Mist, die versteht mich ja!. Florence Brokowski-Shekete

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Название Mist, die versteht mich ja!
Автор произведения Florence Brokowski-Shekete
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944666785



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Mama jedoch nicht wirklich etwas anzufangen wusste. Mama und Oma versuchten, Offenheit zu zeigen, sich zu interessieren für das Land, das Leben und die Leute, für ihre Heimat. Sie benutzten die Geschenke, nähten sich aus den Stoffen Kleider und probierten die fremden Speisen. Sie wollten Brücken bauen und es gelang ihnen. Dennoch mussten sie viel lernen, die laute Art, das Temperament, den Klang der fremden Sprache, die immer dann zum Einsatz kam, wenn ihnen etwas nicht passte. Sie wollten nicht, dass Mama und Oma ihrer Diskussion folgen konnten.

      Sie respektierten sich gegenseitig, aber eine Freundschaft sollte daraus nie werden. Sie siezten sich bis zum Schluss. Die fremden Gerüche von unbekannten Haarcremes und Körperlotionen störten Mama. Wenn ich von meinen Eltern zurückkam, roch auch ich fremd für sie. Egal wie spät, egal wie müde, sie wusch mich immer, sobald ich bei ihr ankam.

      »Es sind doch deine Eltern!«, hieß es, wenn ich nicht mit ihnen mitgehen wollte. Ja, das waren sie, das sind sie! Aber ich lebte nicht mit ihnen, ich kannte sie kaum, ich fühlte sie nicht. Meine Eltern erwarteten jedoch, dass ihr Kind ihre Entscheidungen einfach akzeptierte. Wann immer sie vor der Tür standen, wann immer sie mich mitnahmen in eine mir fremde Welt – ich hatte es zu akzeptieren, mehr noch, es zu begrüßen. Fragen, Traurigkeit oder gar Rebellion waren verboten, egal in welchem Alter.

      Ihre Spontanität und ihre Willkür sollten von nun an immer wieder unseren Alltag stören. Berechenbarkeit und Verlässlichkeit schienen in ihrem Leben keine Rolle zu spielen. Bestimmt meinten sie es nicht böse, sicherlich war es keine Absicht, es war schlicht ihr Lebensstil. Mit Sicherheit liebten sie ihr Kind. Sie liebten es eben auf ihre Weise. Eine Weise, die ich nicht begriff, die mich nicht erreichte, die ich nicht annehmen konnte, nicht annehmen wollte. Ich liebte jene Person, die die meisten Tage und Nächte bei mir war, die gut war und auf die ich mich verlassen konnte. Sich mit dieser Erkenntnis auseinanderzusetzen, muss meinen Eltern schwergefallen sein, vielleicht wollten und konnten sie sich damit nicht auseinandersetzen. Ein Kind hat seine Eltern zu lieben, nur diese, ganz gleich, wo sie sich aufhielten.

      Sie zahlten Pflegegeld, selbstverständlich, schließlich handelte es sich um eine Abmachung und nicht um einen Freundschaftsdienst. Wie gesagt, eine Freundschaft entwickelte sich zwischen ihnen und Mama nie. Anfänglich zahlten sie regelmäßig, dann immer seltener. Mama brauchte das Geld, sie musste ja für mich aufkommen. Zum Glück konnte sie das Meiste selbst nähen und benötigte zumindest für Kleidung kaum Mittel. Dennoch, die Erledigung ihrer Aufträge als Schneiderin musste sie weitestgehend in die Abend- und Nachtstunden verlegen, wenn ich schlief. Sie musste ihr Leben komplett umgestalten. Aber es gefiel ihr, für dieses Kind sorgen zu dürfen und Leben in der, wenn auch sehr kleinen, Wohnung zu haben. Ich wurde ihre Tochter und das blieb auch meinen Eltern nicht verborgen. Sie wussten, dass Mama mit der Zeit sehr an mir hing, mich liebgewonnen und ich bei ihr und ihren Verwandten ein Zuhause gefunden hatte. Neben der Oma hatte ich noch eine Tante, Mamas Schwester. Ich hatte einen Onkel, Mamas Schwager, und zwei Cousins und eine Cousine, Mamas Nichte und Neffen. Sie waren fast zehn Jahre älter als ich. Das gefiel mir, denn wenn sie uns besuchten, beschäftigten sie sich mit mir. Schon früh entdeckte ich die Liebe zum Friseurberuf, also musste der ältere Cousin herhalten, ich wusch und kämmte ihm die Haare. Er war sehr geduldig und froh, dass die Schere außer Reichweite blieb. Ich war angekommen in der neuen Familie. Dass ich anders aussah und eigentlich ein fremdes Kind war, störte meine neue Familie nicht. Sie sahen nur ein neues Mitglied, einen kleinen Menschen, ein Mädchen – alles Weitere war und ist für sie bis heute nicht wichtig.

      Es störte auch die Kinder in der Umgebung nicht, mit denen ich spielte, ebenso wenig die Menschen in der Kirchengemeinde. Ich war sichtbar. Ich hatte eine dunkle Hautfarbe, die nach und nach zu verblassen schien – zumindest in den Köpfen der Menschen, die gut zu mir waren, gut zu uns.

      Natürlich wurde Mama nach meiner Herkunft gefragt, nach den Eltern, nach dem Grund, warum sie mich zu ihr gegeben hatten. Fragen, die jedoch auch gestellt worden wären, wenn dieses Pflegekind weiß gewesen wäre.

      Dass ich Mama »Mama« nannte, war nun nicht mehr zu verhindern. So brachte sie mir schließlich bei, dass meine Mutter »Mutti« und mein Vater »Papi« seien. Sie hoffte damit, jeglicher Irritation, jeglichem Ärger, jeglicher Enttäuschung vorzubeugen und alle zufrieden zu stellen.

