Название | 3 zu viel für diesen Job |
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Автор произведения | Herwig Silber |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941593 |
TOD EINES PFERDES
Rita Sessinger ließ Kreditkarten, Ausweis und Führerschein durch ihre Hände gleiten. Außer ihrem Bargeld war alles da. Sie nahm einen Schluck Tee und atmete erleichtert durch. Stein und Marr hatten sich zur Anrichte begeben, nippten an ihren Kaffeetassen, während sie sich angeregt über Diebstähle, Kreditkartenbetrug und Internetpiraterie unterhielten. Kampen stand allein an einem der großen, in bronzefarbene Aluminiumrahmen gefassten Fenster. Versonnen betrachtete er die Giebel der gegenüberliegenden Häuser, wo hoch oben die Sonne stand und mit der Intensität eines wolkenlosen Julivormittags die Stadt aufheizte. Sein Blick wanderte in die Tiefe. Die Leute an den Tischen, unten auf der Terrasse, löffelten Eis, tranken Cappuccino oder Bier und sahen dabei ungemein relaxt aus. Das friedfertige Ensemble erinnerte ihn an ein südländisches Straßencafé, irgendwo zwischen St. Tropez und Cannes, dort, wo er die französischen Zwillingsschwestern kennengelernt und mit ihnen die Semesterferien verbracht hatte. Eine unbeschwerte Zeit damals, im Käfercabrio, am Strand, in Diskotheken und Bars. Die kurzen Nächte in preiswerten Hotels, mit zerwühlten Betten, ekstatischen Verrenkungen und trunkenem Glück. Stets zu dritt, ohne den geringsten Anflug von Eifersucht. Die Bilder der Erinnerung waren so stark, dass er Rita Sessinger erst wahrnahm, als sie direkt neben ihm stand.
»Schön, nicht?«
»Mmmh«, murmelte er. Fast berührten sich ihre Arme und Wohlbehagen breitete sich zwischen ihnen aus. Ihr heimlicher Blick glitt wohlwollend an ihm herab. So einer würde sich nie mit Kettchen, Ringen und Ohrsteckern aufhübschen, sinnierte sie. Das Rasierwasser … An wen oder was erinnerte sie bloß dieses Rasierwasser? Beide genossen es, nicht zu sprechen, nur ihrem momentanen Gefühl Raum zu lassen. Eine träumerische Zweisamkeit für einen kurzen, sinnlichen Augenblick. Unvermittelt flog die Saaltür auf, Herzberg stürmte herein, wirbelte zu seinem Platz und begann sofort, munter draufloszuplaudern.
»Als Jugendlicher wollte ich reiten lernen, bin damit aber kläglich gescheitert.« Er stockte und betrachtete seine Fingernägel. »Nun fragen Sie sich vielleicht, woran ich gescheitert bin? Die Antwort: Ich war dort nie richtig bei der Sache, weil ich im Grunde Mädchen kennenlernen wollte, die Pferde auf dem Reiterhof waren allein Mittel zum Zweck.« Spitzbübisch schielte er über sein Brillengestell. »Als ich endlich kapierte, dass die komplette Riege der Zahnspangenträgerinnen neben Mähnenkämmen und Hufeisenkratzern ausschließlich ihre Gäule im Kopf hatte und ich ihnen ansonsten völlig egal war, habe ich aus Frust nie wieder einen Pferdestall betreten.«
»Kein Futter, kein Tierarzt, keine Stallmiete«, zählte Marr auf, »da haben Ihre Eltern sehr viel Geld gespart.«
»Das Gegenteil ist richtig. Weder meine Eltern noch ich hatten eine Ahnung, wie viel Geld man mit Pferden verdienen kann. Man muss allerdings ein Händchen für dieses Geschäft haben und das heißt, man muss den Pferdesport pragmatisch, besser gesagt betriebswirtschaftlich sehen.« Herzbergs Augen begannen zu leuchten. »Sagt Ihnen der Name ›Deep Impact‹ was, nein? Neun Millionen Euro hat der Besitzer des Pferdes insgesamt an Preisgeldern eingestrichen. Aber das sind nur Peanuts im Vergleich zum Ertrag, den die Körpersäfte des Deckhengstes ›Giant’s Causeway‹ einbringen. Rechnen Sie selbst: Hundertachtundsechzig lebend gezeugte Fohlen, bei einer Decktaxe von jeweils dreihunderttausend US-Dollar ergibt round about fünfzig Millionen Dollar und, das in einer einzigen Saison. Gigantisch, wie viele Talerchen man aus den Lenden so eines Prachtburschen rauskitzeln kann, wenn man’s richtig anstellt. Mögen Sie Pferde?«, fragte er, sich unvermittelt an Rita Sessinger wendend. Sie musste sich räuspern, ehe sie antworten konnte.
