Gulaschpuzzle. Lutz O. Korndörfer

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Название Gulaschpuzzle
Автор произведения Lutz O. Korndörfer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373468



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      »Willst du was trinken?«, fragte er mich freundlich, und ich hoffte, dass er die gereichten Getränke nicht mit irgendwelchen Urinproben im Kühlschrank verwechseln würde. Er brachte mir ein Glas Wein, und ich roch vorsichtig daran.

      Wir erreichten das Wohnzimmer, auf dessen Boden verteilt unzählige Knochen lagen. Ob er das wirklich aus dem Internet hatte? Oder war er nicht doch mit Schaufel und Spitzhacke auf dem Friedhof unterwegs gewesen? Oder hatten diese physischen Reste vor ein paar Tagen noch in unserer Badewanne gelegen? Paul stellte klassische Musik an, und wir begannen die Knochen zu sortieren. Er kannte wirklich jeden einzelnen. Das beeindruckte mich sehr. Unter seiner Anleitung sortierte ich die Knochen der oberen Extremitäten auf einen Haufen. Paul nahm sich zunächst die Beine vor. Nach gut einer Stunde begann er, die Knochen mit Draht zu verbinden. Er hatte einen Metallständer für das Skelett besorgt, an dem schon der Kopf baumelte.

      »Ist das eine Frau oder ein Mann gewesen?«, fragte ich.

      »Eine Frau«, antwortete Paul. »Man kann das gut an den Oberschenkelknochen erkennen.«

      Was war das wohl für eine Frau, die hier bald bei Paul in der muffigen Bude hängen würde. Ich selber, wenn ich da mal für meine Gebeine sprechen durfte, mochte nicht nackt bis auf dieselben im Wind baumeln. Lieber schön gemütlich unter der Erde liegen und langsam, genüsslich herummodern und mit Würmern kuscheln.

      Paul kannte nicht nur jeden Knochen, er wusste auch, wo jeder einzelne von ihnen hingehörte. Die Wirbelsäule mit ihren Rippen war bereits komplett und wurde mit Draht am Kopf befestigt. Danach reichte ich Paul die einzelnen Arm- und Beinknochen. Nach einiger Zeit hatten wir dann erst einmal genug von der Bastelei und beschlossen, noch etwas trinken zu gehen.

      Wir fuhren mit der U-Bahn nach Friedrichshain und suchten eine so genannte Szene-Kneipe auf, in der Paul wohl des Öfteren verkehrte. Für einen Mittwoch war es erstaunlich voll. Die kleinen, roten Tische waren alle besetzt, lediglich an der Bar fand sich noch ein wenig Platz. Dorthin begaben wir uns und bestellten zwei Cocktails. Die Musik drehte eine erschöpfende Runde durch die Achtzigerjahre. Wir nippten an unseren Gläsern und schauten uns um. Mir fiel die gemütliche Atmosphäre auf. Fast alle Besucher waren so gemütlich, dass man meinen konnte, eine Truppe Versicherungsmakler auf einem Exkursionsseminar hätte sich zur Gruppenarbeit zurückgezogen. Die zwei Frauen neben uns an der Bar waren die Einzigen, deren Stimmen gewissen Lautstärkeschwankungen unterlagen: vom lästernden Tuscheln, wenn neue Damen das Lokal betraten, bis zum Geräusch eines getunten Zahnarztbohrers, wenn sie treffsicher einen äußerlichen Makel bei einer Geschlechtsgenossin entdeckt hatten. In einer ihrer seltenen Gesprächspausen fragte ich Paul ein wenig zu laut:

      »Hast du nur das eine Skelett in deiner Wohnung?«

      Paul, der augenzwinkernd in meine Konversationseröffnung einschwenkte, antwortete: »Eigentlich zwei, an dem anderen ist aber noch etwas Fleisch dran. Das muss erst mal ein wenig abhängen, bevor man es gut vom Knochen bekommt.«

      »Und wann können wir’s dann schälen?«

      »Na, so drei Tage sollte der Freund noch in der Küche hängen bleiben.«

      Die beiden Frauen neben uns hatten kein Wort mehr gesagt, und ich schaute, beschwichtigend mit dem Kopf nickend, zu ihnen hinüber. Ich blickte in zwei fassungslose Augenpaare.

      »Keine Angst«, sagte ich, »dies hier ist Paul, Doktor und Extrem-Mediziner. Ich bin Tom, sein persönlicher Assistent und Präparator von Gebeinen und Kadavern. Da bin ich aber entzückt über derart lebendige und liebliche Geschöpfe, wie ihr es seid.«

      Wenn das mal nicht astreine Love Land-Konversation war. Sonja und Carmen waren sichtlich erleichtert, obwohl sie uns noch etwas skeptisch musterten. Anscheinend warteten sie darauf, dass uns noch der eine oder andere Daumen aus der Jackentasche fiel.

