Название | 3 zu viel für diesen Job |
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Автор произведения | Herwig Silber |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941593 |
»Sollten Sie sich entschließen, nicht an diesem Auswahlverfahren teilzunehmen, bitten wir um rechtzeitige Absage. Sie eröffnen damit einem anderen Bewerber, einer anderen Bewerberin die Chance zur Teilnahme.«
Grübelnd wendete er das Schreiben hin und her. Sollte er trotz aller Vorbehalte den Versuch wagen? Was konnte schon schiefgehen, sagte er sich. Es blieb ihm ja unbenommen, jederzeit auszusteigen, falls ihm die Sache zu dämlich wurde.
Objektiv betrachtet, gab es für Robert von Kampen keinen zwingenden Grund, sich zu bewerben. Aber er war es leid, sich wegen fundamental unterschiedlicher Ansichten weiter diesem zermürbenden familiären Dauerzwist auszusetzen. Noch gelangte nicht allzu viel Sand ins Firmengetriebe, weil der Vater die hochemotional geführten Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern vom Geschäftsbetrieb abzuschirmen wusste. Aber die Macht des Patriarchen bröckelte. Um die Streitenden auseinander zu halten, erfand der Senior den Job des »Generalmanagers für Auslandsbeteiligungen«. Robert, der Jüngere, dem die Aufgabe zugeordnet wurde, fühlte sich kalt abserviert, denn außer Inspektionsreisen zu einer Handvoll Servicestationen gab es in dieser Funktion wenig zu managen. Währenddessen Reiner, der Ältere, weiter den Juniorchef in der Firma für PKW-Zubehörteile, spielen durfte. Nach mehreren zermürbenden, hochemotional geführten Aussprachen gab der Alte schließlich klein bei und erklärte, er würde kurzfristig aus der Firmenleitung aussteigen, wenn die Söhne folgende Kompetenzaufteilung akzeptierten: Robert sollte technischer, Reiner kaufmännischer Geschäftsführer des Unternehmens werden. Da platzte Reiner der Kragen. Nur einer, nämlich er, als der mit den älteren Rechten, könne das alleinige Sagen in der Firma haben, andernfalls würde er seinen Pflichtteil am Erbe fordern, was unweigerlich die Liquidierung der Firma zur Konsequenz hätte. Der Vater appellierte an den Familiensinn und beschwor den Älteren, sich doch mit seinem Bruder zu einigen. Robert, der talentierte Maschinenbauingenieur mit betriebswirtschaftlichem Zusatzstudium, sei doch der ideale Geschäftspartner. Gemeinsam an einem Strang ziehend, könnten die Söhne den Betrieb zu neuer Blüte führen. Doch die Argumente des Seniors erstarrten im Frost der Unvereinbarkeit. Die Fronten verhärteten sich derart, dass der Betriebsablauf in Mitleidenschaft gezogen zu werden drohte. Robert zog sich daraufhin aus dem Tagesgeschäft zurück und begann, nach einer Beschäftigungsalternative zu suchen. Die Einladung zu diesem Auswahlverfahren verschaffte ihm endlich wieder Genugtuung und stärkte sein Selbstvertrauen.
ERSTES ZUSAMMENTREFFEN
Die Agentur hatte drei Räume im Hotel Steigenbach in Berlin gemietet. Einen großen, fast saalartigen Raum, durch Stellwände in kleinere Einheiten gegliedert, einen zweiten für das »Monitoring« und zusätzlich noch einen kleinen als Büro. Assistent Lauenroth hatte in den vorausgegangenen Tagen diverse technische Vorbereitungen getroffen (unter anderem eine Deckenplatte mit einem akustischen Zünder präpariert). Herzberg wusste nicht, ob er den Schreckschussrevolver tatsächlich benutzen würde, er wollte abwarten und schauen, wie sich die Teilnehmer generell verhielten.
Wie immer bei derart aufwändigen Veranstaltungen hatte Herzberg zusätzlich eine Fachkraft bei einer spezialisierten Zeitarbeitsvermittlung angeheuert. Evelyn Skrotzki kannte das Geschäft von ähnlichen Einsätzen bei anderen Personalagenturen. Dass sie wusste, worauf es bei dem Job ankam, merkte man der jungen Frau an. Zudem hatte Lauenroth sie bereits Tage vorher in den Ablauf eingewiesen, so dass alles zum Besten bestellt schien.
Kurz vor der Veranstaltung hatte die CarNetDev – ohne mit Herzberg Rücksprache zu nehmen – per Faxschreiben noch einen weiteren Kandidaten angekündigt, Dr. Harald Stein. Eine Begründung, weshalb dieser Mann als vierter Bewerber dazukommen sollte, und nähere Angaben zu seiner Person fehlten. Herzberg schäumte.
»Marc, Sie rufen jetzt bei der Firma an. Ich will wissen, was das zu bedeuten hat. Ich brauche Unterlagen, Zeugnisse, den Lebenslauf von diesem Stein, und zwar plötzlich. Was denkt sich dieser Fischer, so kann man doch nicht arbeiten.« Unbeherrscht knallte er einen Stapel Papiere auf den Tisch. Lauenroth huschte aus dem Raum. In dieser Situation war es angeraten, nicht in Gegenwart des Chefs zu telefonieren.
