Mist, die versteht mich ja!. Florence Brokowski-Shekete

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Название Mist, die versteht mich ja!
Автор произведения Florence Brokowski-Shekete
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944666785



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und einer Kochnische. Im Badezimmer stand eine Badewanne, die viel zu groß war für diesen Raum. Wir benutzten die Badewanne so gut wie nie, denn um Ablageplatz zu schaffen, hatten wir eine große Platte daraufgelegt. Die Toilette war ebenfalls in diesem Bad. Nein, eine Dusche gab es nicht. Jeden Morgen holten wir uns die Waschutensilien aus dem Badezimmer in das vordere Zimmer, stellten sie auf den großen Tisch und wuschen uns in einer Schüssel. Heute kaum noch vorstellbar, damals jedoch völlig normal, für uns zumindest.

      Mama liebte die Farbe Lila und so war fast alles in dieser Farbe gehalten, auch im Badezimmer. Von den Wänden bis zum Zahnputzbecher, alles war lila. Jeder Winkel dieser kleinen Wohnung war sinnvoll ausgenutzt. Alles, was zum Leben notwendig war, hatte darin Platz gefunden. Selbst für unzähligen Nippes und Kleinkram war noch Raum. Wo immer möglich, gab es Vorhänge dort, wo einmal Türen gewesen waren, um keinen unnötigen Platz zu vergeuden. Ein gesondertes Schlafzimmer gab es nicht. Der Raum mit der Kochnische war alles in einem: Wohn- und Schlafzimmer, Waschgelegenheit und Küche sowie ihre Nähstube.

      Mama legte großen Wert auf Ordnung und Sauberkeit. Jeden Samstag war Hausputz angesagt und natürlich musste ich helfen. »Richtig« zu helfen war mir auch immer wichtig gewesen, egal in welchem Alter. Natürlich wünschten wir uns manchmal eine größere Wohnung mit einem richtigen Bad und einer Dusche – ein Königreich für eine Dusche -, aber dafür hatte Mama nicht das Geld. Dennoch liebte ich mein Zuhause, es strahlte Wärme, Gemütlichkeit und Geborgenheit aus. Das Gefühl, dass es mir an irgendetwas mangelte, hatte ich nie.

      Die ersten Tage in Lagos verbrachten wir bei Verwandten in einem großen Haus. Es war kein Haus, wie ich es von zuhause her kannte. Das Haus hatte mehrere Stockwerke, auf denen jeweils ein langer Flug verlief, von dem die einzelnen Zimmer abgingen. Es war keine Villa, es ähnelte eher einer sehr schlichten Jugendherberge. In den Zimmern befanden sich Betten, in denen viele Menschen gleichzeitig schliefen. Manche, meistens die Kinder, schliefen auf Bastmatten auf dem Boden. Aber immerhin war es keine Wellblech- oder Lehmhütte, wie ich sie aus dem Fernsehen kannte.

      Das Bad, mein Gott, ich traute meinen Augen nicht, es war kein Bad. Schon damals wusste ich mit meinen noch nicht mal neun Jahren, dass das, was ich dort sah, noch nicht einmal eine Nasszelle war. Es war eine Ecke im Hof, in die sich derjenige, der sich waschen wollte, einen Eimer Wasser mitnahm. Waschlappen? Fehlanzeige! Wobei, ich hatte Waschlappen in meinem Gepäck. Die wollte ich verwenden. Alle anderen benutzten ein bastähnliches Knäuel mit Seife. Sicherlich ein gutes Peeling. Aber von diesem Bastknäuel hatte Mama mir gegenüber nie gesprochen, ich kannte so etwas nicht, also war es auch nicht richtig für mich. Ich sah, wie die Kinder abgeschrubbt wurden, die Erwachsenen befestigten zum Teil einen Vorhang vor diese Ecke, sodass man ihnen nicht zusehen konnte.

      Dann die Toiletten. Ein WC mit Spülvorrichtung? Wieder Fehlanzeige. Toilettenpapier? Wo bitte war das Toilettenpapier? Es gab keines. Es gab stattdessen einen Eimer mit Wasser. Was bitte sollte ich in der Toilette mit einem Eimer Wasser? Und warum war in dem Wasser eine Art Schöpfbecher? Ich lernte schnell, dass der Eimer mit dem Wasser und dem Schöpfbecher das Toilettenpapier ersetzte. Mein Gott, könnte ich das alles nur Mama erzählen. Wie vermisste ich unser kleines Bad. Aber ich passte mich auch hier schnell an, denn wenn eine Fähigkeit bei mir besonders ausgeprägt war, dann die, mich schnell anpassen zu können.

      Zuhause in Deutschland hatten wir einen Garten hinter dem Haus, ein kleines Paradies, das Mama wunderbar pflegte. Sie hatte Blumen in kleine Beete gepflanzt, kleine Platten ebneten den Weg, es gab einen klitzekleinen Teich, eher eine Vogeltränke, und Mama liebte Gartenzwerge, Massen an Gartenzwergen. Große, kleine, dicke, dünne, mit ernsten Gesichtern und mit lachenden, aus Hartgummi oder Porzellan. Ihnen leisteten Tiere Gesellschaft: Hasen, Enten, Vögel, auch aus Hartgummi oder Porzellan. Jedes Frühjahr wurden sie aus dem Keller geholt und, nachdem der Garten aus seinem Winterschlaf erwacht war, an ihre gewohnten Plätze gestellt. Im Herbst war es dann meine Aufgabe, die kleinen Figuren mit Bürsten zu säubern, abzutrocknen und sie auf ihren Winterschlaf im Keller vorzubereiten.

