3 zu viel für diesen Job. Herwig Silber

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Название 3 zu viel für diesen Job
Автор произведения Herwig Silber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943941593



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an Valanders Foltermethoden. Saubande, stöhnte Herzberg unhörbar. »QUALM«, das konnte ein Tarnname, eine Abkürzung oder sonst was sein. Bloß was? Die Luft im Büro schien zu kochen. Herzberg rüttelte an einem der Fenstergriffe, aber Valander hatte die Sicherungsschlüssel abgezogen.

      »Was ist los, hat’s Ihnen da drüben die Stimme verschlagen?«

      »Moment, ich …« Das Getöse einer Höllenmaschine ließ Herzberg zusammenfahren. Er blickte hinter sich, sah wie ein museales Staubsaugerungetüm hingebungsvoll über den dunkelbraunen Teppichboden geschoben wurde. Herzberg riss das Stromkabel aus der Steckdose, der Lärm fiel in sich zusammen.

      »Ich hier saubermachen, sagt Chef. Dann, wenn er nicht da.« Die kompakte türkische Putzfrau näherte sich kampfbereit.

      »Besser, Sie machen jetzt mal eine Pause«, erklärte Herzberg mit sanfter Stimme.

      »Nix Pause, muss arbeiten.« Sie umklammerte das Saugrohr, als wollte sie damit auf ihn einprügeln.

      »Mops, sind Sie eigentlich noch da?« Das Rhinozeros schnaubte hinterhältig.

      »Ja, bin gleich wieder bei Ihnen, muss hier nur ein kleines Problem lösen.« Herzberg fingerte einen Fünfeuroschein aus der Tasche. »Trinken Sie in Ruhe einen Tee, bis ich Sie wieder rufe«, flüsterte er ihr eindringlich zu.

      »Wenn Sie jetzt auflegen, Mops, dann bekommt ihr eine Konventionalstrafe übergebraten, von der sich euer Laden nicht mehr erholt.« Wie auf Kommando stampfte Valander durch die Tür, schmiss die Akte »Schweikart« auf den schwankenden Beistelltisch und baute sich gebieterisch vor Herzberg auf.

      »Der Termin ist geplatzt«, giftete er los. »Alles Ihre Schuld, Mops. Wenn dieser wichtige Kunde abspringt, sind Sie schneller gefeuert, als meine Frau Sie eingestellt hat.«

      »Na, Herr Mops …«, tröpfelte es scheinheilig aus dem Hörer, »schon wieder Scheiße gebaut? Fiedel ist sauer, stimmt’s?« Es folgte ein kaum wahrnehmbares Rauschen. »Und ich auch, Mops!«, explodierte die Stimme unvermittelt im Hörer.

      »Beruhigen Sie sich, bitte …« Herzbergs Hemd klebte am Körper. Diese Hitze, woher kam nur diese unerträgliche Hitze? »Sie wollen den Sachstand zum Projekt ›Qualitäts-Management‹ wissen, richtig?« Eine spontane Eingebung lenkte seinen Blick auf das Deckblatt einer der Unterlagen auf Valanders Schreibtisch. Nun klärte sich für ihn, was das Rhinozeros unter der Abkürzung »QUALM« verstand.

      »Der Bericht liegt vor, es fehlt nur noch die Freigabe des Chefs. Ich werde Herrn Fiedel umgehend darauf ansprechen. Sie bekommen sofort Bescheid, sobald … Hallo?« Das Rhinozeros hatte wortlos eingehängt.

      »Sie schwindeln Mops, Sie haben gar keinen Bericht. Sie wollten nur diesen lästigen Kunden abwimmeln, stimmt’s?« Valanders Augen blitzten tückisch.

      »Sie irren sich …«

      »Ach ja, dann zeigen Sie mir doch mal den Bericht.«

      »In Ihrer aufgeschlagenen Unterschriftenmappe liegt er.« Valander stutzte, dann entspannte sich sein Gesicht.

      »Donnerwetter, so weit hat es vor Ihnen noch niemand gebracht.« Valander riss alle Fenster wieder auf, dann stellte er die Ventile der kochenden Heizkörper ab. »Wann können Sie anfangen?« Herzbergs Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

      »Wenn wir heute den Vertrag machen, sage ich bei der Konkurrenz ab und stehe Ihnen ab sofort zur Verfügung.«

      Valander war einverstanden, dieses Talent wollte er unbedingt für sich gewinnen.

      Herzberg erinnerte sich, wie er rundum zufrieden in sein schäbiges Häuschen zurückgekehrt war. Statt Bier gönnte er sich ein Siegerfläschchen Prosecco. Und Valander? Der war ebenfalls bester Laune. Erst einige Zeit später erfuhr er, ganz beiläufig im Kundengespräch, wen er sich da eingekauft hatte. Doch Vertrag war Vertrag, außerdem, so beruhigte sich Valander, warum sollte man es nicht mit diesem Herzberg versuchen, ihm eine faire Chance geben? Sollte dennoch etwas schieflaufen, als Angestelltem auf Probe konnte man dem Neuen problemlos kündigen. Aber nichts lief schief, im Gegenteil, Valanders Auftraggeber waren voll des Lobes über diesen umsichtig handelnden und im entscheidenden Moment knallhart ergebnisorientiert zupackenden Berater. Dessen Fähigkeiten sprachen sich in der Branche schnell herum. Besonders in kniffligen Personalangelegenheiten vertrauten Chefs der überwiegend mittelständisch geprägten Kundschaft auf Herzbergs persönlichen Rat. Valanders Agentur nahm spürbar Aufschwung und bald bezog die Firma neue, verkehrsgünstig gelegene Räume im Zentrum von Hannover.

