Stundenlang konnte ich damals bei ihm sitzen und seinen Worten lauschen.
Im Grunde genommen war mein Papa ein feiner Mann. Leider teilten nicht gerade viele Personen diese Einschätzung. Er ging auf die 60 zu und war stellvertretender Referatsleiter im Bereich der Eigentumskriminalität im Polizeipräsidium. Er hatte vor vielen Jahren in Notwehr drei Jugendliche erschossen, die bei uns eingebrochen waren. Vor lauter Panik hatte er damals gedacht, daß sie meiner Mutter und mir etwas antun wollten. Er wollte uns doch nur schützen, als er ihnen im Dunkeln mit seiner Dienstwaffe gegenüberstand.
Im nachhinein wurde der Einbruch von den Anwälten ihrer Eltern als schiefgelaufener Spaß dargestellt. Der Fall wurde aufgebauscht und mein Vater zunächst wegen dreifachen Mordes angezeigt. Die Medien machten ihm das Leben zur Hölle. Nachbarschaftsbefragung mit laufender Kamera, verleumderische Darstellungen seines dienstlichen Werdeganges und das Waschen schmutziger Wäsche in der Öffentlichkeit waren die gemeinen Psychowaffen, die sowohl seine Reputation als auch seine Persönlichkeit zerstörten. Aufgrund des Bildes, das die von den Anwälten manipulierte Presse von ihm zeichnete, ließen ihn Freunde und Vorgesetzte fallen. Erst in letzter Instanz hatte ein Richter den Mut, ihn von allen Vorwürfen freizusprechen. Aber bis dahin war er längst kaputt. Er hatte sich dem Alkohol zugewandt, in seine eigene kleine Welt zurückgezogen und lebte dort nun für sich – mitten in einem Kosmos aus Leid und Problemen. Er tat mir leid. Doch selbst ich fand immer wieder Rechtfertigungen, ihn nicht häufiger als unbedingt nötig besuchen zu müssen.
Die dunklen, mit leisen Selbstvorwürfen gespickten Gedanken schickte ich mit einem Handkuß in den Sommerhimmel. Sollten sie zurückkehren, wenn die Arbeit getan war. Jetzt hatte ich nicht die Zeit, mich weiter damit zu beschäftigen. Ich warf einen letzten Blick auf die malerische Kulisse des Burghofes. Dann huschte ich in den Raum hinter der Türe und schloß sie, so leise ich konnte. Unbemerkt war ich ins Innere gelangt. Das alles war doch bisher gar nicht mal so schwer gewesen.
Aus einem Seitenfach des Rucksacks zog ich eine große Taschenlampe mit LED-Leuchte und schaltete sie ein. In ihrem hellen Schein flimmerten unzählige kleine Staubflöckchen, die in sanften Brisen überall in der Luft herumtanzten. Zielsicher fand ich eine Wendeltreppe, die in die Tiefe führte. Langsam – fast schon ehrfürchtig – ging ich darauf zu. Meine Wanderschuhe knirschten in der am Boden liegenden Schicht aus Staub und Steinen. Ich verspürte einen gewissen Respekt davor, was mich im Keller erwarten sollte. Die Atmosphäre in dem alten Gemäuer hatte etwas Geheimnisvolles. Das war ganz deutlich zu spüren. Ich kam mir vor wie eine Entdeckerin, die mit klopfendem Herzen vor einem zum Greifen nahen, sagenhaften Schatz stand.
Die Treppe führte hinab in eine beeindruckende Folterkammer. Der Lichtkegel der Taschenlampe fuhr über die im ganzen Raum verteilten schaurigen Gerätschaften, die ich bisher nur aus Bildern und Geschichten kannte. Sie waren wesentlich größer und beeindruckender, als ich sie mir vorgestellt hatte. Es war unbeschreiblich, das erste Mal im gleichen Raum mit diesen Relikten der finsteren Menschheitsgeschichte zu sein.
Andächtig verharrte ich am Fuß der Treppe und wagte es nicht, mich zu bewegen. Hier stand ich an dem Ort, an dem bestimmt schlimmste Folterungen stattgefunden hatten. Das hier war nicht einfach nur ein Ausstellungsraum. Es war, als ob mir die Wände die traurigen Geschichten zuflüsterten, die sich hier einstmals abgespielt hatten. Das Grauhen der Vergangenheit war