Gulaschpuzzle. Lutz O. Korndörfer

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Название Gulaschpuzzle
Автор произведения Lutz O. Korndörfer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373468



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hätte während einer Studienreise durch Westafrika einen Stamm besucht, dessen Mitglieder jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang ihr rechtes Ohr auf die Erde legten und die Erdschwingungen aufnahmen, um diese als Rhythmus für ihre Tänze zu verwenden. Tanzen mussten sie natürlich liegend, da ihr Kopf ja am Boden klebte. Dieser Erd-Groove war somit auch der legitime Vorläufer des Hiphops. Außerdem wurden die Anwohner nicht durch laut aufgedrehte Radiorecorder belästigt.

      Derartig seriös vorgetragener Unfug beeindruckte mich, und ich schickte mich an, meinerseits aus dem Füllhorn der Dummschwätzerei zu schöpfen. Ich betrachtete diese Konversation als willkommene Generalprobe für mein morgiges Dienstgespräch. Dr. Paul sagte schon seit geraumer Zeit nichts mehr, er schien seinen Promillezenit einmal mehr hoffnungslos überschritten zu haben.

      Mit ernster Miene referierte ich über ein kürzlich erst im australischen Busch entdecktes Lebewesen: das Furzferkel. Es machte sich seine rektalen Gerüche zur Abschreckung natürlicher Feinde zu eigen. Die Tiere waren zwar nur zehn Zentimeter groß, ziemlich fett und träge, hatten aber in ihrer Jahrtausende währenden Evolution ihre Verdauung zur heimtückischen Waffe vervollkommnet. Ein Angreifer von der Größe eines Präriehundes, besprüht mit diesen toxischen Winden, wurde für 30 Minuten kampfunfähig und konnte zudem bei häufigem Kontakt motorische Langzeitschäden davontragen. Die australische Bevölkerung versuchte die Tiere, nachdem sie entdeckt worden waren, zur Biogasgewinnung zu züchten. Forscher rechneten bereits einen benötigten Bestand von 3,5 Millionen Furzferkeln hoch, um die komplette Energieversorgung Sydneys zu gewährleisten. Hier lag jedoch das größte Problem, da sich die Tiere nur äußerst schleppend vermehrten. Ein Furzferkelweibchen brachte in der Regel nur vier Junge pro Jahr zur Welt, die dazu in den ersten Lebensmonaten noch nicht gegen den Kampfstoff der Mutter resistent waren. Dies führte dann oft zu tragischen Unfällen, wenn es die Muttersau nicht rechtzeitig aus dem Bau hinaus schaffte und ihre Höhle kontaminierte.

      »So ein Unsinn«, schaltete sich nun Dr. Paul ein. »Die vermehren sich schneller als Fruchtfliegen. Sie sind eine teuflische Bedrohung!«

      Er grunzte geheimnisvoll und wankte zur Toilette. Zeit für eine Grübchenattacke.

      »Ich wohne hier oben, im dritten Stock«, sagte ich schnell zu Nadeshda und deutete nach oben. »Hast du Lust, meine Furzferkelzucht zu sehen?«

      Sie blickte in Richtung Toilette, überlegte kurz, stand auf und ging zur Tür. Ich blieb dicht hinter ihr, führte sie ins Treppenhaus und schließlich in meine Wohnung. Im Flur zog sie mich ruckartig an sich und wir fingen an uns zu küssen. Nadeshda war stürmisch und fordernd, mir wurde leicht schwindelig vom Wein, vom Aufrechtstehen und von ihrem Temperament. Langsam und umschlungen bewegten wir uns den Flur entlang, uns gegenseitig an den Klamotten zerrend. Gerade als meine Hand ihre weiche Haut am Rücken ertastete, klingelte es. Es klingelte! Es klingelte nicht kurz, es klingelte permanent, dazu schrie Paul wie ein Irrer im Treppenhaus:

      »Nadeshda? … Tom? Seid ihr hier? Haallooo!?«

      Hier war sie: die Mutter aller Situationen, für die Mach sitz! erfunden worden war. Paul hätte ich in fünf Sekunden kampfunfähig gemacht, vermutlich sogar in drei. Wenn er darauf abgerichtet gewesen wäre. Ich musste Mach sitz! unbedingt in Berlin etablieren. Jetzt war es zu spät. Sämtliche Hormonzufuhr wurde abrupt abgeriegelt. Nadeshda, die eben noch mit geschlossenen Augen an mir gehangen hatte, hatte diese jetzt weit aufgerissen und drehte sie genervt nach oben. Ich überlegte kurz, Paul einfach ohne Mach sitz! das Licht auszuknipsen, schritt dann aber langsam zur Tür und öffnete sie.

      »Was machst du denn für einen Alarm?«, sagte ich gedehnt. »Nadeshda wollte nur kurz mal mein Bad benutzen.«

      Paul war völlig außer Atem, und seine Augen hetzten von mir zu Nadeshda und zurück. Nadeshda tauchte hinter mir auf und zupfte an ihrer Kleidung.

      »Ich dachte … ich wollte nur … vielleicht ist was passiert«, stammelte Paul.

