Название | Mist, die versteht mich ja! |
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Автор произведения | Florence Brokowski-Shekete |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944666785 |
Ob sie dieses nigerianische Ehepaar sympathisch fand? Sie waren höflich und freundlich, schienen dankbar, dass sie nun wieder jemanden für ihr Kind gefunden hatten. Es war klar, dass sie finanziell nicht auf Rosen gebettet waren, aber sie versicherten, dass sie die vereinbarte Summe pünktlich zahlen würden. Sie sprachen gut Deutsch. Mein Vater etwas besser als meine Mutter, er war aber auch bereits ein Jahr länger in Deutschland als sie. Ohnehin schien er locker und humorvoll zu sein, sie eher ernst. Beide wussten genau, was sie wollten.
Die Tage vergingen und ich lebte mich gut ein. »Tante Irmgard« – so hieß die Frau, die ich weiterhin »Mama« nannte – packte Freitag früh meine Kleidung in meinen Koffer. Während der Woche hatte sie das eine oder andere Kleidungsstück durch ein neues ergänzt. Als Schneiderin fiel ihr das nicht schwer. Die neuen Kleidungsstücke behielt sie jedoch unter Verschluss, nur die mitgebrachten Teile legte sie zurück in den Koffer. Meine Eltern sollten bald da sein, um mich über das Wochenende zu sich zu holen – wie vereinbart. Mama war sich sicher, dass die Wiedersehensfreude für mich, wenn sie erstmal da wären, bestimmt groß sein würde. Welches Kind freut sich nicht über die Ankunft seiner Eltern? Für Mama war es überraschend, wie gut ich mit meinem Heimweh umzugehen schien. An dem Freitag wartete sie, hatte sich für das Wochenende bereits etwas vorgenommen. Sie wartete und sagte mir immer wieder, dass sie jeden Moment kämen, aber sie kamen nicht – nicht am Vormittag, nicht am Mittag. Sie kamen nicht am Nachmittag, und auch am Abend klingelten sie nicht. Der Freitag verging, es wurde Samstag – und sie kamen nicht. Sie riefen auch nicht an, sie meldeten sich gar nicht. Sie hatten mich abgegeben und kamen nicht zurück.
Mama war verunsichert. Was war passiert? War ihnen etwas zugestoßen? Die Tage verstrichen, der nächste Freitag kam, Mama packte erneut meine Sachen in meinen Koffer und wartete, dass meine Eltern kämen, um mich über das Wochenende zu sich zu holen – so war es ja vereinbart.
Auch dieser Tag verging. Sie kamen nicht – nicht an jenem Freitag, nicht an dem Freitag darauf, auch nicht an den Freitagen danach. Mama hörte nichts von ihnen, Mama las nichts von ihnen, Mama wusste nichts von ihnen, Mama hatte nur die mündliche Vereinbarung, an die sie sich nicht zu halten schienen. Was, wenn ihnen doch etwas zugestoßen war? Was sollte sie dann mit dem Kind machen, das nicht ihr gehörte, das aber bei ihr wohnte? Gab es Angehörige, die wussten, dass das Kind bei ihr war? Würden diese sich bei ihr melden und das Kind abholen? Das Kind konnte doch unmöglich einfach so bei ihr, einer Fremden, bleiben.
Mama hörte auf, freitags meine Sachen in den Koffer zu packen. Genau genommen blieb er einfach gepackt. Und zwar mit meinen alten Sachen. Denn inzwischen hatte sie alle meine Kleidungsstücke ausgetauscht: Kleidchen, Röckchen, Pullover und Blüschen. Es machte Mama Freude, mich anzuziehen. Und obwohl es sie zutiefst verunsicherte, gewöhnte sie sich an den Gedanken, dass meine Eltern wohl nicht mehr kämen, um mich abzuholen, zumindest vorerst nicht.
In der kleinen, dreißig Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung richtete sie mir eine Spielecke ein, ganz in der Nähe meines Bettchens. Ich fragte nicht nach meinen Eltern und schien mich in meinem neuen Zuhause sehr wohl zu fühlen. Ich war ein pflegeleichtes Kind, pflegeleicht mit eigenem Kopf – damals schon. »Tante Irmgard« blieb hartnäckig »Mama« und Mama war eine kluge Frau – sie gab es auf und gewöhnte sich an den Gedanken, Mama genannt zu werden und Mama zu sein.
Mama war nicht allein, sie hatte eine Mutter, auch diese kümmerte sich liebevoll um mich und war für mich meine Oma. Denn wenn diese alte Frau die Mama meiner Mama war, war sie meine Oma. Dieser Logik folgend, brachte mir Mama das Wort Oma bei. Sie versuchte erst gar nicht, mir für Oma einen alternativen Namen beibringen zu wollen.
Die kleine Nachbarin, die ich gleich am ersten Tag kennengelernt hatte, wurde meine ständige Spielgefährtin. Da sie im Nachbarhaus wohnte, sahen wir uns oft, wuchsen miteinander auf und wurden gute Freundinnen – ein Kontakt, der Jahrzehnte halten sollte.
