Gulaschpuzzle. Lutz O. Korndörfer

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Название Gulaschpuzzle
Автор произведения Lutz O. Korndörfer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373468



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und schwor uns auf unsere Aufgaben ein. Auftreten und Erscheinung waren für Love Angels von besonderer Wichtigkeit.

      »Tom«, wandte er sich unvermittelt an mich, »was hast du da an?«

      Ich blickte an meiner Körperlinie hinab und versuchte, mit einer engelsgleichen Mimik den wenig repräsentativen Gesamteindruck meiner Trikotagen zu überspielen. Zwecklos. Die lieblos aufeinander gestapelten Kleidungsstücke zeugten von absoluter Missachtung grundlegender Moderegeln. Das rote T-Shirt, ein blau-weiß gestreiftes Hemd und ein grauer Pullover mit ausgeleiertem V-Ausschnitt verkeilten sich zu einem Denkmal verfehlten Geschmacks.

      »Da tut sich aber noch was bis zu deinem ersten Ausritt!?«

      Pawliczek sprach mit Nachdruck und nahezu hochdeutsch. Das meinte er wirklich ernst. Bei den Klamotten hörte der Spaß auf. Ich nickte wie ein Schuljunge und zupfte nervös an meinem Ärmel. Glücklicherweise war ich nicht der Einzige, der eine Ansage erhielt. Einige Love Angels hatten sich beim Ausfüllen der Informationsbögen Nachlässigkeiten erlaubt.

      »Wat seid ihr denn da für ’n Quark am Reden? Wir brauchen Informationen, keen Gequatsche!« Anscheinend waren die gesammelten Daten zu gehaltsschwach für den Messias. »Det muss besser werden. Ausquetschen, die Leutchen!«

      Nach dieser eindringlichen Standpauke erteilte Pawliczek Michaela das Wort. Die Love Angels bekamen ihre »Love Letters«: einen Terminplan, bestehend aus zusammengetackerten Blättern, auf denen Ort und Zeit der Treffen sowie Informationen über die Kunden verzeichnet waren.

      »Tom, du bist neu, ich erklär dir das mal«, begann Michaela, in meine Richtung gewandt. »Es kann sein, dass die Kundin dich ausgewählt hat und zu schüchtern ist, mit dir in Kontakt zu treten, und uns das machen lässt. Oder wir tun so, als ob du sie von dir aus ausgewählt hättest. Oder aber du bist unsere Empfehlung für die Kundin. Dann hat euch unsere Abteilung Relationship & Statistics als das perfekte Paar ausgewiesen. Deswegen ist es wichtig, dass du gut vorbereitet bist und von ihren Vorlieben weißt. Ihr passt nämlich perfekt zusammen.«

      Sie kratzte beim »perfekt« mit je zwei Fingern ihrer Hand Anführungsstriche in die Luft.

      »Alles, was du über die Kundin wissen musst, steht in der Liste.«

      Sie hob kurz ein Exemplar des Love Letter in die Höhe.

      »Alles, was wir über die Kundin wissen wollen, trägst du nach dem Treffen ein. Und schon kann sie sich das nächste Mal mit ihrem wirklichen Traummann verabreden. Weil wir ihr den mit deinen Angaben suchen können. Samstag ist natürlich Einsatztag, da treffen sich die Menschen gerne zum Flirten. Dafür ist meistens Sonntag und Montag frei. Das wars eigentlich. Wenn du Fragen hast, ruf mich gerne jederzeit an.«

      Die Love Angels überflogen ihre Einsatzplanung und gaben vereinzelt missmutige Kommentare ab.

      Pawliczek erhob sich. »Wenn keene Einwände bestehen, sehn wir uns Montag wieder. Machtet jut!«

      Ich blieb noch eine Weile sitzen und studierte meinen Love Letter. Morgen hatte ich den ersten Termin. Sie hieß Sandra und war 44 Jahre alt. Ich blickte auf Fotos fremder Frauen und las mich durch deren Eigenschaften, Hobbys und sonstige wissenswerte Details. Plötzlich schreckte ich hoch. Ich musste mit Pawliczek noch dringend über einen Vorschuss sprechen, auch und speziell um meine Garderobe etwas aufzuhübschen. Also ging ich zu seinem Büro. Hinter der geschlossenen Tür hörte ich laute Stimmen. Ich klopfte.

      Pawliczek brüllte: »Herein!«

      Severin und sein Assistent, Praktikant oder sonst was standen im Büro und machten einen erregten Eindruck. Auch Norbert war im Gesicht gerötet und sprach noch lauter als sonst.

      »Wat is los?«, schrie er mich etwas entnervt an.