      Eines Tages meldete sich die Personaldirektorin eines pharmazeutischen Unternehmens direkt bei Herzberg, fragte an, ob er – nebenberuflich – einen delikaten Auftrag übernehmen könne. Zwar musste er, mit Hinweis auf bestehende arbeitsvertragliche Regelungen, ablehnen, zugleich bestätigte sich seine Hoffnung, dass die alten Geschichten vergessen waren. Nun konnte er einen Neustart als selbständiger Personaldienstleister wagen.

      Als Valander erfuhr, dass Herzberg kündigen wollte, bekniete er ihn zu bleiben, bot, neben besserer Bezahlung, eine Beteiligung am Unternehmen an. Herzberg bedankte sich für das großzügige Angebot, aber sein Entschluss, wieder in die Selbständigkeit zu gehen, stand fest.

      Zum Abschied floss viel Alkohol und auch die eine oder andere heimlich geweinte Träne. Als sich weit nach Mitternacht die Belegschaft sektselig in den Armen lag, verließ er die Räume der Agentur in der festen Überzeugung, den richtigen Schritt für seine weitere berufliche Zukunft getan zu haben.

      Während Herzberg versonnen auf die Nebelbänke im fahlen Dämmerlicht starrte, verblassten die turbulenten Erinnerungen langsam in seinem Kopf. Er wandte sich ab, ging zurück ins Wohnzimmer und schloss mechanisch die Terrassentür. Ob er Valanders Test heute noch bestehen würde? Er war froh, den Beweis nicht antreten zu müssen. In jedem Fall hatte er manch Nützliches von seinem ehemaligen Brötchengeber gelernt. Zum Beispiel wie man Schwächen aufdeckt, Schwächen, die angehende Stelleninhaber hinter schönfärberischen Arbeitszeugnissen, sprühendem Fachwissen oder exzellenten Umgangsformen zu verbergen suchen. Er hatte Valanders Test zu einem umfassenden Prüfungsszenario fortentwickelt, und ein Verfahren kreiert, das den Probanden ein Höchstmaß an Geschick, Nervenstärke und Durchhaltevermögen abverlangte. Aufgrund dieser speziellen Methodik war er nunmehr mit fast hundertprozentiger Sicherheit in der Lage, am Ende eines entsprechenden Bewerbungsmarathons den richtigen Mann beziehungsweise die geeignete Frau für den jeweils ausgeschriebenen Job zu präsentieren. Nicht zuletzt wegen dieser Erfolgssicherheit war sein Tagessatz in eine Höhe geklettert, den nur noch kapitalkräftige Unternehmen bereit waren zu zahlen.

      Entschlossen nahm er den Pilotenkoffer und stellte ihn in den Flur, zu den anderen Reiseutensilien. Er wollte früh loszufahren, um gegen Mittag im gebuchten Hotel in Berlin einzutreffen. Lauenroth, sein Assistent, besaß genaueste Anweisung, wie er die Seminarräume auszustatten hatte. Vor Ort würde man gemeinsam alles noch einmal überprüfen und letzte Details besprechen. Herzberg widerstand der Versuchung, zum Hörer zu greifen, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen zu erkundigen. Lauenroth sollte sich an eigenverantwortliches Handeln gewöhnen. Wie es wohl wäre, dachte Herzberg, wenn er diesen Lauenroth nicht im Rahmen einer Dozententätigkeit an der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel kennengelernt und später als Mitarbeiter eingestellt hätte? Er erinnerte sich noch ziemlich genau an die Abschlussarbeit mit dem Thema: »Aggressive Methoden der Personalauswahl«. Äußerst bemerkenswert, was dieser Lauenroth mittels akribischer Recherche damals alles zutage gefördert hatte: brutale Inquisitions-Interviews bei großen Softwarefirmen, hinterhältige Fallenstellerfragen in der Pharmaindustrie sowie subtile Psychotests im Bankgewerbe. Was der Bursche in kompakter Form damals ablieferte, war keine der üblichen Fleißarbeiten, sondern eine umfassende, methodisch saubere Recherche, die dem Kandidaten ein »Sehr gut« eingebracht hatte. Und dann bewarb sich der frischgebackene Bachelor als Assistent und entpuppte sich vom Start weg als unermüdliches Arbeitstier, überzeugte durch Fantasie, Einfühlungsvermögen, technischen Sachverstand und moderate Gehaltsforderungen.

      »Wie gut, dass ich diesen kleinen Wuselknecht habe«, dachte Herzberg, wie zufällig im Schlafzimmer angelangt, wo er noch einen routinemäßigen Blick auf die Zusammenstellung der