In dem Mehrfamilienhaus mit acht Parteien, in dem wir wohnten, lebte eine Familie mit zwei Töchtern. Die eine war etwas älter, die andere fast so alt wie ich. Hinter dem Haus hatten alle Bewohner einen kleinen Gartenanteil, auch wir. Diese Familie hatte für ihre beiden Töchter einen Sandkasten und eine Schaukel aufgestellt. Sie luden uns ein, dort gemeinsam zu spielen. Mama erzählte mir später, als ich älter war, wie neugierig die Mädchen damals auf mich reagiert hätten. Aber auch ich fand diese weißen Mädchen sehr spannend und freute mich immer darauf, mit ihnen zu spielen.
Es kehrte etwas Alltag ein. Mama ging ihrer Schneiderarbeit nach, die sie glücklicherweise von zuhause aus erledigen konnte. Die Nähmaschine stand in der kleinen Wohnung direkt vor dem Fenster. Daneben befand sich ein Sideboard mit einem Spiegel darauf. Vor dem Sideboard war etwas Platz für eine Decke mit meinen Spielsachen. Ich sei ein zufriedenes Kind gewesen, hieß es später. Zufrieden, solange ich meine Spielsachen und meine Mama um mich hatte. Ich war stets zuhause, ging nicht in den Kindergarten. Warum auch? Schon wieder neue Bezugspersonen? Mama gelang es, ihre Arbeit und das Kind unter einen Hut zu bekommen.
Wenn sie ihre Kirchengemeinde aufsuchte, nahm sie mich mit. Anfänglich verstand ich nicht viel, wusste nicht, worum es ging. Es wurden Geschichten aus der Bibel vorgelesen – die sagten mir nichts. Es wurden Lieder gesungen – die kannte ich nicht. Wie alle anderen Kinder hörte ich zu – auch wenn ich mit meinen zwei Jahren deutlich die Jüngste war. Aber das machte mir nichts aus. Die Menschen in der Gemeinde waren sehr nett zu mir und es gab immer jemanden, der sich anbot, mich zu beschäftigen, wenn mir wirklich einmal langweilig wurde.
Zuhause bekam ich Bilderbücher, die Märchen der Gebrüder Grimm, aber auch biblische Geschichten geschenkt. Mama war es sehr wichtig, dass ich mit den Geschichten aus der Bibel vertraut wurde.
Ging Mama abends weg, passten die Nachbarin von nebenan oder Oma auf mich auf. Das war ein leichter Job, denn schon damals gehörte Schlafen zu meinen liebsten Hobbys. Und Mama kleidete mich ein, mit noch mehr Kleidchen, Röckchen, Blüschen. Sie kaufte mir Schuhe, Strumpfhosen und alles, was ein Kind so braucht. Sie versuchte, mit meinen Haaren klarzukommen, die für eine weiße Frau sehr ungewohnt waren. Sie lernte, dass meine Haut nach dem Waschen sehr trocken war und deshalb regelmäßig eingecremt werden musste. Sie lernte meine alltäglichen Bedürfnisse kennen. Ich lernte, dass es jemanden gab, der sich um mich kümmerte, auf den ich mich verlassen konnte. Jemand, der da war, wenn ich aufwachte und da war, wenn ich einschlafen sollte. Jemand, der sich Zeit für mich nahm, mir zu essen gab und der vorsichtig mit mir umging, mich mit seinem Temperament nicht erschreckte.
Mama war gewissenhaft, sie wollte, dass es das kleine Mädchen gut bei ihr hatte. Und sie wollte, dass das kleine Mädchen lernte, ein Töpfchen zu benutzen. »Lass endlich diese Windeln weg«, soll Oma gemahnt haben. »Wie soll sie lernen, sauber zu werden, wenn sie immer diese Dinger umhat.«
Inzwischen war ein halbes Jahr vergangen, es war zur Routine geworden: Es war Freitagabend und von meinen Eltern keine Spur. Ob sie jemals wiederkämen? Waren sie womöglich zurückgeflogen in ihre Heimat, ohne ihre Tochter mitzunehmen? War das vielleicht ihr ursprünglicher Plan gewesen? Niemand wusste etwas. Man schrieb das Jahr 1969. Mama hatte keine Telefonnummer, um bei ihnen anzurufen und nachzufragen. Wenn sie sich meldeten, dann riefen sie von einer Telefonzelle an. Aber das kam wohl erst später vor.
Meine Eltern
Wieder ein Freitagabend, Mama hatte mir, wie jeden Abend, eine Geschichte vorgelesen und mich dann ins Bett gebracht. Plötzlich hörte sie ein großes Stimmengewirr auf der Straße, sie schaute aus dem Fenster. Da waren sie – meine Eltern. Sie waren nicht allein gekommen, sondern in Begleitung einiger Freunde. Sie redeten durcheinander, sie redeten laut, sie redeten energisch, sie schienen aufgeregt. Stritten sie sich? Was war los? War