Название | Mist, die versteht mich ja! |
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Автор произведения | Florence Brokowski-Shekete |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944666785 |
Mein Deutsch ist lupenrein, der norddeutsche Akzent, inzwischen durch einen leicht badischen Singsang gefärbt, ist deutlich herauszuhören. Dennoch werden mir deutsche Idiome und einzelne Worte extra erklärt, verbunden mit der Frage, wie diese denn in »meiner« Sprache hießen. Dass ich mit meinem Gegenüber bereits über einen längeren Zeitraum problemlos eine Konversation in deutscher Sprache geführt habe, scheint dieser überhört zu haben. Die visuelle Wahrnehmung hat die akustische überlagert, im wahrsten Sinne des Wortes »ausgeschaltet«. Ein Mensch mit einer anderen Hautfarbe muss einfach woanders herkommen, die Sprache nicht verstehen und auch sonst kulturell anders gestrickt sein. Anders kann es nicht sein, sonst würde das Weltbild einiger erschüttert, egal, welchen Hintergrund sie haben. Erstaunlicherweise wurden mir in den letzten Jahren die aberwitzigsten Fragen von den vermeintlich gebildetsten Menschen gestellt. Denn eines scheinen diese Leute zu vergessen: Ein akademischer Titel macht aus einer Grenzüberschreitung keinen wissenschaftlichen Diskurs. Anzunehmen, dass eine Schwarze Frau in Begleitung eines weißen Mannes ein Urlaubsmitbringsel sein muss, ist ebenso absurd wie zu glauben, dass er sie bezahlt habe. Ebenfalls ist die Vorstellung, dass viele vermeintlich ausländische Menschen bereits in der zweiten oder gar dritten Generation in Deutschland leben, vielen dieser Leute fremd. Die ehrliche Antwort wird nicht gehört, nicht akzeptiert, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Oder vielleicht sogar umgekehrt? Niemand mit dunkler Hautfarbe kommt »einfach« mal so aus Hamburg und schon gar nicht aus Buxtehude, das geht einfach nicht. Als ich die Frage, zu wessen Beerdigung ich führe, mit: »Zu der meines deutschen Onkels«, beantwortete, wurde ich von einem Fremden korrigiert: »Aha, ein Bekannter, ein quasi Onkel also.« Mein Gegenüber erklärte mir meine Familienverhältnisse, denn wie könnte ein weißer alter Mann mein Onkel sein?! Prinzipiell ist gegen ein Interesse an meiner Person nichts einzuwenden, zeugt es doch von einer gewissen Neugier, die den Weg zu einer Offenheit bahnen kann. Diese Fragen nicht zu beantworten, nicht zu erläutern, halte ich daher für ungeschickt. Seine Antworten jedoch jedes Mal rechtfertigen zu müssen, ist mühsam und ermüdend.
Kinder sollen fragen, nur so lernen sie. Soll das für Erwachsene nicht gelten? Ist es beleidigend, wenn eine Oma die Erlaubnis für ihr Enkelkind einholt, die braune Haut einmal anfassen zu dürfen, weil das Kind sich frage, ob diese abfärbe? Würde ein »Nein« dem Kind helfen, diese Frage zu »begreifen«? Natürlich können diese Fragen, besonders von wildfremden Menschen, eine anmaßende Grenzüberschreitung bedeuten. Es ist nicht immer lustig, im Supermarkt zwischen Obst und Gemüse eine Kurzfassung der eigenen Biografie zu präsentieren, die dann womöglich auch noch hinterfragt wird. Wie geht man damit um, wenn das Interesse so weit reicht, dass einem Menschen ungefragt in die Haare fassen, weil sie wissen möchten, wie sich diese anfühlen?
Neugier, die von einem ehrlichen Interesse zeugt, macht Freude und ich begegne ihr mit einer ebensolchen Zugewandtheit. Grenzüberschreitungen jedoch sind inakzeptabel.
Im Normalfall kommen wir ins Gespräch und mein Gegenüber lauscht gebannt und will mehr wissen. Doch nicht immer reicht die Zeit, sodass es am Ende oft heißt: »Mensch, Sie sollten ein Buch schreiben!«
Ein Buch schreiben? Ist meine Geschichte denn wirklich so spannend? Ein Buch über mich, meine Herkunft, meinen Vater, meine Mutter und meine Mama? Über die Tatsache, Einzelkind mit vier Geschwistern zu sein? Über die Alltagserlebnisse in Deutschland als Mensch, Mädchen, Frau mit afrikanischer Herkunft? Darüber, dass diese Erlebnisse nicht immer etwas mit Alltagsrassismus zu tun haben, es diesen aber durchaus gibt? Darüber, wie diese Erlebnisse gehört, empfunden, aufgenommen und verstanden werden können, aber nicht müssen? Darüber, dass es manchmal einfach eines Perspektivwechsels bedarf, um zu verstehen, was der andere warum sagt? Darüber, wie es sich anfühlt, aufgrund einer anderen Hautfarbe optisch immer herauszustechen, immer anders zu sein und eigentlich nie wirklich dazuzugehören? Darüber, immer besser und fleißiger sein zu müssen als die anderen, um wenigstens als annähernd ähnlich qualifiziert angesehen zu werden? Dies jedoch schon als normal zu empfinden und nicht mehr zu spüren? Darüber, stets adrett gekleidet sein zu müssen, um als halbwegs ordentlich angezogen zu gelten? Darüber, es gewohnt zu sein, beruflich stets über die eigenen Grenzen zu gehen, ohne wahrzunehmen, dass das nicht gesund ist? Sich gar eine »Karriere« anzumaßen?
