Название | Gulaschpuzzle |
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Автор произведения | Lutz O. Korndörfer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373468 |
Als ich in die Küche ging, war es nach zehn, und trotz des beängstigenden Traumes war ich einigermaßen erholt. Boris beseitigte gerade fluchend die Auswirkungen seiner Saftvergiftung. Schuldbewusst hatte er bereits aufgeräumt und einen netten Frühstückstisch gedeckt. Es roch nach Kaffee, Toast und frisch gekochten Eiern. Sogar eine kleine Kerze hatte er angezündet. Ich setzte mich dankbar und wartete, bis er im Bad fertig war und sich zu mir gesellte.
»Was ist gestern passiert?«, fragte er. »O Gott o Gott, ich weiß gar nix mehr.«
»Kannst du dich nicht an Helen erinnern?« Ich setzte meine unschuldigste Miene auf.
»Wer? Wann war das?« Boris stand wirklich meterlang auf dem Schlauch.
»Na, ihr habt ziemlich heftig rumgeknutscht, und dann seid ihr in mein Zimmer verschwunden. Was ist da passiert, Boris?«, dehnte ich die letzten Worte. Er starrte mich mit weiten Augen an.
»Ogottogottogott, was hab ich getan?«, wimmerte er tonlos und blickte auf seine Hose.
»Was willst du ihr jetzt sagen, wenn ihr euch wiederseht? Ich kenne Helen. Die macht so was nur, wenn sie sich wirklich ganz tief und innig verliebt hat. Hässliche, etwas kräftige Frauen wie sie sind so.«
Es machte mir einen Mordsspaß, zuzusehen, wie Boris zweimal die Gesichtsfarbe wechselte und vor lauter Denkanstrengung die Augen verdrehte.
»Mensch Alter, so besoffen war ich doch noch nie. Warum haste nix unternommen?« Flehend streckte er die Hand nach mir aus.
»Du warst unkontrollierbar, spürtest nur noch des Fleisches Lust.«
Ich fing an zu grinsen und mein Lachen verstärkte sich durch Boris’ ungläubigen Blick, bis er erleichtert zu einem Schlag ausholte. Sein Arm traf jedoch nicht mich, sondern glitt in einem Halbkreis über mich hinweg, um ihn selbst aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er versuchte, sich mit der anderen Hand in der Butter abzustützen, und musste dann auch lachen.
»Ich muss dann mal los, Fuhre machen«, sagte er und rappelte sich auf.
»Mach mal Fuhre!«
»Bis später.«
Ich beschloss, mir nun endlich die Love Land-Papiere anzusehen. Die Unterlagen enthielten unter dem Vermerk »Nur zum internen Gebrauch« dezidierte Informationen zur Agentur inklusive minutiösester Selbstbeweihräucherung hinsichtlich des »einzigartigen Konzepts«. Angeblich hatte jeder zweite Deutsche schon mindestens einmal über die Kanäle Partnerschaftsagentur, Zeitung oder Internet amouröse Kontakte geknüpft. Dies ließ die unerschöpflichen Pfründe erahnen, nach denen Pawliczek seine Netze ausgeworfen hatte.
Es folgten die Tätigkeitsbeschreibungen des Agentur-Personals. Ich blätterte die Seiten durch, bis ich die urban trendy Job-Diskriptschn des Startup-Relation-Managers vor mir hatte. Da war zu lesen:
»Als Startup-Relation-Manager bist du an vorderster Love-Front im Einsatz – unser Love Angel im Außendienst. Du bist ein wahrer Gentleman, gepflegt gekleidet, und bereitest unseren Kundinnen und Kunden einen unvergesslichen Abend. Du flirtest niveauvoll und bist ein aufmerksamer Zuhörer, wahrst aber unter allen Umständen höfliche Distanz. Alkohol ist erlaubt, darf aber niemals deine Urteilsfähigkeit beeinträchtigen. Intimitäten mit den Kunden sind strikt verboten. Du gibst dich niemals, auch nicht Dritten gegenüber, als Mitarbeiter der Agentur zu erkennen. Du wirst den Kunden niemals deine Kontaktdaten überlassen, die Koordination der Treffen erfolgt ausschließlich über uns. Sollte es zu einem zweiten Treffen mit einem Kunden kommen, wirst du ihm danach freundlich, aber unmissverständlich vermitteln, dass es keinen weiteren Kontakt mehr geben wird.
