Название | Gulaschpuzzle |
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Автор произведения | Lutz O. Korndörfer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373468 |
»Ausknobeln!«, entschied Boris nach einer kurzen Pause. »Der Verlierer macht den Profilerjob im Bad.«
Derartige Battles wurden durch das gute alte Schnick-Schnack-Schnuck im »Best of five«-Modus entschieden. Zur Kampfausrüstung zählten nur Stein, Schere, Papier. Den Brunnen verachteten wir, da er die Ausgeglichenheit der drei anderen Spielfiguren aushebelte, eine unangemessene Gewinnwahrscheinlichkeit von zwei zu eins besaß und parallel die Chancen des – bei uns nicht sonderlich beliebten – Papiers steigerte. Stattdessen erweiterten wir die Palette um »Kettensäge« und »Tütü«. Die »Kettensäge«-Geste – fünf ausgestreckte Finger senkrecht übereinander – zermetzelte standesgemäß alles. Die »Tütü«-Geste – Daumen zwischen Mittel- und Ringfinger – eliminierte die Kettensäge, verlor aber gegen alles andere.
Ich wählte die »Duisburg-Rheinhausen«-Eröffnung, einen Klassiker: zweimal Kettensäge, wurde aber von Boris durchschaut und lag prompt, durch »Tütüs« ausgekontert, aussichtslos im Hintertreffen. Es gelang mir zwar noch, den Anschluss herzustellen, ausgerechnet mit dem blöden Papier gegen Stein. Dann jedoch machte Boris nach zwei Remis mit einer fiesen Finte den Sack zu. Wir hatten die Finger-Augen-Hirn-Koordination schon so perfektioniert, dass ich Papier und Stein ausschließen konnte, dann aber fälschlicherweise Kettensäge zu erkennen glaubte, Boris aber in den letzten zwei Tausendstelsekunden drei Finger zurückzog und mich und mein Tütü übelst auflaufen ließ.
Hämisch lachend schnappte er sich die Autoschlüssel und lief pfeifend die Treppen hinunter, während ich mich zögerlich der Badewanne näherte. Als ich den schleimigen, mit undefinierbaren Inhaltsstoffen versetzten Morast mit einer verrosteten Schöpfkelle (aus der Küche) in einen oben aufgeschnittenen Wasserkanister (aus dem Flur) umfüllte, fragte ich mich, ob ich wegen des Vernichtens von Beweisstücken bei einem Kapitalverbrechen zur Verantwortung gezogen werden könnte. Das Aufrühren der Ekel-Emulsion setzte brechreizerzeugende Dämpfe frei. Bevor ich den Boden der Wanne erkennen konnte, musste ich 17 Mal nach unten zu den Müllcontainern laufen. Jedes Mal, wenn mir Boris auf der Treppe entgegenkam, zischte er »Mörder!« und verzog sein Gesicht zu einer Horrorfilmfratze. Als die Biotonne voll war, kippte ich den Rest ins Altpapier.
»So, ist alles oben, ich fahr mal. Komm dann übermorgen mit meinem Gerümpel.«
Es war drei Uhr durch, die Wohnung mit meinen Sachen jetzt hoffnungslos überfüllt, die Badewanne aber blitzblank.
»Ich denke, du wolltest noch duschen.«
»Haha, wollte dich nur mal putzen sehen, du heiße Schnitte, du. Tschö Tom!«
Weg war er, und ich stand allein in einer kontaminierten Zweizimmerwohnung in Berlin, Prenzlauer Berg. Ich wuchtete meine Matratze in mein Zimmer und legte sie vorsichtig auf den gläsernen Bodenbelag. Toll. Ich hatte noch nie auf Flaschen geschlafen. Wie ein richtiger Bier-Fakir.
Aus einem meiner Kartons fischte ich einen Berlin-Stadtführer und legte mich auf meine provisorische Schlafstätte. Helen hatte mir die nützliche Lektüre geschickt, als feststand, dass ich nach Berlin ziehen würde. Helen war eine alte Schulfreundin von mir, die schon vor vielen Jahren nach Berlin gegangen war und sich hier im sagenumwobenen Medienbereich tummelte. Außer Boris war sie der einzige Mensch, den ich hier kannte. Früher war sie ziemlich hübsch gewesen, und ich fragte mich, ob sie immer noch ihre langen, lockigen roten Haare hatte. Ich würde das prüfen.
Die Wiese sah irgendwie anders aus. Ich lief zwar wie gewohnt zwischen all den grünen Bäumen herum, aber das Grün war nun eher ein Graugrün. Ein Farbschleier hatte alles überzogen, wie in einer bekloppten Waschmittelwerbung. Irritiert stolperte ich fast über meine eigenen Beine. Nach einiger Zeit konnte ich kaum noch etwas sehen, aus dem Farbschleier war ein dichter Nebel geworden. Wie in Watte gepackt tastete ich mich vorwärts. Bis ich plötzlich mit dem Kopf ziemlich hart gegen einen der Mozzarellabäume knallte.