      Bei den ersten warmen Sonnenstrahlen wurden auch die Gartenmöbel herausgeholt: Tisch, Stühle und eine Hollywoodschaukel. Mama liebte diese Hollywoodschaukel. Abgegrenzt wurde das kleine Reich von den Nachbargärten mit einem Zaun, am Eingang gab es eine kleine Pforte. Über die Gartenzäune hinweg wurde geplaudert, gelacht, getratscht, gestritten – es war eben eine typische Nachbarschaft.

      Manchmal veranstalteten die Erwachsenen am Wochenende abends ein gemeinsames Hoffest, dann wurden alle Tische zusammengeschoben, Limonaden herausgeholt, Salzstangen und Erdnussflips hingestellt, die Grills angeworfen und Lampions aufgehängt. Wir Kinder, die schon lange im Bett lagen, wurden geweckt und durften dazukommen. Das war immer eine herrliche Überraschung. Ich liebte diese Abende. Überhaupt, der Garten, dieses Idyll auf wenigen Quadratmetern. So oft wie möglich haben wir ihn genossen, dort gegessen, gespielt, die Hausaufgaben gemacht, Mama hat genäht. Es war für uns ein Urlaubsersatz, denn für Urlaub hatte Mama kein Geld.

      So viel wie möglich wollte ich von meiner vertrauten Welt in die neue Welt mitnehmen. Das große Haus hatte einen Balkon. Es war warm, sehr warm, ich wollte den Balkon nutzen. Ein paar Tage nach unserer Ankunft machte ich es mir mit meinem fünf Jahre jüngeren Bruder auf diesem Balkon gemütlich. Wir wollten dort frühstücken. Ich hatte unsere Teller mit Weißbrotscheiben, die bestrichen waren mit einer gelben, salzigen Margarine und einer sehr süßen Orangenmarmelade, mit hinausgenommen. Dazu gab es süßen heißen Tee mit Milch. Eine alte Frau sah uns, kam zu uns und redete wild gestikulierend auf uns ein. Ich verstand kein Wort. Was wollte sie nur von mir? Meine Eltern waren nicht da, niemand sprach meine Sprache. Nur eines kapierte ich schnell, sich unter freiem Himmel zu waschen, war okay, unter freiem Himmel zu frühstücken offensichtlich nicht. Ich fing an zu weinen und wollte einfach nur nach Hause. Von meinem Vater erfuhr ich dann, dass es die Ameisen waren, die ein Frühstück auf dem Balkon unmöglich machten. Später erfuhr ich auch, dass die Verwandten dieses verweichlichte, ständig heulende Kind, das auf dem Balkon frühstücken wollte, befremdlich, um nicht zu sagen, komisch fanden.

      Die ersten Tage und Wochen an diesem neuen Ort waren anstrengend und traurig. Ich vermisste meine Mama sehr und stieß täglich auf neue Herausforderungen, neue Verwandte, neues Essen, neue Ansprüche, die an mich herangetragen wurden.

      Mama hatte mir Höflichkeit und Respekt beigebracht. Sie hatte mich gelehrt, die rechte Hand zu geben, wenn es galt, jemanden zu begrüßen, und vielleicht sogar einen kleinen Knicks zu machen, so, wie es sich damals für kleine Mädchen gehörte. Schnell musste ich hier lernen, dass diese Art der Höflichkeit nicht ausreichte und auch kein Zeichen von Respekt war. Hier galten andere Regeln. Ich musste eine neue Art von Knicks lernen. Mädchen und Frauen mussten hier umso tiefer knicksen, je höher die Respektsperson, und zwar so weit, dass sie unter Umständen sogar auf dem Boden knieten. Begrüßten Männer eine Respektsperson, hatten sie mit der rechten Hand den Boden zu berühren, je höher die Respektsperson, je intensiver war die Berührung mit dem Boden, soweit, dass sie sich flach auf ihn legten, egal, ob sauber oder schmutzig.

      Ich musste lernen, dass Respektspersonen, und das waren alle, die älter waren als man selbst, in der Stammessprache Yoruba mit der Höflichkeitsform »Sie« angesprochen wurden.

      Ich musste lernen, dass es kein Zeichen von Armut war, mit den Fingern zu essen, dass man sich diese vorher in einer Schüssel wusch, dass mehrere Personen von einem Teller aßen. Ich musste lernen, eine Kugel aus Ebà mit den Fingern so zu formen, dass ein wenig Soße darin aufgenommen werden konnte. Ebà wurde aus Gari, einem Maniokmehl hergestellt. Ich musste lernen, dieses Essen so zum Mund zu führen, dass nicht alles herunterfiel. Ich musste lernen, dass ich nicht zu warten brauchte, bis alle Familienmitglieder sich zum Essen an einem großen Tisch versammelt hatten und man gemeinsam aß, sondern oftmals die Erwachsenen getrennt von den Kindern oder alle verstreut irgendwo. Mir kam es chaotisch vor, weil ich es nicht kannte und anders gewohnt war.

      Ich musste lernen, dass die Kerzen, die überall herumlagen, nicht zu Dekorationszwecken gedacht waren. Bei Stromausfall – was oft und unerwartet geschah – waren sie die einzige Lichtquelle. Generatoren gab es in wohlhabenden Haushalten und wohl auch in öffentlichen Gebäuden, aber nicht da, wo wir wohnten. Dass elektrische Geräte durch die häufigen Stromunterbrechungen kaputtgingen, war leider eine Folge davon.

      Zwar