3 zu viel für diesen Job. Herwig Silber

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Название 3 zu viel für diesen Job
Автор произведения Herwig Silber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943941593



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Statt einer Krawatte trug er eine zart gemusterte Fliege, die beim Sprechen, er war gerade an der Reihe, sich vorzustellen, lebhaft auf und ab flatterte. Unterhalb des Gürtels zeigte sich ein leichter Hüftansatz, den er durch dezente, in den Anzugstoff eingewebte Längsstreifen, zu kaschieren suchte. Im Vergleich zu Marrs angehender Moppeligkeit, wirkte der neben ihm sitzende Dr. Stein mit seinem durchtrainierten, fast hageren Körper und den scharf geschnittenen Gesichtszügen wie ein Modellasket. Noch etwas fiel Lauenroth auf. Irgendwie passte der Mann nicht so recht in diese Runde. Vielleicht weil er älter war und eine Spur distinguierter wirkte als die drei anderen. Oder lag es an der Besonderheit des »Seiteneinstiegs«? Blieb Rita Sessinger, die in natura nicht so hübsch aussah wie auf ihrem durchgestylten Bewerbungsfoto. Gleichwohl besaß sie eine interessante, unverwechselbare Note, die durch ihr intensiv leuchtendes kupferfarbenes Haar maßgeblich mitbestimmt wurde. Im Gegensatz zu Evelyn Skrotzkis frechem, stupsnasigem Gesicht wirkte ihres glatt, fast schon ein wenig bieder. Lauenroths Blick wanderte über die helle Bluse mit dem winzigen Ausschnitt, weiter den halblangen anthrazitfarbenen Rock hinab, zu ihren wohlgeformten Waden, von denen er sich kaum lösen konnte. Bevor er Gefahr lief, dass sein Gaffen irgendjemandem auffiel, begann er geschäftig in seinen Unterlagen zu blättern.

      Nachdem auch von Kampen als Letzter in der Runde seinen Lebenslauf vorgetragen hatte, stand Herzberg auf, um die Besonderheiten des Auswahlverfahrens zu erläutern.

      »Sie kennen alle die klassische Art des Vorstellungsgesprächs. Aussichtsreiche Bewerber werden eingeladen und von einem Auswahlkomitee wie am Fließband examiniert. Das Ganze geschieht häufig im Dreiviertelstundenrhythmus, in lockerer Gesprächsrunde bei Kaffee und Plätzchen – ich überspitze jetzt mal. Aber im Ernst, wie soll unter solch kuscheligen Bedingungen die entscheidende Schlüsselqualifikation einer Führungskraft – nämlich Entscheidungssicherheit unter Stress – herausgearbeitet werden?«

      »Ich sag mal …«, meldete sich Marr, doch Herzberg fiel ihm ins Wort.

      »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Natürlich gibt es verschiedene Ansätze, um die Führungsfähigkeit zu testen. Aber nach meiner Erfahrung traut man sich dann doch nicht so tief zu bohren, wie es nötig ist.« Sessinger hüstelte und stopfte sich einen Bonbon in den Mund. Herzberg zog einen schwarzen Filzstift aus einem Plastiketui: »Wovon spreche ich?« Er begann, auf eine Folie zu schreiben, Lauenroth regelte eifrig die Bildschärfe am Projektor nach. »Ich spreche von Einfühlungsvermögen, Führungsstärke, Flexibilität, Verhandlungsgeschick und Durchsetzungskraft. Kurzum stellt sich die Frage, verfügt der Kandidat oder die Kandidatin über das erforderliche Bauchgefühl?« Herzberg umrundete das Geschriebene mit dem Filzstift und blickte in gespannte Gesichter. »Eine entschiedene Geste, ein klares Wort oder eine blitzschnelle Reaktion, und zwar im entscheidenden Moment, kann im Job entweder zu einem triumphalen Erfolg oder zu einer katastrophalen Niederlage führen. – Ja, bitte, Herr von Kampen?«

      »Herr Herzberg«, Kampen räusperte sich, »wir haben uns laut Ausschreibung auf eine Führungsposition in einem aufstrebenden Unternehmen beworben. Dass Sie den Namen der Firma im Moment nicht preisgeben wollen oder nicht preisgeben dürfen, finde ich bedauerlich. Gut, ich muss es erst mal so akzeptieren. Aber was ich nicht verstehe, ist, dass Sie, wie haben Sie es genannt, augenscheinlich unser Bauchgefühl ergründen wollen. ›Bauchgefühl‹, das hört sich an wie … wie Darmwinde.« Ein allseitig unterdrücktes Glucksen und Kichern hob an. Herzberg zauberte ein verbindliches Lächeln auf seine Lippen, obwohl es in ihm brodelte.