      »Es wäre töricht, wenn ich mein Interesse verhehlen würde, Sie zu – sezieren«, attackierte ich Carmen, die lachend einen Schritt zurücktrat. Sie war recht groß, schlank und um die dreißig, hatte lange blonde Haare. Dr. Paul schien in Gedanken bereits Sonjas Kleidungsstücke mit dem Skalpell zu bearbeiten. Zumindest hatte er bereits zur Sprechstunde gebeten und die beiden redeten angeregt. Carmen wollte von mir wissen, ob ich wirklich mit Leichen zu tun hätte. Ich lächelte kopfschüttelnd.

      »Was machst du denn?«, fragte ich sie schnell, um nicht über meinen Job reden zu müssen.

      »Ich bin Meteorologin, ich mache das Wetter.«

      »Welches denn? Das gute oder das schlechte?«

      Ich vertrat die These, dass Wetterberichte schlichtweg überflüssig, weil so gut wie immer falsch seien. Carmen widersprach dem natürlich heftig. Es war ihr Job, und ohne Wetterbericht hätte sie keinen gehabt.

      »Und was machst du so?«

      Das hatte ich befürchtet.

      »Och, bin gerade neu in der Stadt, mal sehen«, sagte ich ausweichend. »Sag mal, hast du schon mal ’n Kerl übers Internet kennen gelernt?«

      »Oh mein Gott«, Carmen schlug die Hände vors Gesicht, »erinner’ mich nicht daran!«

      »Wieso?«

      »Alles Psychopathen.«

      »Psychopathen? Hackebeil?«

      »So ähnlich, ja.«

      Sie lachte albern. Ich wusste nicht recht, ob ich mich diesem Thema weiter nähern sollte, und blickte unschlüssig in die Luft.

      »Wie viele verrückte Geschichten kannst du vertragen?«, fragte sie plötzlich.

      »Ich stehe auf verrückte Geschichten. Leg mal los!«

      »Naja, ich hab mich mal mit ’nem Jungen getroffen. Der war echt sweet. Sah toll aus und hatte was im Kopf. Dachte ich zumindest. Wir waren dann eine Weile zusammen und so. Irgendwann hab ich mich gewundert, dass er manche Sachen einfach vergessen hat. Weißt du, wenn man so sagt, lass uns in dem Café treffen, in dem wir vor zwei Wochen waren, wo mein Essen total scheiße war, und er so, welches Café, wo war das noch mal? Oder einfach Sachen, die ich mochte, verstehst du?«

      Ich nickte.

      »Ich dachte, der hat Probleme mit dem Gedächtnis oder hat sich’s weggesoffen oder so was. Hab mir da echt schon Gedanken gemacht. So, und dann irgendwann im Bett dachte ich: Hier stimmt doch was nicht. Irgendwas ist anders. Na, was glaubst du, was da los war?«

      »Hm, das waren – Zwillinge?«

      »Nein.« Sie machte eine Pause und atmete geräuschvoll ein. »Es waren drei

      »Nein!«

      »Doch, einer hat mich angegraben, und dann haben die schön durchgewechselt. Ich bin so dermaßen ausgerastet.«

      Carmen wedelte wild mit den Armen durch die Luft. Sie hatte wirklich gute Geschichten drauf. Glücklicherweise konnte sie auch selbst darüber lachen. Die Musik war zwischenzeitlich um einiges lauter geworden, so dass wir sowohl näher zusammenrücken als auch lauter sprechen mussten. Ich blickte zu Paul hinüber, der den Kopf auf seine Hände stützte und mich breit angrinste. Die medizinischen Getränke wirkten. Sonja war gerade auf der Toilette. Als sie zurückkam, zog sie sich die Jacke an und schien aufbrechen zu wollen. Offenbar war Dr. Pauls Sprechstunde beendet. Meine ebenfalls, da mir Carmen eröffnete, sie müsse Sonja nach Hause fahren. Ich fragte nach ihrer Wetter-Beschwerde-Hotline-Handynummer. Sie lächelte und kritzelte sie mir auf einen Bierdeckel. Sonja hatte es ziemlich eilig, und hastig verabschiedeten wir uns. Ich fragte Paul, womit er die Dame verschreckt hätte. Er grinste nur und trank sein Glas leer.

      »Die hatte kein Herz«, kicherte er seltsam.

      »Medizinisch oder bildlich gesprochen?«

      »Die hatte kein Herz«, wiederholte er nur und stierte über die Theke. Paul hatte sich wirklich gründlich mit Cocktails zugrunde gerichtet.

      »Frauen sind merkwürdig«, brabbelte er vor sich hin, während er sich unbeholfen in die Jacke wickelte. »Ich habe ja noch eine