Es wird deine wichtigste Aufgabe sein, diskret so viele Informationen wie möglich über deinen Kunden zu erlangen. Insbesondere Lebensgewohnheiten und -umfeld, Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Vorlieben, Hobbys und spezielle Neigungen sind von größtem Interesse, um die Vermittlung an andere Kunden der Agentur zu optimieren. Zu diesem Zweck sollte der Kunde/die Kundin Vertrauen zu dir aufbauen, sich aber nicht nachhaltig in dich verlieben. Du sammelst die Informationen auf einem speziellen Vordruck, den du im Anhang findest und auch separat von uns erhältst …«
Merkwürdig. Sehr merkwürdig. Ausspähen sollte ich die werte Kundschaft. Vertrauen schaffen. Nicht nachhaltig verlieben. Wie verliebt man sich denn nachhaltig?
Ich hatte noch nie ein Date über ein Internetportal vereinbart, und schon gar nicht über eine Partneragentur; darum war ich mit den Gepflogenheiten solcher Happenings nicht vertraut. Ebenso war mir nicht klar, ob auch andere Agenturen so arbeiteten. Etwas seltsam fand ich das Ganze schon, vor allem aber fragte ich mich, ob die Informationen, die ich erhalten würde, den finanziellen Aufwand meiner Anstellung rechtfertigten.
Ich betrachtete das Formblatt »Kundeninformationen«. Hier bot ein übersichtlicher Vordruck in tabellarischer Form reichlich Raum für sachdienliche Hinweise. Es wurde nichts ausgelassen. Die Kladde reichte vom monatlichen Verdienst über Verpflichtungen bis zu äußerst diskreten Lebensgewohnheiten. Je genauer die Angaben, desto gezielter konnte demnach verkuppelt werden. Mir kamen natürlich auch ganz andere Verwendungsmöglichkeiten in den Sinn. Vielleicht verscherbelte die Agentur die Infos an diese ekelhaften Telefon-Marketing-Kaschemmen. Dank derartiger Zweitverwertungen konnte uns Norbert vermutlich auch das entsprechende Geld zahlen.
Ferner gab es einen mehrseitigen Exkurs über Gesprächsführung. Hier erfuhr man, wie den Kunden ganz beiläufig Informationen aus der Nase gezogen werden konnten. Ich las diese Seiten aufmerksam, enthielten sie doch vielleicht wichtiges, unveröffentlichtes Material zur Verbesserung der Balz in alltäglichen Situationen. Ich musste jedoch feststellen, dass ich hier nichts lernen konnte. Nicht, weil ich ein so ausgeschlafener Casanova gewesen wäre, sondern vielmehr, weil sich die Erkenntnisse und Maximen der Love Land-Psychologie-Abteilung nur leicht über dem Level der Sandkastenkommunikation bewegten.
Ein ganz anderes Heft betraf die Allgemeinbildung. Damit wurden dem Agentur-Angestellten sowohl die Ingredienzien des kultivierten Tischgespräches als auch des belanglosen Smalltalks nähergebracht. Ganz im Stil von »Kultur, Finanzen, Wissenschaft, Geschichte und Sport für Dummies« konnte man sich hier geballtes Halbwissen anlesen, um es im passenden Gesprächsmoment eloquent abzusondern: Dax, Dow Jones, Tom Jones, Tom & Jerry, Bruttoinlandsprodukt, Nettostaatsverschuldung, Neo-Liberalismus, Surrealismus, Nationalsozialismus, Altes Rom, Neues Deutschland, Schwarze Löcher, Graue Panther, Blauer Bock, Honecker, Hrubesch, Hölderlin, Reagan, Rummenigge, Rasputin, Bach, Bohlen, Beethoven, Britney Spears, Twix, Tears for Fears, KIA, MIA, CIA, DDR, DDT, DVD, in puncto, in dubio, in medias res, Pippi Langstrumpf … Amen.
Mitten in diese bewusstseinserweiternde Lektüre platzte Paul, Doktor in spe, der an meine Tür klopfte. Er erkundigte sich nach Schraubenschlüsseln und weiterem Feinwerkzeug. Dr. Paul hatte nämlich im Internet ein Skelett erstanden und wollte es nun zusammenbauen. In meinem gerade aufgeputschten Wissensdrang interessierte mich das mächtig, und so folgte ich ihm mit meinem Werkzeugkoffer in seine Wohnung.
Auch ohne Skelett sah es in Pauls Wohnung bereits aus wie in einer Geisterbahn. An den Wänden hingen Fotos oder Detailzeichnungen von menschlichen Körpern, eine Mischung aus FBI-Zentrale und Drei-Zimmer-Serienmörder-Wohnung. Ich sah aufgespießte Insekten und die eine oder andere weiße Maus. Es roch nach Methanol und leichter Verwesung. In seiner Behausung bekamen Pauls Augen einen eigenartigen Glanz.
»Na, gefällts dir hier?«
Er