Gulaschpuzzle. Lutz O. Korndörfer

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Название Gulaschpuzzle
Автор произведения Lutz O. Korndörfer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373468



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Rasenmäher waren nicht gerade aus dem Designerladen. Das eintönige Geschleppe machte mich richtig fertig. Ich legte mich auf mein Bett, um ein wenig zu entspannen.

      Ich erwachte von einem dumpfen Schlag aus der Wohnung über mir. Es war stockdunkel, und eine geraume Zeit lang wusste ich nicht, wo ich mich befand. Ich hatte wüstes Zeug geträumt und schleppte mich träge durch den Flur. Es war halb neun. Beim Betreten des Badezimmers fiel mir die mangelnde Warmwasserversorgung wieder ein. Ich drehte den Hahn auf, in der Hoffnung, das Problem wäre durch schlichte Ignoranz einfach wieder verschwunden. Aber nichts dergleichen. Kaltes Wasser platschte in die Badewanne. Furchtbar, furchtbar. Es wurde Zeit, hier zivilisierten Wohnstandard in Form von stufenlos temperierbarem Wasser einkehren zu lassen, was auch meinem optischen Standard durchaus zugutekommen würde. Eine Kernsäuberung meiner Körperhülle war dringend notwendig. Also machte ich mich auf die Suche nach dem Hausmeister.

      Hausmeister wohnen immer im Erdgeschoss, sind schlecht gelaunt und haben Feinripp-Unterhemden an, sagte ich mir, als ich die Treppen nach unten schlurfte. Und ich hoffte inständig, mich jetzt nicht mit einem übellaunigen Feinrippträger herumärgern zu müssen.

      Im Erdgeschoss gab es drei Wohnungen. Ich klingelte an allen Eingangstüren, aber nur eine wurde geöffnet. Eine ältere Frau, freundlich und ohne Feinripp. Sie entpuppte sich zwar nicht als Hausmeisterin, erteilte mir aber die gewünschte Auskunft.

      »Da müssen Sie vorne in die Gaststätte gehen, zu Giovanni. Der kümmert sich hier um alles.«

      Ich bedankte mich und trat aus dem Seiteneingang in den Hof, dann durch das große Tor auf die Straße, um über den Gehsteig das Vorderhaus zu betreten. Ehrlich gesagt, war mir der Laden noch gar nicht aufgefallen. Ein unscheinbares italienisches Geschäft, wo es allerhand Essenszutaten, Öle, Weine und Nudeln gab. Mich wunderte, dass der Kollege noch geöffnet hatte, es musste schon nach 21 Uhr sein. In dem Laden sah ich neben der ganzen Palette an italienischen Lebensmitteln einige Tische, an denen ein paar Leute aßen, und grüßte freundlich.

      Am Tresen stand einer, der wie ein Giovanni aussah. Ich fragte ihn.

      »Hallo, ich bin Tom, sind Sie Giovanni?«

      »Scusi, ich bin Rafaele, Giovanni ist hinten.« Er deutete auf den angrenzenden Raum. »Giovanni, komm bitte, Besuch!«, rief er nach hinten und fragte mich: »Wollen eine Grappa?«

      »Si«, willigte ich ein.

      Mit dem Grappa kam Giovanni, ein kräftiger, charmant grinsender Rasse-Italiener, um die 45 Jahre, die Haare von der Farbe und Struktur des berühmten Ebenholzes. Strahlend begrüßte er mich. Ich schilderte ihm mein Problem in kurzen Worten.

      »Ahh, du wohnst in die dritte Stock. Is scheiss Wasser schon wieder kaputt?«

      Ich nickte.

      »Hast du schon was gegessen?«, fragte er, anstatt weiter auf das technische Problem einzugehen. Ich schüttelte den Kopf. Seit dem trockenen Müsli heute Morgen hatte ich nichts wirklich Nahrhaftes zu mir genommen. Giovanni pfiff schrill und machte einige wilde Handbewegungen, und schon saß ich an einem der Tische und wurde mit Salat, Brot, Nudeln und Wein ausgestattet.

      Es schmeckte vorzüglich. Aber leider, immer noch in Sorge um meine Reinlichkeit, sah ich Giovanni lediglich mit der Weinflasche von Tisch zu Tisch eilen, nicht jedoch mit der Rohrzange in unsere Wohnung. Egal. Ich genoss das Essen und ließ meine Blicke schweifen. Es mochten sich etwa acht Personen in dem kleinen Laden aufhalten. Es gab fünf Tische und den von meinem Tisch aus nicht einsehbaren Raum, aus dem Giovanni gekommen war. Vermutlich saßen dort weitere Gäste. Mir gegenüber, an einem anderen Tisch, hockte ein hagerer Mann mit langen blonden Haaren und bemalte vor ihm liegende Glasscheiben. Bei der Art und Weise, wie er das tat, hoffte ich, dass er nicht davon leben müsse. Mit merkwürdig ungelenken Bewegungen schwang er den Pinsel über das Glas und genehmigte sich in regelmäßigen Intervallen einen großen Schluck Wein. Auch Rafaele, als er dem Gast nachfüllte, schien mit dessen Kunst nicht zufrieden:

      »Was soll das sein, eh? Eine Thunfisch im Gras?«

      »Ach Rafaele, du hast keine Ahnung von Kunst. Ich werde das am Wochenende verkaufen«, sagte der Freak trotzig.