Dass der Begriff »Neger« schon lange vor der Political Correctness nicht mehr salonfähig war, ist jedem bekannt. Auch der Sarotti-Mohr war noch nie wirklich niedlich. Und die Erklärung »Wir meinen es ja nicht böse, aber so sagt man bei uns nun mal« war schon immer beliebig.
Ich könnte schreiben, dass es dennoch verständlich ist, dass Jahrhunderte lang benutzte Begriffe nicht mit einem Fingerschnippen aus dem Sprachgebrauch und den Köpfen verschwinden. Ich könnte beschreiben, dass all dies nicht schwächt, sondern ganz im Gegenteil stärkt. Und, dass fortwährendes Brückenbauen eine Last sein kann, aber nicht sein muss und durchaus eine Bereicherung darstellt.
Und ich könnte beschreiben, wie es mir gelungen ist, die Dinge so zu sehen, wie ich sie sehe und zu welchem Preis.
Ein Buch? Ja, warum eigentlich nicht!
Wie alles begann
Rückblickend war es eine schöne Kindheit, behütet, idyllisch, warmherzig. Diese Frau – sie sah anders aus als ich, ihre Haut war hell – war liebevoll, sie beschützte mich, sorgte für mich, half mir auf, wenn ich hingefallen war, spielte mit mir, wenn unten im Hof kein anderes Kind war. Bei ihr fühlte ich mich wohl. Es heißt, ich habe sie bereits zwei Stunden nach meiner Ankunft »Mama« genannt.
Meine Mama – das ist sie bis heute, meine Herzensmama – ich hatte sie sehr lieb. Und dennoch war immer klar, meine Mutter war sie nicht.
Ich hatte Vater und Mutter, schließlich war ich kein Findeloder Waisenkind. Meine Eltern, mit denen alles begann, die verantwortlich dafür waren, dass es mich, meine Geschichte überhaupt gibt.
Es muss an einem typischen Februarnachmittag gewesen sein, 1969 – stürmisch, trübe, nasskalt. Ein Ehepaar westafrikanischer Herkunft, Mitte, Ende Zwanzig, sucht in einer niedersächsischen Hansestadt eine Bleibe für ihre kleine Tochter. Sie sprechen bereits etwas Deutsch, gut genug, um sich verständigen zu können.
Sie waren beide nach Hamburg gekommen, um dort zu studieren, er vor vier, sie vor drei Jahren. 1967 bekamen sie ihr zweites Kind, ihre zweite Tochter, die erste hatten sie in ihrer westafrikanischen Heimat, Lagos in Nigeria, bei Verwandten zurückgelassen. Nun hatten sie also noch ein Kind, in Deutschland, in einem für sie fremden Land. In einem Land, in dem sie ohne Verwandte und familiäre Unterstützung zurechtkommen mussten. Als Studierende war es für sie schwer, sich um dieses Kind zu kümmern. Sie suchten immer wieder nach Möglichkeiten, ihr Baby unterzubringen. Nach Pflegestellen, die gegen Geld auf es aufpassten. Wenn sie eine Pflegestelle gefunden hatten, waren sie erst mal zufrieden, sie konnten sich in Ruhe ihrem Studium widmen. Doch sollte dieser Zustand nie von Dauer sein, nach einer Weile holten sie ihr Kind von der Pflegestelle ab und suchten eine neue und wieder eine neue und wieder. Warum das so war, sollte sich erst viele Jahre später klären.
Nun also in Niedersachsen, genauer gesagt, in Buxtehude. Meine Eltern suchten erneut eine Bleibe für ihre knapp zwei Jahre alte Tochter Florence – für mich. Natürlich war das nicht einfach. Wer ist bereit, rund um die Uhr ein fremdes Kind bei sich aufzunehmen, sich um es zu kümmern, als sei es das eigene? »Wir suchen eine Frau, die unserer Tochter Liebe gibt«, sollen sie gesagt haben. Natürlich war ihnen klar, dass niemand unentgeltlich ein Kind bei sich aufnimmt. Liebe hin oder her – wer ist schon derart altruistisch? In Buxtehude trafen sie auf den Pfarrer einer evangelischen Kirchengemeinde und berichteten ihm von ihren Sorgen. Warum sie gerade einen Pfarrer und nicht einfach das Jugendamt aufsuchten? Nun, sie waren gläubige