Название | Gulaschpuzzle |
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Автор произведения | Lutz O. Korndörfer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373468 |
»Ick hätte ja nich jedacht, dass du kommst!«, schrie er mich an, während er mir die Hand schüttelte. Nur ganz allmählich pegelte er seine Lautstärke auf die geringe physische Distanz zwischen uns ein.
»Sach Norbert zu mir. Det tun hier alle.«
»Thomas«, sagte ich, »Tom nennen mich die meisten.«
»Denn kommste mal mit in mein Büro.«
Norberts Büro war aufregend wie zwei Seiten Steuererklärung. Ein Schreibtisch, drei Stühle, ein Aktenschrank und drei Bilder, die aus verschiedenen Blickwinkeln ein und dasselbe Segelboot zeigten.
»Det is meine Lisa«, erklärte Norbert. »Schon mal gesegelt?«
»Äh, nein«, sagte ich schnell und schluckte die Bemerkung hinunter, dass Segeln in meinen Augen die absolut langweiligste aller Sportarten war. Neben Angeln. Und dass Anhänger beider Freizeitbetätigungen wohl einen argen Sprung im Genom …
»Det und Angeln, det entspannt!«, brüllte Norbert und stieß sich somit selbst polternd vom Sockel des Messias herab.
»Ach«, grinste ich verlegen und fragte mich, ob Segel-Norbert meine Gedanken erraten konnte.
»Det machen wir denn mal im Sommer zusammen«, drohte Pawliczek, und ich sah mich schon beim ersten Betriebsausflug auf der Lisa mit einem gemütlich angelnden Agenturchef, während ich keuchend die Segel setzte, Essen kochte und mir die Seele aus dem Leib kotzte. Ich versuchte, mich zu entspannen und das Gespräch auf die Arbeitsinhalte zu lenken.
»Was soll ich denn nun hier machen?«, wollte ich wissen.
»Weeßte Tom«, er beugte sich über den Schreibtisch, als wolle er mir ein Geheimnis anvertrauen, senkte aber seine Lautstärke keineswegs, »wat wir hier machen, is ja nix Neuet. Früher jabs die jute Kontaktanzeige inne Zeitung. Und jetze, schau dir ma um!«
Ich blickte auf weiße Wände und die drei Bilder.
»Äh, angeln?«, fragte ich verwirrt.
»Jenau!«, schrie Norbert. »Heute fischen doch alle im Netz, im Internetz.« Er lachte glucksend über seinen Witz. »Det is det neuje Jahrtausend. Verstehste?« Seine Stimme war kurz davor zu kollabieren. »Et jibt doch Millionen von den Seiten im Internet. Jeder kann sich heute seinen Traumpartner virtuell zusammenbasteln. Aber wer will det? Willst du dir 10.000 Bilda ankieken? Sieste! Det überfordart die armen Menschen. Deswejen heißt det Zaubawort immer noch: Vermittlung! Wir sieben det persönlich aus und helfen den Leutchen zueinander. Dann passt det ooch!«
Mit deutlich leiserer Stimme fuhr er fort: »Und noch ’n Zaubawort: Spezialisierung! Wir arbeeten altersklassenübergreifend. Junger Kerl, altes Mädchen. Junges Mädchen, alter Kerl. Die Agentur für die großen Unterschiede. Zumindest beim Alta, hahaha. Und wie du dir sicher denken kannst, jibts da auf der Junge-Kerle-Seite einige Defizite. Und da kommst du ins Spiel.«
Ich blickte ihn verstört an.
»Na, jetzt schau nich wie ’n Elch! Du bist unser Startup-Relation-Manager«, rief er und schlug bei jedem Wort auf die Tischplatte.
Na super, schon wieder so eine übertemperierte Tätigkeitsbeschreibung! Vermutlich sollte ich abends die Geschäftsräume feucht durchwischen.
»Also. Du jehst mit ’n Mädels weg, bist nett, damit se wissen, det se bei uns richtig sind. Und du sagst uns denn, wie die so ticken, Hobbys, Interessen, tralala, damit wir sie an den Richtigen vermitteln können. Also easy money, Kolleje. Bisschen wegjehn, quatschen, trinken, wat essen, tralala. Aber«, er hob die Augenbrauen, »nix Versautet.« Nix Versautet. Aha. Pawliczek machte mir Angst. Da holte er mich aus weiter Ferne und gab mir reichlich Geld dafür, damit ich das Gleiche machen sollte wie die letzten 20 Jahre in Duisburg: weggehen, quatschen und trinken. Und im Nix-Versautes-Machen hatte ich in letzter Zeit auch einige Übung. Wie viele »Mädels« waren wohl bei der Agentur gemeldet? Musste ich jeden Abend professionell trinken? Und wer bezahlte mir danach den Entzug?
»So wie du arbeeten noch paar andere.« Pawliczek schien meine Zweifel erraten zu haben. »Allet so schicke Jungens wie du, haha. Kolleginnen jibt es och«, zwinkerte er mir zu.