Rita Sessinger war, mit dem Frühzug aus Nürnberg kommend, in Berlin auf dem Hauptbahnhof eingetroffen, mit der S-Bahn zum Bahnhof Zoo gefahren und von dort zum Hotel gelaufen. Sie lag gut in der Zeit, fühlte sich fit, fast ein wenig quirlig. Bevor sie kurz auf das Zimmer gehen und sich ein wenig frisch machen würde, wollte sie sich in jedem Fall schon einmal bei der Agentur Herzberg melden. Als sich der gläserne Drehflügel am Eingang des Hotels in Bewegung setzte, drängelte sich eine weitere Person hinein.
»Welch ein Glück, sie ist noch da.« Der Mann mittleren Alters deutete hektisch in Richtung Empfangstresen. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich für einen Schreck bekommen habe.« Aufgeregt wirbelte er mit den Armen vor ihrer Nase herum, schnappte nach Luft, ergriff ihren Arm, um ihn zu schütteln. »Entschuldigen Sie, ich bin so froh. Es ist nämlich ein Geschenk, ein ziemlich teures«, sprudelte es in einem leicht fremdländischen Akzent aus ihm heraus. Abrupt drehte er ihr den Rücken zu, lief zu der großen Einkaufstüte neben dem Tresen und eilte damit zurück auf die Straße. Rita Sessinger blickte ihm verdutzt nach, bis sich seine Gestalt im Menschentrubel verlor. Ohne einen weiteren Gedanken an den Vorfall zu verschwenden, steuerte sie einen der Glastischchen in der Hotelhalle an, stellte ihre Handtasche darauf und kramte das Einladungsschreiben hervor. Mit dem Brief in der Hand ging sie zur Rezeption. Der Mitarbeiter am Empfang blickte in sein Reservierungssystem, überreichte ihr, nachdem die Anmeldeformalitäten erledigt waren, den Zimmerpass und wies den Weg zum Fahrstuhl.
Als sie im Lift verschwunden war, kehrte der Mann mit der KaDeWe-Tüte in der Hand ins Hotel zurück und platzierte sie wieder unterhalb des Empfangstresens. Anschließend begab er sich wieselflink ins Freie, um von der gegenüberliegenden Straßenseite den Eingangsbereich zu beobachten. Immer wenn männliche Personen mittleren Alters auf das Hotel zustrebten, warf er einen kurzen Blick auf die beiden Passfotos in seiner Handfläche. Als Robert von Kampen aus einem haltenden Taxi kletterte, erkannte er ihn sofort. Blitzschnell drängelte er sich an ihn heran und der Vorgang in der Drehtür wiederholte sich.
»So ein Glück, da steht sie noch. Wie mir der Schreck in den Gliedern steckt.« Der Mann berührte Kampens Schulter und zuckte im gleichen Moment schon wieder zurück. »Entschuldigen Sie, aber ich habe richtig Herzstiche bekommen. Ein teures Hochzeitsgeschenk, dort in der Tüte. Wenn das weg gewesen wäre, nicht auszudenken.« Kampen rang sich ein süßsaures Grinsen ab und wandte sich dem Mann an der Rezeption zu.
»Wo finde ich die Agentur Herzberg?«
»Im zweiten Stock, der Herr.« Der Portier zwinkerte dem Mann mit der KaDeWe-Tüte konspirativ zu. Kampen, mit dem Ausfüllen des Anmeldeformulars beschäftigt, entging diese seltsame Vertrautheit. Erneut wartete der Mann draußen auf das dritte Opfer. Aber Dr. Michael Marr kam nicht, denn er hatte seinen Volvo in der Hotelgarage geparkt und war von dort mit dem Lift hochgefahren.
»Guten Morgen meine Dame, guten Morgen meine Herren. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Anreise.« Herzbergs sonore Stimme verströmte Vertrautheit, was die Kandidaten veranlasste, aufmerksam an seinen Lippen zu hängen. Nichts deutete darauf hin, dass dieser freundliche Herr noch vor einer Viertelstunde hocherregt durch den Raum gebrüllt hatte. Auf den im Halbrund angeordneten Tischen standen Namensschilder. Das für Dr. Harald Stein hatte Evelyn Skrotzki rasch von Hand beschriftet. Lauenroth saß neben dem Overhead-Projektor, konzentriert auf seinen Einsatz wartend.
»Ich freue mich außerordentlich, mit Ihnen eine spannende Zeit verleben zu dürfen. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Artur Herzberg.« Er klappte den Unterarm nach rechts. »Mir zur Seite steht Herr Marc Lauenroth und darüber hinaus …«, dabei den anderen Arm nach links schwenkend, »Frau Evelyn Skrotzki, sie betreut das Sekretariat.« Rita Sessinger musste grinsen. Herzbergs Handbewegungen erinnerten sie an Stewardessen, die vor dem Abflug auf Notausgänge aufmerksam machen. »Wenn Sie Wünsche haben, können Sie sich jederzeit an jeden von uns wenden. Wir sind bemüht, Sie von jeglichem organisatorischen Kleinkram zu entlasten. Sie sollen sich mit ganzer Kraft dem Bewerbungsverfahren widmen