Название | 3 zu viel für diesen Job |
---|---|
Автор произведения | Herwig Silber |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941593 |
DER ENGERE KREIS
Herzberg hatte sich gleich zu Beginn seiner wiedergewonnenen Selbständigkeit bei einer Bürogemeinschaft in Goslar eingemietet. Es gab keine festen Bürozeiten, nur wenn Projekte vorzubereiten, Bewerbungen zu sichten und sonstiger dringender Papierkram zu erledigen war, traf er sich mit seinem Assistenten in dem zweckmäßig eingerichteten Arbeitsraum. Die ständige Erreichbarkeit der Agentur wurde durch ein zentrales Sekretariat gewährleistet. Auf diesem Wege erfuhr Herzberg, dass ihn ein Herr Samuel Fischer von der CarNet-Development dringend sprechen wollte. Herzberg kannte den Personalleiter und wusste, dass die CarNetDev mit seinen bisherigen Stellenbesetzungsvorschlägen stets zufrieden gewesen war. Fischer wollte über einen neuen Auftrag verhandeln und vereinbarte zu diesem Zweck einen Termin im Stammhaus der Firma.
»Kommen Sie, nehmen Sie Platz.« Fischer, ein rundlicher, agiler Mittfünfziger, sprang aus seinem ledergepolsterten Drehsessel, eilte Herzberg entgegen und geleitete seinen Gast in die elegant möblierte Besucherecke seines großen Büros: »Kaffee, Cognac?«, fragte er mit unüberhörbar norddeutschem Einschlag.
»Gern.«
Fischer gab seiner Mitarbeiterin, die wie auf ein geheimes Kommando erschienen war, einen knappen Wink. Man mochte sie nicht als sonderlich hübsch bezeichnen, aber was sie tat – nein, wie sie es tat, musste bei jedem, der ihren Handgriffen folgte, unweigerlich Wohlgefallen hervorrufen. Mit minimalistischer Eleganz deckte sie den Couchtisch und gab Cognac in die bauchigen Gläser. Nicht zu viel, nicht zu wenig.
»Greifen Sie zu«, knusperte Fischer, der bereits das zweite Krokanttäfelchen in den Mund geschoben hatte. Die Mitarbeiterin glitt mit palmenschlanker Biegsamkeit aus dem Raum, zog geräuschlos die Tür zu und hinterließ einen Duft, als hätte sie in einem üppig blühenden Seerosenteich gebadet. Herzberg konnte gar nicht anders, als ihr hinterherzustarren.
»Mein Job ist eine Katastrophe«, schmatzte Fischer. Der einzige Lichtblick besteht darin, dass ich Zugriff auf sämtliche Personaldaten habe und mir so die fähigsten Leute für meine Abteilung herauspicken kann.« Fischer zupfte ein weiteres Schokoladentäfelchen aus der Umhüllung. »Wir haben Ihr Buch mit großem Interesse gelesen«, fuhr er übergangslos fort. Herzberg hatte es längst entdeckt, es lag unübersehbar auf dem Couchtisch. »Haben Sie alles, was Sie darin beschreiben, schon mal ausprobiert?« Fischer deutete auf den Einband, der einen matt schimmernden Revolverlauf zeigte, den eine sehnige Hand gegen einen kahl rasierten Schädel presste. Herzberg haderte noch immer mit dem Umschlagmotiv, wenngleich er sich den Marketingargumenten des Verlags kurz vor Drucklegung zähneknirschend gebeugt hatte.
»Nein, nicht alles, manches muss ich noch einem Praxistest unterziehen.« Herzberg machte Anstalten, nach dem Buch zu greifen, hielt sich dann aber doch zurück. »Einige der Episoden sind ziemlich aufwändig, zugegeben. Und wegen der anfallenden Kosten entscheiden sich viele Kunden dann doch für ein konventionelles Assessment-Center. Obwohl ich mir den Mund fusselig rede und erkläre, dass man von einem Standardverfahren auch nur ein Standardergebnis erwarten kann.« Herzberg schloss theatralisch die Augen. »Qualität hat eben ihren Preis, und wer an der falschen Stelle spart, der darf sich nicht beschweren, dass auch mal eine Niete in seiner Firma landet.« Fischer betrachtete ihn amüsiert, nahm das Buch vom Tisch und blätterte darin.
»Millionen Arbeitslose suchen einen Job, gleichzeitig stöhnen die Firmen, dass sie keine Leute kriegen, Wahnsinn.« Er legte das Buch zurück und erhob das Glas. Herzberg nippte und verzog anerkennend das Gesicht. Fischer strich mit dem Handrücken über sein Kinn. »Wissen Sie, wer schuld ist an diesem offensichtlichen Missverhältnis zwischen überzogener Erwartungshaltung und realem Angebot? Es sind die Frauen.«
»Ach ja?« Herzberg schmunzelte, Fischer war bei seinem Lieblingsthema.