      Amüsiert sah ich mich schon als Beobachter der Berliner Kunstszene in erster Reihe. Diese Verrückten hatten mir in Duisburg gefehlt. Da gab es auch Verrückte. Aber nicht solche.

      »Wie findest du das?«, fragte er mich unvermittelt.

      Ich zuckte zusammen. Das ›Bild‹ sah aus wie eine grüne Wiese mit Bäumen.

      »Nu ja, äh, wird das ein Weihnachtsgeschenk?«

      Etwas Dämlicheres war mir nicht eingefallen. Ob meines mangelnden Kunstsachverstandes blickte der Freak mich verständnislos an. Da musste ich nachlegen:

      »Weißt du, die grünen Schattierungen sind sehr ausdrucksstark, aber der fehlende Kontrast zum Hintergrund verleiht dem Ganzen eine eher entmutigende Note.«

      Das saß. Ich spülte einen Happen Penne mit einem großen Schluck Wein herunter und beobachtete die zerstörerische Wirkung meiner sinnfreien Worte. Der Freak blickte minutenlang schweigend auf sein Werk, und gerade, als ich bei Giovanni neuen Wein orderte, warf er es ohne Vorwarnung gegen die Wand. Die Gäste erschraken, als die Scherben klirrend zu Boden fielen.

      »Du hast Recht«, sagte er nur und trank seinen Wein aus. Giovanni und ich blickten uns kurz entgeistert an, bevor wir gleichzeitig in lautes Gelächter ausbrachen.

      »Du bist neu in der Stadt?«, fragte Giovanni und setzte sich mit einer neuen Flasche Wein zu mir.

      Wir becherten fröhlich, und als ich zwei Stunden später gut abgedichtet die beschwerliche Heimreise in den dritten Stock antrat, rief er mir noch zu:

      »Ich komme morgen früh zu dir hoch. Du machst Frühstück, ich repariere Wasser.«

      »Alles klaro!«, röhrte ich.

      Mit einem tiefen Grunzen und nahezu vollständig bekleidet fiel ich auf mein Bett, nicht ohne meinen ersten Arbeitstag erschöpft, aber bestimmt zu resümieren:

      »Giovannis Pasteria – volle Punktzahl!«

      Das Geräusch der Türklingel war fürchterlich. Außerdem schien sie direkt an der Innenseite meiner Schädeldecke angeschlossen zu sein. Ein lupenreiner Fall von »Der hat doch nur Saft getrunken«. Betäubt vor Schmerz torkelte ich zum Eingang und öffnete. Giovanni. Au shit, der Herr über Warmwasser und Wein! Er grinste mich an. Erst jetzt bemerkte ich mein wenig gesellschaftstaugliches Äußeres: körpergebügelte Klamotten und eine aus Nicht-geduscht-Haben und reichlich Ethanolzufuhr resultierende Körperausdünstung.

      »Na, kennst meinen Vino noch nicht?!«

      »Jetzt schon«, stöhnte ich und tastete hilfesuchend nach Kaffee im Küchenschrank. Da war natürlich keiner, ich hatte ja noch kein bisschen eingekauft.

      »Giovanni, ich habe nix zu frühstücken«, murmelte ich verlegen.

      »Waas? Muss ich rufe Padrone, kriegst du Beton an die Füß’, und ab in die Spree, incredibile!«

      Er schnappte sich sein Handy und wählte. Mich durchfuhr ein fürchterlicher Schreck. Da ich nach einem »Der hat doch nur Saft getrunken«-Ereignis immer einen ganz kleinlauten Kreislauf hatte, fing ich an zu zittern und rang nach Luft.

      Giovanni, selbst überrascht von der Wirkung seines Spaßes, brüllte vor Lachen.

      »Nix dich wolle versenke, rufe nur meine Frau an, die bringt uns was Leckeres.«

      Ich war restlos fertig, aber immerhin wach.

      Polternd lief Giovanni mit einem Eimer voll Werkzeug ins Bad. Ich sah auf die Uhr: 8 Uhr 15. Wie konnte jemand so viel saufen und jetzt schon wieder Wasserleitungen reparieren? Vielleicht hätte Giovanni meinen Job übernehmen sollen. In seinem Blaumann und mit der Mütze, unter der fast nur der riesige Schnauzbart hervorschaute, erinnerte er mich irgendwie an Mario, den furchtlosen Klempner aus dem Videospiel. Amüsiert stand ich hinter ihm im Bad und wartete darauf, dass er sich gleich mit drei Saltos die Rohre hinaufschwingen