»Ich kann Pferde überhaupt nicht einschätzen. Vierbeiner, größer als ein Dackel, sind mir generell unheimlich.« Herzberg beschrieb mit der Hand einen weiten, bis zu einem imaginären Horizont reichenden Bogen.
»Robert, können Sie sich vorstellen, auf einem seidig glänzenden Rappen über die Prärie zu galoppieren, die untergehende Sonne im Rücken, die endlose Weite vor sich?« Kampen winkte ab.
»Das klingt mir viel zu pathetisch, mit solchen Kitschbildern kann ich nichts anfangen.«
»Schade, die Vorstellung, Sie hier rausreiten zu sehen, hätte mir gut gefallen.« Herzberg wandte sich Stein zu, der lässig die Arme hinter dem Kopf verschränkt hielt.
»Aber Sie mögen Pferde, oder?«
»Pferde? Klar, kann gar nicht genug davon kriegen. Mindestens zweihundert, besser zweihundertfünfzig – unter der Motorhaube.« Herzberg nickte verständnisvoll.
»Und Sie, auch so ein Pferdenarr?« Herzberg fixierte Marr.
»Pferdenarr? Ich sag mal, ich hatte früher mal ein paar Reitstunden, aber jetzt, wo der Kleine da ist, gibt es wichtigere Dinge in meinem Leben als Pferdesport.« Herzberg legte die Hände ineinander und blickte gut gelaunt in die Runde.
»Vielleicht hassen Sie allesamt Pferde und würden diese eingebildeten Heufresser am liebsten zu Lebensmitteln verwursten. Ist es so?« Herzberg strahlte Stein unverschämt an. Der kräuselte die Nase.
»Was soll dieses ganze Vorgeplänkel, Herr Herzberg? Jetzt sagen Sie uns doch mal klipp und klar, was Sie eigentlich vorhaben.«
»Gut! Das werde ich Ihnen jetzt zeigen.« Herzberg stand mit einem Ruck auf, um einen der vielen Schalter an der Stirnseite des Raumes zu betätigen. Zwei Holzsegmente glitten zur Seite und gaben die Sicht auf eine Leinwand frei. Die aufflammende Projektion zeichnete das Logo der Personalagentur in blauen formatfüllenden Lettern.
»Bitte betrachten Sie den Film, den ich gleich starte, so genau wie möglich. Sie werden Szenen mit verschiedenen Pferden sehen. Es handelt sich durchgehend um Amateuraufnahmen, deshalb die bescheidene Bildqualität.« Herzberg tippte auf die Fernbedienung, die er von der Konsole genommen hatte, und der Film lief an. »Sehen Sie, wie die Tiere herumtollen?« Die Teilnehmer sahen stumm zu. »Das da ist eine Stute, in der nächsten Szene sehen Sie einen Wallach; bei beiden handelt es sich um Springpferde. Das dritte Tier ist ein Traberhengst.«
»Wallach, woran erkennt man das denn?«, wollte Marr wissen.
»Ein Wallach ist ein Kastrat, das sieht nur der Fachmann, es ist im Übrigen auch nicht wichtig bei diesem Spiel. Aber da Sie schon fragen«, Herzberg stoppte den Film und das Standbild verharrte bei einem der Pferde mitten im Galopp, »so ein Wallach wird gern als Turnierpferd eingesetzt, weil er sich nicht von Stuten ablenken lässt. Ist wie bei uns im Sport, Männlein und Weiblein besser getrennt.« Herzberg ließ den Film weiterlaufen. Schmunzelnd wandte er sich an Rita Sessinger. »Gefällt Ihnen der Film?«
»Nun ja … ich weiß nicht.«
»Sie wissen nicht, was das Ganze soll? Aber die herrlichen Tiere, die gefallen Ihnen?« Sie zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, irgendwelche Pferde halt.« Herzberg trat einen Schritt beiseite; die Szenen des Films begannen sich zu wiederholten.
»Sind Sie entschlussfreudig, Rita?«
»Ich denke schon, klar. Warum?«
»Was würden Sie sagen, wenn Wohl und Wehe der Tierchen«, seine Stimme senkte sich um eine halbe Oktave, »also Leben oder Tod davon abhängen, wie Sie sich in den nächsten 15 Minuten entscheiden?« Er musterte sie eindringlich, dann entspannten sich seine Gesichtszüge. »Na ja, Sie müssen die Entscheidung nicht alleine treffen.« Herzberg machte einen Ausfallschritt zur Seite. »Michael, Sie haben gesagt, Sie hatten mal Reitstunden. Dass heißt, Sie können von uns allen die Qualität des Materials am besten beurteilen. Welches dieser Tiere gehört Ihrer Meinung nach auf die Schlachtbank?«