      »Was soll denn passiert sein?«, kaute Nadeshda und drückte sich an uns vorbei ins Treppenhaus.

      Zurück in der Pasteria, zahlte ich die Getränke und verabschiedete mich von Giovanni. Merkwürdigerweise konnte ich Paul oder Nadeshda nirgends entdecken. Ich war nun etwas verwirrt und ging zögernd wieder hinauf. Es war mir nun meinerseits zu dämlich, vor Pauls Wohnung noch mal die gleiche Show abzuziehen und nach Vollendung des Liebesspiels zu heulen wie ein getretenes Furzferkel.

      Auch diesen seltsamen Tag wollte ich nicht ohne einen Blick ins deutsche Fernsehen ausklingen lassen. Es lief eine äußerst spektakuläre Teleshop-Folge. Darin wurden Kopfbedeckungen feilgeboten, die gefährliche elektromagnetische Strahlungen vom Kreditkartenzahler fernhalten sollten. Die Hüte sahen aus wie die rot-weiß gestreiften Pylonen auf Autobahnbaustellen, und ich fragte mich, wer sich damit wohl ungestraft durch die Öffentlichkeit bewegen konnte. Der freundliche Verkäufer hatte einen aufschlussreichen Versuchsaufbau im Studio vorbereitet und konnte damit zweifelsfrei nachweisen, dass ein Handy, ein Radiowecker und ein Toaster die messbare Temperatur am Kopf um mindestens 0,1 Grad Celsius zu erhöhen vermochten. Ich vermutete, dass sich der Vorteil, mit so einer Kopfbedeckung unbedenklich mobil telefonieren zu können, dadurch relativierte, dass den derart bekleideten Käufer wohl bald niemand mehr anrufen würde. Der Verkäufer und der Moderator gaben alles. Modisch bekleidet und geschützt gegen 8000 Gigawatt fürchterlichste Strahlung hüpften sie hochmotiviert durchs Bild. Keineswegs vergessen wurden auch die immer wieder problematischen Wasseradern und Erdstrahlungen. Wie verstrahlt da wohl die Erd-Groover aus Afrika sein mussten – tanzend, ständig mit dem Ohr an der Gefahr, den Strahlen oder den Wasseradern schutzlos ausgeliefert. Na ja, wenigstens gab’s dort keine Handys. Ich beschloss, für das Elektro-Ex-Paket keine 149 Euro plus Versand auszugeben und mit meinen Elektrogeräten weiterhin in inniger Harmonie und ohne Argwohn zu koexistieren. Stellvertretend für alle Stromverbraucher dieser Erde schaltete ich umgehend den Fernseher aus und boykottierte die TV-Veranstaltung durch Spontanschlaf.

      Ich fiel von meinem Mozzarellabaum. Dort oben saß ich ja oft und sah alles Mögliche, aber runtergefallen war ich noch nie. Ich fiel durch die Wiese in ein seltsames Nichts. Für eine Weile war es totenstill. Dann fand ich mich in einem abgedunkelten Raum wieder. Ein wenig erinnerte er mich an Giovannis Restaurant, es war allerdings kalt und ungemütlich. Überall an den Wänden standen geöffnete Särge, denen nach und nach Skelette entstiegen. Die Gerippe setzten sich an einen großen Tisch, der von einer tiefhängenden Lampe beleuchtet wurde. Sie rauchten und tranken Rotwein. Ich nahm auf dem einzigen freien Stuhl Platz und zündete mir auch eine Zigarette an.

      »Mach die Kippe aus, das stört mich!«, blaffte der rauchende Knochenmann neben mir.

      »Äh, aber ihr …«

      Ich bekam eine kalte Faust in die Rippen gestoßen und spuckte die Zigarette in hohem Bogen aus. Irritiert blickte ich mich um.

      »Teil aus!«

      Vor mir auf dem Tisch lag ein Kartenspiel. Die Skelette schauten mich erwartungsvoll an und klapperten leise mit ihren Fingerknochen. Wir spielten Strippoker. Keine Ahnung, durch welche unbedachte Äußerung ich da wieder hineingeraten war. Nachdem ich die Karten verteilt hatte, wurde das Klappern lauter. Ich verlor das Spiel und musste meine Jacke ausziehen. Nun teilte mein linker Nachbar aus. Er hatte noch etwas Fleisch an den Armknochen und schwitzte unappetitlich. Auch dieses Spiel verlor ich, wie auch die folgenden, bis ich nackt auf meinem Stuhl saß. Mich beschlich der Verdacht, dass sich meine Mitspieler mit dem Fingergeklapper über den Inhalt ihrer Karten austauschten. Als ich das nächste Spiel ebenfalls verlor, kamen zwei der Knochenmänner mit großen Messern auf mich zu, um mir das Fleisch von den Armen zu schneiden. Ich schrie auf und rief: »Betrug, ihr habt mich beschissen! Das gilt nicht!« Mein Gezeter beeindruckte die Skelette herzlich wenig. Sie hielten mich fest und begannen, mit ihren Messern langsam meine Haut aufzuschlitzen. Ich schrie so laut auf, dass ich von meinem eigenen Gebrüll erwachte. Mir war furchtbar schlecht und ich musste würgen.

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