Der nächste Morgen war bereits der besagte »Montag in eener Woche« und wurde von unserem Vermieter eingeläutet. Mein Schädel brummte: Rührte das vom Aufprall gegen den Mozzarellabaum her, oder war die unmenschliche Uhrzeit die Ursache? Es war 7 Uhr 30.
»Na, da erwisch ich Sie doch noch«, frohlockte der gut gekleidete Wohnblockbesitzer.
»Na, da ham wir aber Glück«, grummelte ich.
Ich war froh, dass ich schon in der Lage war, meinen Namen auf das Übergabeprotokoll zu schreiben, und dass die 300 Euro für die Kaution noch vollständig beisammen waren.
»Was ist eigentlich mit den Sachen hier? Von möbliert war nicht die Rede.«
»Ach, das ist nicht von Ihnen?«
Witzbold, ich hatte ja nichts Besseres zu tun, als meinen Rasenmäher nach Berlin zu verfrachten. »Nein, nicht wirklich. Das alles hier nicht.«
»Tja, keine Ahnung. Laut Übergabeprotokoll wurde die Wohnung besenrein übergeben. Naja, das haben Sie jetzt auch unterschrieben. Auf Wiedersehn, Herr Ullmann.«
Besenrein. Ich wollte dem Vermieterarsch eigentlich direkt eine ballern, sah davon aber doch ab, bedankte mich artig dafür, dass jetzt all die tollen Sachen mir gehörten, und wünschte ihm einen schönen Tag.
Besenrein. Dreckige Meschpoke!
Ich schaute aus dem mit grünen Aufklebeblumen dekorierten Badezimmerfenster in ein graues, sinnloses Nichts von Wetter. Dabei erinnerte ich mich an Helens Worte, warum ich denn unbedingt im Winter in diese Stadt ziehen wolle, da könne man so schnell depressiv werden.
Hätte man werden können, aber ich hatte schließlich eine Lebensaufgabe.
Das Wasser aus der Dusche war kalt. Wieder etwas, was ich nicht mochte. Ich betropfte mich mit schaurig kaltem Wasser und tappte frierend zur Küche. Im Schrank fand ich etwas Müsli, und da sich noch keine Tiere darin vergnügten, aß ich davon. Würde heute mal einkaufen und einen Hausmeister finden müssen.
Ich nahm die U-Bahn und starrte aus dem Fenster ins Dunkel des Tunnels. Trotz der aufgeheizten Luft fröstelte ich zwischen all den Menschen. Irgendetwas schien mit einer hässlichen Fratze zu mir hereinzuschauen. Plötzlich musste ich an letzte Nacht denken, an meinen Traum und daran, dass sich da etwas an meiner Wiese verändert hatte. Ich fand das gar nicht schlecht. Es war doch klischeehaft genug, überhaupt von einer Wiese mit Bäumen zu träumen, also hätte ich jede Veränderung in meiner Traummonotonie willkommen heißen sollen. Aber so richtig wohl war mir nicht dabei.
Ein stiller Anfang im dezenten Grauschleier.
2. Startup Relation Management
Nach einer knappen halben Stunde erreichte ich den Bürokomplex, in dem die Love Land-Partnerschafts-Agentur ihre Räumlichkeiten besaß, und betrat die verschwenderisch proportionierte Empfangshalle. Es war sehr viel grauer Marmor verbaut worden, der dem ganzen Ambiente eine protzige Atmosphäre verlieh. Vorder- und Rückseite waren vollverglast, so dass es innen relativ hell war. In der Mitte, gegenüber den beiden Aufzügen, stand ein wuchtiger Tresen, hinter dem recht verloren eine einzelne Person saß. Ich fragte nach Norbert Pawliczek.
Die nette Empfangsdame hatte einen viel zu engen Pulli an, und um zu vermeiden, dass ich dies unter Umständen hätte übersehen können, strich sie mit der freien Hand ihre üppigen Konturen nach, während sie nach Pawliczek telefonierte.
»Fahren Sie mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock, Herr Pawliczek holt Sie dort ab«, säuselte sie mir zu.
»Danke, Frau Hennich«, sagte ich nach einem verstohlenen Blick zum Namensschild auf der mir zugewandten Erhebung ihres Pullis.
»Frollein Hennich«, flötete sie.
Ich lächelte beschwichtigend und suchte umgehend das Weite.
Als ich den siebten Stock erreichte, war Pawliczek noch nicht da. Ich setzte mich auf einen unbequemen Designerstuhl und blickte durch die Scheiben der Großraumbüros. Es ging gemächlich zu bei der Love Land-Partnerschafts-Agentur, zumindest an diesem Montagmorgen. Und bis Norbert Pawliczek auftauchte. Pawliczek