      Schließlich blieb das Pflegegeld ganz aus. Meine Eltern konnten nicht mehr zahlen, wie sie sagten, und Mama stand vor der Wahl: Kein Geld – keine Flori; oder kein Geld – und dennoch Flori. Ob meine Eltern es darauf anlegten, weil sie wussten, dass für meine Mama das Finanzielle nicht im Vordergrund stand? Ich weiß es nicht. Klar war nur, Pflegegeld gab es nun keines mehr, dennoch blieb die Wohnung in Buxtehude mein Zuhause.

      Ich war glücklich mit dem, was ich besaß – Puppen jeder Größe, jeden Geschlechts und jeder Farbe, ein Puppenhaus, das jährlich wuchs, einen Kaufmannsladen, eine Spielküche, jede Menge anderer Spielsachen und einen Puppenwagen. Da ich nicht in den Kindergarten ging, hatte ich nicht viele Freundinnen, aber mit den wenigen machte das Spielen meistens Spaß. Mit den Mädchen aus der Nachbarschaft spielte ich entweder bei uns mit meinen Sachen oder bei ihnen. Wir liebten die klassischen Spiele wie Vater, Mutter, Kind. Wir gingen »einkaufen«, hatten Spielgeld in der Kasse des kleinen Kaufmannsladens. Wurden wir von unseren Mamas nach der Spielzeit abgeholt, kauften sie uns auch einmal etwas ab und bezahlten mit echtem Geld. Wie glücklich waren wir dann, wenn wir die zehn Pfennig in die Spardose stecken konnten. Bei warmem Wetter spielten wir draußen in den Gärten. Buken im Sandkasten diverse Kuchen, hatten mit Sand und Wasser einen Heidenspaß und waren am Ende des Tages mit Schlaggermatsch, wie wir das Gemisch aus Sand und Wasser nannten, bedeckt. Wir schaukelten und wippten, wir hatten eine unbeschwerte Zeit. Natürlich gab es ab und an auch mal Streit. Aber schon als Kind war mir Streit zuwider, zog ich mich lieber zurück. Wortlos packte ich mein Eimerchen mit Förmchen und Schaufeln und was man sonst noch so in einem Sandkasten benötigte und ging hoch zu meiner Mama. Sie beschäftigte sich dann mit mir, setzte sich zu mir auf den Teppich, holte ein Puzzle oder ein Malbuch heraus oder legte eine der vielen Schallplatten auf, die sie inzwischen für mich gekauft hatte. Huibuh, das Schlossgespenst war mein absoluter Favorit.

      Ich liebte es, auf meinem Puppenherd zu kochen. Nein, es war keine Attrappe, ich kochte mit kleinen Brennspirituswürfeln, kleinen Töpfen und Pfännchen. Natürlich unter strengster Überwachung meiner Mama. Anfänglich half sie mir beim Kochen, aber bereits mit ungefähr drei Jahren wollte ich selbst kochen. Mama und Oma waren tapfer, sie aßen alles, was ich kochte. Und fand einmal eine Besprechung der Kirchengemeinde bei uns statt, die der Pfarrer, der mich damals vermittelt hatte, leitete, kam er in den Genuss meiner Buchstabennudelsuppe, mit einer bekannten Gewürzsoße abgeschmeckt und mit roter Grütze als Dessert. Er was ebenfalls tapfer und aß alles auf. Nicht so wie andere, die nur so taten, als würden sie essen und zudem glaubten, ich würde es nicht merken.

      Mein Zuhause strahlte Freude aus und wurde ergänzt durch den Kontakt zu den Menschen in der Kirchengemeinde, die so etwas wie eine zweite Heimat für mich war. Die Kinderstunde fand meist dienstags statt, der Kindergottesdienst an Sonntagen, der Erwachsenengottesdienst ebenfalls an Sonntagen, zu dem mich Mama mitnahm. Wurde es mir in den Erwachsenengottesdiensten zu langweilig, durfte ich malen, aber ich war stets dabei, wuchs mit den Liedern, den Geschichten, den Gebeten und dem Glauben an Gott und Jesus auf. Wie die beiden aussahen, wo sie genau lebten und was sie machten, war mir natürlich unerklärlich, aber ich liebte Geschichten. Die Geschichten aus der Bibel waren für mich nicht anders als die aus dem Märchenbuch der Gebrüder Grimm. Ich lernte die Weihnachtsgeschichte anhand einer großen Krippe kennen, die Mama bei uns im Wohnzimmer zu Beginn jeder Adventszeit aufbaute. Mit kindlicher Freude ließ ich dann Maria und Josef vier Wochen lang ihren Weg zur Krippe wandern, bis an Heiligabend Baby Jesus in der Futterkrippe sein Bettchen fand. Es hieß, ich hätte mich vehement geweigert, diesen armen Kleinen nackt in die Futterkrippe zu legen. Das hatte zur Folge, dass Mama ihn anziehen musste. An Heiligabend gingen wir in die Kirche, anschließend kam der Weihnachtsmann und brachte die Geschenke. Eine ältere Nachbarin, die uns oft besuchte und sich nun hinter der Weihnachtsmannmaske befand, erkannte ich lange nicht. Einmal soll mir wohl ihre Stimme bekannt vorgekommen sein. Im Jahr darauf steckte sie sich deshalb eine Walnuss in den Mund. Dass sie sich an dieser fast verschluckt hätte, hinderte sie nicht daran, dieses Risiko Flori zuliebe auch in den nächsten Jahren in Kauf zu nehmen.

      Der