»Und dafür zahlen Sie, äh, deine Firma, mir 3.800 Euro im Monat …?« Zögerlich wollte ich mich nochmals vergewissern, dass es wirklich Geld für diese Tätigkeit gäbe.
»Plus Spesen!«, jubelte Pawliczek. »Natürlich sollten es nicht mehr als vier, fünf Bierchen am Abend werden.«
»Natürlich«, murmelte ich. Langsam erschien Pawliczek wieder im Glanz des Messias. In Gedanken rutschte ich vor ihm auf den Knien und huldigte seiner Gabe, mich gegen fetteste Bezahlung zum Weggehen und Trinken zu nötigen. Diese kleine Segel- und Angelbagatelle konnte dem im Nachhinein nichts anhaben. Gar nichts. Norbert Pawliczek war der Messias.
Es folgte ein Rundgang durch die heiligen Hallen der Love Land-Gemeinde. Überwiegend bestand die Belegschaft aus Programmierern, die sich um den »Content« und den »Workflow« der Website kümmerten. Typische Computer-Nerds, die, statt Industrie-Großrechner zu hacken oder World of Warcraft zu spielen, vermutlich ebenfalls mit hoch dotierten Arbeitsverträgen aus ihren mit Pizzakartons vermüllten Muffbuden rausgelockt wurden. Ich musste an unsere Wohnung denken. Neben der üblichen Buchhaltungs- und Personalbelegschaft gab es noch die Abteilung »Relationship & Statistics«. Hier wurden die Mitgliedsdaten verwaltet und das Kerngeschäft »Partnervermittlung« betreut und optimiert. Hier also sollte zusammenfinden, was zusammengehörte.
Pawliczek verstand es, Belangloses als absolute Weltsensation zu verkaufen. Entsprechend beeindruckt stand ich im Flur, in dem zwischen jeder Tür pausbäckige weiße Gipsengel mit Pfeil und Bogen auf Holzplatten geklebt an der Wand hingen. Gar nicht kitschig. Pawliczek schien einen speziellen Sinn für Romantik zu haben.
Er gab mir noch einen Stapel Unterlagen und den Hinweis mit auf den Weg, die Sache nicht allzu publik zu machen. Er murmelte etwas von »Konkurrenz schläft nicht« und ließ mich dann allein in der Empfangshalle zurück.
Wobei Konkurrenz ein gutes Stichwort war. Eigentlich hatte ich noch gar keine Vergleichsangebote eingeholt. Vielleicht gab es da ja noch viel mehr Kuppelagenturen, die nur darauf warteten, meiner gegen jegliche Art der Gegenleistung habhaft zu werden. Möglicherweise folgten diesem Auftrag bereits gut dotierte Jobs im Ausland: »Blue Banana – die Agentur mit Niveau auf den Bahamas« (6.500 Euro plus Spesen). So waren meinen Einsatzorten auf lange Sicht keine Grenzen gesetzt. Ich beschloss jedoch, nicht gleich vollständig abzuheben und erst einmal für Love Land mein Bestes zu geben.
Zweimal in der Woche, montags und donnerstags, sollte ich in die Love Land-Räume einschweben, um meine Arbeit zu dokumentieren und mit den übrigen Kolleginnen und Kollegen das weitere Vorgehen (Zechgelage) zu koordinieren.
Um 12 Uhr saß ich wieder in der U-Bahn und fuhr nach Hause. Meine Laune war bestens, und ich rief Helen an, um ein kleines Danke-für-den-Reiseführer-Treffen zu arrangieren. Außerdem musste ich jemandem diese ganze Love Land-Geschichte erzählen, und die Meinung einer Frau, die schon lange in dem Irrenhaus Großstadt lebte, konnte hier keinesfalls schaden.
Helen war im Stress, denn sie hatte noch zwei Sendungen vorzubereiten. Sie arbeitete und moderierte bei einem dieser neuen Internet-Fernsehsender. Art und Umfang der Inhalte standen unter dem Motto: billig, trashig und schnell. Es gab unter anderem Talk-, Kopfgeldjäger-, Baumarkt- und Autotuningshows. Wir verabredeten uns lose für den nächsten Abend und beendeten das Gespräch sehr abrupt. Schnelle Show, schnelle Gespräche.
Zuhause angekommen, begann ich die Sachen unseres Messi-Vormieters aus dem Flur in den Kellerverschlag zu räumen. Zumindest jene, die man ohne fremde Hilfe von der Stelle bewegen konnte. Am liebsten hätte ich den ganzen Krempel angezündet, oder in Nachnahme-Paketen jedes Einzelteil dem Vermieterarsch geschickt, oder den Kram einfach aus dem Fenster geschmissen, aber ich wollte es mir mit meinen schönen neuen Mitberlinern nicht gleich verscherzen. Ich merkte schnell,