»Männer sind anspruchslos, achten bei der Partnerwahl nur auf die schnuckelige Verpackung, Frauen wollen mehr. Die wollen den großen, starken, durchsetzungsfähigen Alphamann, den Strategen, Problembeseitiger, Nestbauer und Beschützer. Zugleich den treuen, zärtlichen, verantwortungsvollen Windelwechsler und Sämtliche-Wünsche-von-den-Augen-Ableser. Und wenn das alles stimmt, dann muss er, bitteschön, mit Gardemaß und Waschbrettbauch ausgestattet sein. Ja, Sie freuen sich, Herr Herzberg, dieses gigantische Anspruchsniveau haben sich die Betriebe von den Frauen abgeguckt. Und nun fragen sich die Bosse, warum sie sich mit Halbheiten zufriedengeben sollen, wenn es irgendwo im Universum einen potentiellen Mitarbeiter gibt, der höchsten Ansprüchen genügt. Und weil jeder pieselige Unternehmer so einen haben will, sind sämtliche Personalfritzen auf der Suche nach dem erfahrenen, intelligenten, durchsetzungsfähigen, kreativen, nimmermüden, jungen Mitarbeiter, der wenig kostet, sich dennoch heldenhaft für die Belange der Firma aufopfert.« Fischer ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Glas rotieren, nahm einen kräftigen Schluck, blickte Herzberg mit tränendem Auge an und krächzte. »Und weshalb sollten gerade wir mit unseren Anforderungen da zurückstehen? Wir zählen in unserem Segment zur Spitze und wollen es bleiben.« Fischer strich sich die Augenbrauen glatt. »Ich teile im Übrigen Ihre Meinung, dass man die Fähigkeiten von Top-Leuten nicht mittels Standardverfahren beurteilen kann. Die gebräuchlichen Methoden Ihrer Kollegen Personaler sind viel zu grobmaschig, da flutscht mir viel zu viel Beifang durch. Und wenn man so eine Niete erst mal an Deck gehievt hat, kriegt man diesen stinkenden Fisch kaum mehr von Bord.« Fischer fletschte die Zähne. »Also, Herr Herzberg, Sie wissen, wir sind bereit, gutes Geld auszugeben, wenn Sie es schaffen, aus dem trüben Meer der Mittelmäßigkeit die Perle herauszuangeln, die wir haben wollen. Ob Mann oder Frau, egal. Gut ausgebildet, Führungserfahrung, Auslandsaufenthalt, stressresistent und natürlich im besten Lebensalter, so was suchen wir.« Fischers buschige Brauen wackelten im Gleichtakt. »Im Gegenzug bieten wir ein Spitzengehalt, Prämienzahlungen, Firmenwagen der Oberklasse, ein schickes Büro und …«, Fischer senkte die Stimme, »bei entsprechender Eignung ist mittelfristig der Aufstieg in die Geschäftsleitung drin. Sie sehen, in diesem Job steckt mächtig Musik. Und wir sind nicht irgendwer, wie Sie wissen, sondern mit unseren Produkten das führende Unternehmen in der Branche.« Fischer beugte sich über den Tisch. »Fühlen Sie dem Bewerberkreis gründlichst auf den Zahn. Wählen Sie aus Ihrem Folterrepertoire die Methode, die Ihnen am geeignetsten erscheint. Maximaler Erfolg bei freier Mittelwahl, so lautet die Vorgabe, von ganz oben.«
»Sie sprechen von Frau Karrt?« Fischer nickte und deutete mit verschwörerischer Geste hoch zur Zimmerdecke. Herzberg presste sein Rückgrat wohlig in das Lederpolster. Das Plazet der einflussreichen Dame würde ihm Gelegenheit verschaffen, endlich die Dinge auszuprobieren, die bisher an zu schmalen Budgets und/oder am fehlenden Wagemut seiner Auftraggeber gescheitert waren. Und da hatte er so einiges an kreativen Konzepten in der Pipeline.
Während Fischer sich über den – aus seiner Sicht – idealen Stellenbewerber verbreitete, begann Herzberg im Geist bereits den Text für die Stellenausschreibung zu skizzieren:
»Multinational operierendes mittelständisches Unternehmen der Automobilzulieferindustrie, das sich auf innovative und hochwertige Fahrzeugkomponenten spezialisiert hat, sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt engagierte Führungskraft (m/w) für die Leitung des Ressorts:
Unternehmensplanung/strategisches Controlling. Erwartet wird, neben den entsprechenden fachlichen Voraussetzungen, ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz (Auslandstätigkeit), gepaart mit überdurchschnittlichen analytischen und kommunikativen Fähigkeiten. Sollten Sie sich von dieser außergewöhnlichen, darüber hinaus ausbaufähigen Aufgabe angesprochen fühlen und idealerweise Mitte dreißig bis Anfang vierzig sein, so senden Sie bitte Ihre ausführlichen Bewerbungsunterlagen mit Gehaltsvorstellungen an:
Personalberatungsagentur Herzberg