      »Wie ich eingangs sagte, Herr von Kampen, fachliches Können setze ich bei jedem von Ihnen voraus. Wenn das alles wäre, was Unternehmen von ihren zukünftigen Spitzenkräften erwarten, man könnte sich das Honorar für meine Dienste sparen.« Er schlenzte den schwarzen Filzstift lässig auf die Tischplatte. »Nehmen Sie zum Beispiel einen gut ausgebildeten Juristen, einen, der alle Rechtsverordnungen und Paragrafen aus dem Effeff kennt. Damit ist er beileibe noch kein guter Anwalt. Was ihn erfolgreich macht, ist, neben seiner Expertise, seine intuitive Erfahrung.« Herzberg trat dicht an Kampens Tisch heran. »Für Ihre klugen Ideen, fundierten Empfehlungen und rechtzeitigen Warnhinweise ist man bereit, gutes Geld auszugeben. Fantasielose Lehrbuchakademiker haben in Führungsetagen auf Dauer keine Chance. Aber da erzähle ich Ihnen sicherlich nichts Neues.«

      »Ist Ihr Unternehmen eigentlich zertifiziert?«, es klang scheinheilig. »Mit Sicherheit kennen Sie die Norm 33430, nach der diagnostische Testverfahren und Kontrollen der Eignungsbeurteilung an strengste Kriterien gebunden sind.« Herzberg ließ sich seine Verblüffung nicht anmerken. Kampen legte nach, wobei er seine langen Beine selbstgefällig von sich streckte. »Ich gehe davon aus, dass wir hier keiner Scharlatanerie ausgesetzt sind und dass Sie sich an die Regeln der ›Offiziellen Qualitätsgemeinschaft internationaler Wirtschaftstrainer‹ halten«, erklärte er kühl. ›Seht her, ich trau mich was‹, lautete seine Botschaft. Die Runde blickte gespannt auf Herzberg, der sich ruckartig nach unten gebeugte hatte. Nach kurzem Kramen zog er das Buch »Nieten in Nadelstreifen« aus einer Seitentasche. Den Revolver, dem der spontane Griff eigentlich galt, beließ er dann doch im Pilotenkoffer.

      »Sie kennen den Titel? Dann wissen Sie, was ich meine. Nieten im Management sind eine Katastrophe für jeden Betrieb.« Er klatschte das Buch auf die Tischplatte, stemmte den Rücken in aufrechte Position und nahm eine militärische Haltung an. »Aber vielleicht sind es gar keine Nieten, wie gerne behauptet wird, sondern fähige Leute? Mitarbeiter, die durch schlampige Personalauswahl auf der falschen Stelle gelandet sind, Menschen, die in der richtigen Position hervorragende Arbeit leisten könnten.« Herzberg wedelte abwehrend mit den Händen. »Personalchefs und Berater wehren sich natürlich vehement gegen den Vorwurf, sie hätten Mist gebaut. Erstens trägt man, wenn überhaupt, nicht die alleinige Schuld, wenn ein Neuling nicht spurt, und zweitens, wozu, bitteschön gibt es die Probezeit? Und so wird viel unnützes Geld verplempert und Personal verheizt.« Herzberg stemmte sich beidhändig vom Tisch hoch. »Das Recruiting von Spitzenkräften erfordert: Erfahrung, Sorgfalt und Engagement. Ich lade Sie ein, bilden Sie sich doch einfach ein eigenes Urteil über meine Arbeitsweise.« Herzberg durchbohrte Kampen mit seinem Blick, der nickte ihm steif zu. Davon überzeugt, den passenden Ton getroffen zu haben, für den »Klugscheißer«, drehte sich Herzberg wieder zum Flip-Chart-Ständer um. In ausladenden Handbewegungen fuhr er mit dem Filzschreiber über das Papier, unterstrich Regeln und schrieb darunter die Punkte: »1. Mitwirkung, 2. Ausschluss, 3. Kommunikationsmittel«. Anschließend trat er einen Schritt beiseite.

      »Die erste Regel lautet: Niemand von Ihnen wird zur Mitwirkung an den folgenden Spielhandlungen gezwungen. Aber …«, Herzberg tippte mit dem Filzstift auf Punkt 2, »wer sich der Teilnahme entzieht, schließt sich selbst vom weiteren Verfahren aus.«

      »Wie, bitte, ist das zu verstehen?«

      »Moment, Frau Sessinger, ich komme gleich auf Ihre Frage zurück. Zunächst noch die dritte Regel: Die Nutzung privater Kommunikationsmittel ist nicht gestattet. Geben Sie bitte Ihre Handys, Notebooks, Taschencomputer und ähnliche technische Hilfsmittel bei meiner Sekretärin ab. Anrufe, die Sie erhalten, werden selbstverständlich notiert und Sie haben in den Pausen Gelegenheit, zurückzurufen. Nun aber zu Ihrer Frage.« Herzberg unterstrich das Wort »Ausschluss«. »Die gesamte Veranstaltung ist in Abschnitte oder besser gesagt in kurze Episoden gegliedert. Nun kann es sein, dass Sie in einer dieser Episoden, aus welchen Gründen auch immer, nicht mitspielen können oder wollen. Dann sagen Sie einfach ›Joker‹ und Sie sind, ohne dass Ihnen daraus Nachteile entstehen, von der Mitwirkung befreit.«

      »Wie praktisch, ich sag mal, da melde ich mich jetzt schon mal an.«

      »Das können Sie gerne tun, Herr Dr. Marr.«

      »War nur als Scherz gemeint.«

      »Ich weiß, Dr. Marr.« Herzberg lächelte nachsichtig. »Aber zurück zum Joker. Jedem steht nur eine Auszeit zu. Deshalb rate ich, diese Option nicht leichtfertig zu verspielen.« Herzberg schrieb »Joker« und malte ein Smiley daneben. Stein meldete sich.

      »Sie sprechen von ›Episoden‹, wie viele davon haben Sie denn in petto?« Herzberg blickte zu seinem Assistenten rüber.

      »Was haben wir denn alles in der Pipeline?«

      »So einiges.« Lauenroth peilte auf seinen Zettel