3 zu viel für diesen Job. Herwig Silber

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Название 3 zu viel für diesen Job
Автор произведения Herwig Silber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943941593



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Zeitungen erschienen war, stapelten sich prall gefüllte Kuverts im Posteingangskorb der Agentur. Herzberg und Lauenroth machten sich an die Arbeit. Mit Systematik und professionellem Gespür wurden aus der Flut der Bewerbungen zunächst diejenigen herausgefiltert, die das Anforderungsprofil hinreichend erfüllten. Hieraus formten sich zwei kleine Häufchen: »Gut geeignet« und »Akzeptabel«, sowie ein voluminöser Papierberg, dem das Attribut: »Ungeeignet« anhaftete. Mit den Unterlagen der »gut geeigneten Kandidaten«, traf sich Herzberg erneut mit Fischer. Nach einigem Hin und Her verständigte man sich auf die beiden männlichen Bewerber, Dr. Michael Marr und Robert von Kampen, sowie auf Rita Sessinger, deren Teilnahme am Bewerbungsverfahren Personalchef Fischer ausdrücklich wünschte. Bereits am nächsten Tag wurden die drei informiert, dass sie die erste Hürde erfolgreich genommen hatten:

      Rita Sessinger hatte überhaupt nicht mehr damit gerechnet und deshalb versetzte sie die Nachricht aus der Heimat in höchste Euphorie. Sie hatte nach dem juristischen Staatsexamen – ein Fach, das sie auf Wunsch ihrer Adoptiveltern nur zähneknirschend absolvierte – in einem Aufbaustudium noch den ›Master of Business Administration‹ erlangt. Gute Noten und eine lebensbejahende Ausstrahlung verhalfen ihr zu einem fulminanten Karrierestart bei einer angesehenen Consultingfirma. Zügig stieg sie zur Projektleiterin auf, doch falscher Ehrgeiz, Fehler bei der Projektabwicklung und in der Folge Ärger mit ihrem Vorgesetzten, stürzten sie in eine Krise. Nach Therapie und Kur rappelte sie sich wieder auf, aber an die Leitung eines eigenen Projekts war nun nicht mehr zu denken. So begann sie, sich erneut zu bewerben, auf attraktive Positionen, auch außerhalb Europas. Alsbald erhielt sie ein Beschäftigungsangebot aus Kanada, von einem mittelständischen Holzverarbeitungsunternehmen. Sie zog nach Ottawa, krempelte die Ärmel hoch und es gelang ihr wieder, eine Leitungsposition zu erringen. Der Job war spannend, die Kollegen nett und das Gehalt stimmte, aber die endlosen einsamen Wochenenden gerieten für sie zur Qual. Es gab einige ernst zu nehmende Avancen, aber mit den naturverbundenen und hemdsärmeligen Kandidaten wusste sie nur wenig anzufangen. Im Pick-up durch unwegsame Landschaften zu holpern, um irgendwo in der kanadischen Wildnis ein Zelt aufzuschlagen, traf so gar nicht ihre Vorstellung von kultiviertem Freizeitvergnügen. Zu allem Überfluss schien die Damenwelt in ihrer Umgebung die eher schöngeistig orientierten Männer bereits vollzählig unter ihre Fittiche genommen zu haben. Und da keine Veränderung zum Besseren in Sicht war, breitete sich in ihr das schleichende Gift der Melancholie aus. Mehr und mehr begann sie, sich nach Europa zurückzusehnen, vor allem nach den großen Städten in Deutschland, nach München, Berlin, Hamburg und nach Nürnberg, ihrer Heimatstadt. Vom Heimweh geplagt, offenbarte sie sich ihren Eltern. Ihr Vater setzte daraufhin alle Hebel in Bewegung, sprach Mandanten seiner Rechtsanwaltskanzlei an, schaltete Stellengesuche und versorgte seine Tochter mit sämtlichen Angeboten, die ihm passend erschienen. Nach ersten Absagen bot Rita Sessinger an, Flug und Unterkunft aus eigener Tasche zu zahlen. Aber auch das half nicht, niemand schien sich ernsthaft für sie und ihren beruflichen Werdegang zu interessieren. Frustriert, aber auch geläutert gab sie schließlich auf und fasste den Vorsatz, sich mit der bestehenden Situation zu arrangieren.

      Eines Tages lag ein Kuvert ohne Absender in ihrem Briefkasten. Darin befand sich eine zusammengefaltete Zeitungsseite mit aktuellen Stellenangeboten aus Deutschland. Die Annonce der Agentur Herzberg war rot umrandet, irgendeinen Hinweis, eine Erklärung oder einen Kommentar gab es nicht. Sie rief ihren Vater an, aber der hatte ihr nichts geschickt. Möglich, dass sie im privaten Kreis mit dem einen oder anderen über ihre Absichten gesprochen hatte, aber warum gab sich der Adressant nicht zu erkennen? Dem offensichtlichen Wink des Schicksals folgend, bewarb sie sich. Drei Wochen später erhielt sie die Aufforderung, an einem Auswahlverfahren teilzunehmen. Ihre Mitarbeiter erlebten in der Folge eine völlig verwandelte Teamchefin. Sie war wie umgewandelt, ausgelassen, lustig, voller Esprit. Als sie wenig später verkündete, dringend für ein paar Tage nach Deutschland zu reisen, stand für alle fest, dass nur ein Mann hinter diesem geheimnisvollen Aufbruch stecken konnte. Über eine baldige Hochzeit mit einem wohlhabenden Europäer wurde spekuliert; allein Rita Sessinger wusste es besser. Auf dem Flug nach Frankfurt gelobte sie, so sie den Job bekäme, eine bombastische Abschiedsfeier auszurichten, von der ihre Mitarbeiter noch Jahre später schwärmen würden.

