Название | Mist, die versteht mich ja! |
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Автор произведения | Florence Brokowski-Shekete |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944666785 |
Mama brachte mir schon früh bei, dass alle Menschen gleich sind und es keinen Unterschied gibt. Sie erklärte mir, dass es schön ist, wenn Menschen ihre Freundlichkeit zeigen. Ich freute mich über diese Freundlichkeit bei anderen und begegnete den Menschen unbefangen und unvoreingenommen, in die Haare fassen sollten sie mir dennoch nicht.
Wenn die Mitarbeiter der städtischen Müllabfuhr vor unserem Haus die Mülltonnen leerten und ich ihnen zuschaute, zogen sie ihre Handschuhe aus, um mir die Hand zu geben. Die Menschen waren freundlich, sehr freundlich.
Schon früh brachte man mir bei, Plattdüütsch zu sprechen und freute sich immer sehr, wenn ich auf die Frage: »Wie geit die dat?« auf perfektem Plattdüütsch antwortete: »Mi geiht good.« Bei unserem Bäcker an der Ecke brachte mir diese Begrüßung stets einen Lolli und einen Handschlag ein.
Der Kontakt zu meinen Eltern blieb »spontan«. Ich genoss ihre Abwesenheit, war froh, wenn sie keine Zeit hatten und ich Flori und nicht wie auch immer heißen und mich entsprechend benehmen musste.
Ich erinnere mich aber auch an ein paar gelöste Situationen mit ihnen. Da waren wir verabredet, sie kamen uns besuchen, begleiteten uns auf Elternnachmittage in der Kirchengemeinde, die Mama ausrichtete. Alle Gäste hatten Platz genommen, an schön gedeckten Tafeln, die Kinder – auch ich – führten eingeübte Stücke auf, sangen Lieder. Es gab Kaffee, Tee und Butterkuchen, und zwar den für mich bis heute weltbesten Butterkuchen unseres Bäckers an der Ecke. Da waren sie einfach »Floris Eltern« und ich erinnere mich an ein Gefühl, das sich ein ganz klein wenig wie Stolz anfühlte. Stolz auf diesen großen Mann, den die anderen Mütter mit strahlenden Augen ansahen, wenn er erzählte. Auf diese hübsch gekleidete Frau, der die Väter immer wieder einen Blick zuwarfen, obwohl sie einfach nur dasaß und wenig sagte. Überhaupt waren sie sehr unterhaltsame Gäste, besonders er bestach mit seinem trockenen Humor.
Sie fingen an, mir von Nigeria zu erzählen, dem Land, aus dem sie kamen, das Land, das auch meine Heimat sein sollte. Sie erzählten mir von dieser Heimat und dass wir bald dorthin zurückgingen, etwas, das ich weder wahrhaben noch verinnerlichen wollte. In Lagos würden wir leben, einer wunderschönen Stadt, in einem wunderschönen, großen Haus, jedes Kind hätte ein großes Zimmer. Unsere Verwandten würden dort auf uns warten, ein Opa und eine Oma wären dort, Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins und meine Schwester – alle würden sie auf uns warten.
Ein eigenes Zimmer? Das klang gut, das hatte ich bislang nicht, und mit Speck fängt man ja bekanntlich Mäuse. Aber Nigeria? Wo sollte das sein? Und warum meine Heimat, mein Zuhause? Ich hatte ein Zuhause und das hieß Buxtehude. Und überhaupt, was sollte ich in einem fernen, fremden Land, wenn meine Mama doch in Buxtehude war. Kam sie vielleicht mit? Aber was würde dann aus Oma werden? Kam diese auch mit? Nein, sie würden nicht mitkommen, also war dieses andere Land auch für mich nicht im Entferntesten eine Option.
Es war mir ein Rätsel, wie meine Eltern glauben konnten, dass ich dorthin passen könnte. Ja, ich hatte eine braune Hautfarbe, genau wie sie. Einmal soll ich meinen Vater erstaunt angeschaut und festgestellt haben: »Bist du aber Schwarz.« Er erwiderte, dass ich genauso Schwarz sei. Ob ich es begriffen hatte, wage ich zu bezweifeln, nahm ich mich doch in meiner Welt so nicht wahr. Es gab wohl auch eine Zeit, da habe ich versucht, mich mit einer Bürste sauber zu schrubben und meine Mama gefragt, warum sie sich nicht ein sauberes Kind genommen hätte. Das waren dann jene Momente, in denen ich sie wahrnahm, meine Schwarze Haut in meiner weißen Welt.