      »Ich, äh, also, ich wollte nur fragen, ob ich etwas Vorschuss haben könnte. Ich bin etwas klamm und müsste …«

      »Jaja, keen Problem. Geh in die Gehaltsbuchhaltung, Frau Mahn, ick ruf da an. Zimma 759. Noch wat?«

      Pawliczek wollte mich loswerden. Irgendwas ging da vor sich. Ich schloss die Tür und blieb noch kurz stehen. Worüber die drei redeten, konnte ich nicht verstehen; ich ahnte jedoch, dass sie sich mächtig in der Wolle hatten.

      »Muss ick det ooch noch selber machen?«, brüllte Pawliczek.

      Seine Stimme überschlug sich, und ich merkte, dass er sich auf die Tür zubewegte. Erschrocken sprang ich um die nächste Ecke und legte den schnellen Gang ein. Als Pawliczek aus seinem Büro stampfte, erreichte ich Zimmer 759 und schlüpfte schnell hinein.

      Mit dem Love Land-Euro-Starterpack ausgestattet, ließ ich mich kurze Zeit später entspannt auf meinem Küchenstuhl nieder und verzehrte ein komplettes Hähnchen, das ich mir unterwegs gekauft hatte. Als die Türklingel Besuch ankündigte, war es bereits nach 19 Uhr.

      »Sie ist fertig!«, jubelte mir Dr. Paul entgegen und stürmte in meine Wohnung.

      »Wer ist … fertig?«

      »Na sie! Meine Knochenfrau!«

      Paul führte sich auf, als würde er gerade, massiv pubertierend, am Morgen nach seinem ersten fremdverschuldeten Samenerguss seinen Freunden gegenübertreten.

      »Na und, hattet ihr schon Sex?«, fragte ich feixend.

      »Blödmann«, nörgelte Dr. Paul und boxte mir in die Rippen.

      Ich schlurfte in den vierten Stock und begutachtete Pauls fertiggestellte Mitbewohnerin. Sie schien vollständig zu sein, nach meinem Laienwissen zu urteilen. Wohl oder übel fehlten jedoch die primären bis tertiären Geschlechtsmerkmale. Zumindest für mein Verständnis.

      »Schön«, sagte ich. »Gehen wir drei mal gemeinsam weg?«

      Ich nahm die knochige Hand der kalten Dame und schüttelte sie.

      »Vorsicht«, jammerte Paul, »tu ihr nicht weh!«

      Allmählich machte ich mir ernsthaft Sorgen um Dr. Pauls soziale Verträglichkeit. Wenn er sich in diese wahrhaftig totgelaufene Beziehung vertiefte, würden lebendige Kandidatinnen es bei ihm mächtig schwer haben.

      »Ich geh runter zu Giovanni. Wenn du Lust hast, kommst du einfach später nach«, sagte ich hastig und verdrückte mich.

      In Giovannis kleiner Nudelstube hockten zahlreiche Besucher. Natürlich saß auch der glasmalende Freak an seinem Tisch und versuchte verbissen, sein Lieblingsmotiv zu optimieren. Grüne Wiese und Bäume. Giovanni war an der Theke, und ich ging hinüber, um ihm sein Geld zu geben.

      »Trink erst mal eine Grappa«, sagte er und überschlug grob im Kopf meine Verbindlichkeiten. Ich blätterte einige Scheine auf den Tresen und setzte mich dann mit einem Glas Wein an einen Tisch am Fenster. Ich dachte an die merkwürdige Stimmung bei meinem Arbeitgeber und fragte mich, warum die drei in der Agentur so lautstark aneinandergeraten waren. Vielleicht nervten Pawliczek seine beiden Mitarbeiter. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass es da um mehr ging als nur um Probleme bei der Partnervermittlung.

      Rafaele brachte mir ein Viertel Wein mit Brot, und ich widmete mich erst einmal der Flüssigkeitsaufnahme. Was ich kurz darauf sah, ließ mir jedoch fast den Traubenmost aus dem Glas springen. Dr. med. »Death« Paul, Liebhaber des kalten Körpers, stand plötzlich im Raum – mit einer sehr lebendigen, warmen und unglaublich hübschen Begleiterin. Ich war so überrascht, dass ich die beiden mit halboffenem Mund ziemlich dämlich anstarrte.

      »Das ist Nadeshda, eine Kommilitonin«, eröffnete Paul das Gespräch.

      »Angenehm. Tom«, kaute ich und würgte schnell ein Stück Brot hinunter.

      Nadeshda war Russin, musste aber schon sehr lange in Deutschland leben, da sie fast ohne Akzent sprach. Lediglich einige Konsonanten klangen ein klein wenig zu hart, aber das gab ihr neben ihrem Äußeren einen ziemlich erotischen Touch. Nadeshda war für mich als Frau-Freund absolut unbrauchbar. Dazu war sie viel zu sexy. Ihre langen, braunen Haare umhüllten ihr markantes Gesicht mit den stechend grünbraunen Augen. Wir redeten belangloses Zeug, tranken Wein