      Dr. Michael Marr gelang es nur mit Mühe, seine Anspannung zu unterdrücken. Er saß vor dem Fernseher, konnte sich aber nicht auf die polternden Politprofis in der Talkrunde konzentrieren. Seine Gedanken kreisten um den Inhalt des Schreibens, das er morgens in seiner Post vorgefunden hatte. Normalerweise brachte den achtunddreißigjährigen Diplomkaufmann nichts so schnell aus der Ruhe, doch seit einiger Zeit lastete ein ungewohnter Druck auf ihm. Und so war es nicht verwunderlich, dass Herzbergs Einladung zum »Auswahlwettbewerb« Marrs Fantasie beflügelte.

      Schon vor der beruflichen Krise hatte er hin und wieder über einen Wechsel nachgedacht. Seine Tätigkeit als Marketingleiter bei der Firma Sanitech bot Sicherheit und ein gutes Einkommen, andererseits hatte er keine Lust, sich ewig für Mullbinden, Bruchbänder und Heftpflaster ins Zeug zu legen. Irgendwann wollte er wieder Neues wagen. Vielleicht bei einem international tätigen Unternehmen einsteigen wie damals in Kalkutta, als er für Bosch im Controlling arbeitete. Was er nicht ahnte, war, dass aus diesem »Irgendwann« schon sehr schnell eine konkrete berufliche Option werden würde, und das kam so: Professor Weidenfels, Marrs Chef, verschaffte ihm Gelegenheit, an einer Tagung der »Stiftung für transatlantische Begegnungen« teilzunehmen. Die Seminarthemen im Programmheft klangen anspruchsvoll, entpuppten sich jedoch in den Vorträgen und Diskussionsrunden als klägliche Luftnummern. Mit Inbrunst wurden Modebegriffe wie Innovation, Ressourcen und Globalisierung mit dem Zusatz »Management« zu aberwitzigen Worthülsen verquirlt. Natürlich wusste auch Marr, dass derartige Veranstaltungen weniger dem Erkenntnisgewinn als der persönlichen Profilierung und Netzwerkbildung dienten, aber etwas mehr an fachlicher Substanz hatte er dann doch erwartet. Aus Verärgerung über das leere Wortgeklingel provozierte er einen heftigen Disput mit einem namhaften Referenten und trieb ihn vor versammelter Mannschaft mit messerscharfen Argumenten in die Enge. In der Pause stellte er sich mit seiner Kaffeetasse demonstrativ an einen leeren Stehtisch und wartete auf mögliche Reaktionen. Einige Jüngere schlichen um ihn herum, blickten verstohlen auf das Namensschildchen an seinem Revers, wagten aber nicht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Ein graumelierter Herr gesellte sich schließlich zu ihm und sogleich entspann sich eine angeregte Unterhaltung. Am gleichen Abend wollte es der Zufall, dass Marr wieder mit demselben Herrn – einem Vorstandsmitglied des Verbandes der Automobilindustrie, wie sich herausstellte – zu Tisch saß. Das Gespräch vom Mittag wurde vertieft. Man plauderte über Politik, über Weltwirtschaft, die Zukunft der Automobilindustrie und kam, vom Gesprächspartner geschickt eingefädelt, auf das Thema »berufliche Veränderung« zu sprechen und zur Frage, was Marr diesbezüglich für Vorstellungen habe. Beim Abschied versprach man, in Kontakt zu bleiben. Für Marr eine reine Höflichkeitsfloskel, gänzlich unverbindlich.

      Nach zwei Monaten erhielt Marr einen Brief mit der Kopie einer Stellenanzeige. Der handschriftliche Text auf dem Kopfbogen des Kraftfahrzeugverbandes enthielt nur einen einzigen Satz: »Herr Dr. Marr, sollten Sie ernsthaftes Interesse an der ausgeschriebenen Position haben, so könnte ich mich mit einer persönlichen Empfehlung für Sie verwenden.« Wenige Tage später schickte Marr seine Unterlagen an die Agentur Herzberg sowie eine Kopie der Bewerbung mit Danksagung an seinen Mentor. In seiner Firma waren die Verkaufszahlen zwischenzeitlich derart in den Keller gestürzt, dass Krisensitzung auf Krisensitzung folgte. Seine ehedem erfolgreichen Kampagnen zogen nicht mehr. Von Marr wurden tiefgreifende Lösungen erwartet, aber er hatte keine. Er fühlte sich ausgebrannt, fand kein schlüssiges Marketingkonzept, um die Umsatzzahlen wieder auf ein halbwegs befriedigendes Niveau zu stemmen. Kein Wunder also, dass er in Herzbergs Einladung zum »Auswahlwettbewerb« die rettende Chance sah, sich aus dieser Zwickmühle zu befreien und außerdem einen Karrieresprung zu machen.

      Robert von Kampen hatte ebenfalls Herzbergs Schreiben erhalten. Gespannt riss er das Kuvert auf und überflog die Zeilen:

      »… dass Sie als Professional Ihr Fach beherrschen, konnten wir den eingereichten Unterlagen entnehmen. Die ausgeschriebene Position verlangt von dem zukünftigen Stelleninhaber bzw. der zukünftigen Stelleninhaberin jedoch auch ein besonderes Maß an körperlich-geistiger Fitness. Bitte, stellen Sie sich darauf ein, dass wir Ihre physischen und mentalen Fähigkeiten, mittels eines von unserer Agentur entwickelten