Mama nahm sich Zeit, mir die Dinge zu erklären und half mir dabei, meine Hautfarbe und die Tatsache, dass ich lange Zeit das einzige dunkelhäutige Kind in meiner Umgebung war, zu akzeptieren. Und dennoch, es dauerte eine Weile, bis ich begriff, warum die Nachbarn sich immer an mich erinnerten, wenn wir doch mindestens zehn Kinder waren, die den Klingelstreich verübten. Hatte ich doch meistens das Gefühl, genauso zu sein wie alle anderen auch. Dieser Zwiespalt sollte sich wie ein roter Faden durch mein Leben ziehen. Äußerlich afrikanisch, innerlich deutsch. Mit Nigeria hatte ich nicht viel am Hut, wollte auch nicht viel davon wissen, außer ich sah ein Kind, das so aussah wie ich und allein unter Weißen war. Dann war die Neugier groß. Es war, als schaute ich in einen Spiegel, wie damals in Großbritannien. Sehr oft gab es diese Gelegenheiten zwar nicht, aber wenn, dann war ich komplett aus dem Häuschen.
Ich liebte Spielmannszüge. Wann immer ich einen hörte, musste Mama mit mir in die Richtung der Musik laufen. Oder ich lief kurzerhand allein los, was mir natürlich im Nachhinein Ärger einbrachte, aber das war es mir wert. Die Uniformen, die Instrumente, die Tambourmajore, die ihren Stock immer so gekonnt in die Höhe warfen und wieder auffingen, all das liebte ich sehr. Ich war gerade in die Schule gekommen, als wir ein Festival mit Spielmannszügen aus den europäischen Nachbarländern besuchten. Ich erinnere mich an ein Mädchen in einem dieser Spielmannszüge, das doch tatsächlich so aussah wie ich – zumindest hatte es die gleiche Hautfarbe. Ich weiß noch wie heute, wie schnell ich die Absperrungen überwunden hatte, nur um dieses Mädchen näher anschauen zu können. Endlich einmal ein weiteres Kind in Buxtehude, das so aussah wie ich. Zu Mama sagte ich, dass dieses Mädchen doch sicherlich meine Schwester sein müsste. Natürlich war es nicht meine Schwester. Aber die Erinnerung und die Freude, die ich damals empfand, hallen bis heute in mir nach.
Mama war es wichtig, dass ich nicht auffiel, trotz oder gerade wegen meiner Hautfarbe. »Flori, was sagen die Leute?«, war ihre Standardermahnung. Nur nicht auffallen, nicht aus der Reihe tanzen, niemandem Anlass für eine negative Äußerung geben und froh sein, dass die Leute nichts gegen einen hatten. Und so war ich das angepasste, freundliche und höfliche kleine Mädchen mit dem schönen krausen Haar, das immer Röcke und Kleider trug.
Manchmal meinten Nachbarn die Bemerkung machen zu müssen, dass ich ja gar nicht so Schwarz wäre und überhaupt ja auch gar nichts dafür könne. Diese Sätze klangen komisch und ich konnte sie nicht einordnen. Dennoch, ich mochte Äußerungen dieser Art schon damals nicht. Sie hinterließen das Gefühl, etwas an mir zu haben, für das ich jedoch nichts konnte. Sie hinterließen eine unerklärliche Wut, die ich noch weniger einordnen konnte, waren die Menschen doch freundlich zu mir. Mein Unbehagen äußerste ich nie, ich blieb angepasst, freundlich und höflich.
Auch bei meinen Eltern übte ich mich in dieser Tugend der Unauffälligkeit. Erzählten sie mir über »unsere« Heimat, hörte ich brav zu. Überhaupt hörte ich mehr zu, als dass ich sprach, was sich später noch als sehr nützliche Angewohnheit herausstellen sollte.
Immer öfter bekam ich mit, dass die »Ausreise«, wie es hieß, bald bevorstünde. Mama war sehr besorgt, ängstlich und traurig und ich begriff, dass die »Ausreise« nichts Gutes verhieß. Ich sollte auf eine einheimische Schule gehen, deshalb sollte ich so schnell wie möglich Englisch lernen. Außerdem war Englisch die Amtssprache in Nigeria und ich sollte mich ja auch mit den Verwandten verständigen können.
Mama brachte mich ein paar Mal zu einer Bekannten, einer Engländerin, und ich begann ein paar Brocken aufzuschnappen. Meine Eltern hatten bisher mit mir nur Deutsch gesprochen und Yoruba, ihre Stammessprache, die ich nicht verstand und auch nicht verstehen wollte. Es gab auch eine deutsche Schule in Lagos, aber die kostete Geld. Und dieses Geld war nicht vorhanden.
Inzwischen war es das Jahr 1975, ich besuchte die zweite Klasse, kam in die dritte. So wirklich begriff ich nicht, was mit der Umsiedlung nach Nigeria auf mich zukam. Ich bemerkte aber, dass Mama sich große Mühe gab, mir viele schöne Erinnerungen zu bescheren – mein achter und letzter Geburtstag in Buxtehude, das letzte Osterfest, der letzte Sommer, das letzte Weihnachtsfest, das letzte Silvester. Zum Glück bestanden meine Eltern in diesem Jahr nicht darauf, dass ich diese Feiertage mit ihnen und meinen Brüdern – ein zweiter Bruder war im Dezember 1975 zur Welt gekommen – verbrachte. Denn in der Vergangenheit hatten Mama und ich Weihnachten manchmal vor- oder nachfeiern müssen.
Mama versuchte mich abzulenken und ging mit mir in