Название | Lebensreise |
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Автор произведения | Alois Brandstetter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701746477 |
Mich erinnert dies alles an den unvergeßlichen populären Kärntner Mundartdichter und Humoristen Wilhelm Rudnigger, der ein Kettenraucher war und im Auto, mit dem er seine Lesetouren, auch solche bis Hamburg, unternahm, oft oder immer vergaß, den Aschenbecher zu benützen, was an seiner braunen Trachtenjoppe aschgraue Spuren hinterließ … Ich wollte einmal zu ihm ins Auto steigen, er warnte mich aber und bat mich, davon Abstand zu nehmen. Seine Sitze waren nämlich nicht nur mit Asche imprägniert und besudelt, sondern auch von den Haaren seines Hundes Felix übersät, der ihn auf seinen Fahrten von Café zu Café immer begleitete … Mir hat Rudniggers bester Freund, der Goldschmied und Schmuckkünstler Sepp Schmölzer, einige Artefakte, Objekte und Fotos, aber auch viele »Rudniggeriana« vermacht. Ich habe sie, nachdem der Nachlaß Rudniggers, auch sein berühmter Spazierstock(!), ins Musil-Literaturmuseum gekommen ist, auch dorthin gebracht.
Etwas anderes bleibt mir von jener erwähnten Romfahrt ewig – oder »bis auf Weiteres« – im Gedächtnis: Im Dom von Bologna wollte Monsi auf der Hinfahrt eine Messe zelebrieren und bat mich, ihm zu ministrieren. Ich dachte, das wird wohl an einem Seitenaltar sein, und war wegen meiner Platzangst, der »Klaustrophobie«, bereits richtig in Panik, als ich sah, daß uns ein Sakristan zum hohen Hochaltar führte. Man hatte Monsignore Strobl also als Substituten und Einspringer für einen ausgefallenen ortsfesten Zelebranten »eingeteilt«, den sonntäglichen Hauptgottesdienst vor einer großen Gottesdienstgemeinde zu übernehmen. Ich war geradezu geschockt und habe mich bei den damals in der vorkonziliaren Zeit noch gebräuchlichen Psalmen des »Staffelgebetes« wohl einige Male vertan. Vor allem beim sogenannten »Confiteor«, das zwei Syntagmen hat, im ersten Teil vor dem »Mea culpa!« dominiert der Dativ: Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, den Aposteln Petrus und Paulus … und euch Brüdern und Schwestern … Im zweiten Teil, dem Schlußteil, aber herrscht der Akkusativ: Precor – »ich bitte« – beatam Mariam virginem … und euch Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott unserem Herrn. Ich habe mich aber im zweiten Teil wieder in den Dativ verirrt und so hat Monsignore Strobl meinem verbalen »Perpetuum mobile« ein Ende bereitet, indem er mir mit dem Schlußvers einfach ins Wort gefallen ist: Introibo ad altare Dei. Da wußte ich wieder, wie antworten: Ad Deum qui laetificat iuventutem meam – »Zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.«
An der Windschutzscheibe unseres Opel Rekord klebte natürlich jene SOS-Plakette – ein blaues Kreuz auf weißem Grund –, die bedeutete, daß der Fahrzeughalter und -lenker sich als Christ und Katholik versteht und bekennt und im Falle eines schweren Unfalls »versehen« werden und kirchlich von einem Priester betreut werden will. Christen haben damals, wie vielleicht heute die »Zeugen Jehovas«, die man ein wenig abfällig als »Bibelforscher« bezeichnete, die Religion wichtiger genommen als die Medizin. Und mehr als nach dem Arzt nach dem Priester gerufen. Wie auch das oben erwähnte »Versehen« wird auch das Sakrament der Krankensalbung kaum noch gespendet. Die im Volksmund als »Letzte Ölung« bezeichnete Krankensalbung, lateinisch Sacra unctio infirmorum, wurde freilich nicht nur ante, sondern auch post mortem, also vor oder nach dem Ableben gespendet, »verabreicht« … Ableben – welch merkwürdiges Wort …
Der alten Theologie und dem Volksglauben entsprechend und gemäß, wird wohl von älteren Geistlichen am 3. Februar, dem Namenstag des heiligen Blasius, der Blasiussegen gespendet, ein sogenanntes Sacramentale, also keines der sieben Sakramente. Blasius war ein frühchristlicher Märtyrer, der der Legende nach ein Kind, das zu ersticken drohte, von einer Fischgräte im Hals befreite, was ihn zu einem der vierzehn Nothelfer und hier insbesondere für HNO zuständig werden ließ. Und am Aschermittwoch wird das Aschenkreuz ausgeteilt: »Gedenke o Mensch, daß du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst.« Pulvris es, Pulver, Staub bist du … Das ist, naturwissenschaftlich gesehen, nicht richtig oder nur teilweise korrekt. Bei Georg Büchner, dem Dichter, Mediziner, Naturwissenschaftler und Revolutionär, könnte man nachlesen, woraus sich der Mensch wirklich zusammensetzt, in der Hauptsache wohl aus Wasser und Salzen. Und auch Gottfried Benn, den großen expressionistischen und pessimistischen Dichter und Arzt, könnte man zu dieser Frage konsultieren. Aber man sollte sich nicht deprimieren lassen! Schwimmt die Seele im Wasser? Der Geist Gottes schwebt jedenfalls über den Wassern …
Unsere Aloysius-Wallfahrt begannen wir, meine Frau Suchra und ich, in Desenzano am Gardasee, und da in Castiglione selbst kein passendes Hotel zu finden war, nahmen wir, wie gesagt, Quartier im benachbarten Solferino, in einem nach Henri Dunant, dem Gründer des Roten Kreuzes, benannten Hotel. Im Vestibül des Hauses, an der Rezeption, wo wir eincheckten, unsere Vouchers vorweisen und uns ausweisen mußten, neben einer Theke, die wie eine riesige, glänzend gelb schimmernde Plastikwurst oder ein aufgeblähter Dickdarm, sicher von einem ambitionierten Designer, gestaltet war, standen Gegenstände herum, ramponierte Tische und Sessel und durchgesessene Fauteuils, auch landwirtschaftliche Geräte, alles in einem malerisch beschädigten, desolaten Zustand. Der ästhetische und moralische Hintergedanke dieser zerrütteten Gegenstände war wohl, an den gräßlichen Krieg und das grauenhafte Gemetzel der Schlacht bei Solferino am 24. Juni 1859 zu erinnern, die mit der Niederlage Österreichs gegen das Königreich Sardinien und Frankreich unter Napoleon III. endete und den Namensgeber des Hotels zu seiner großen humanitären Anstrengung und Tat, der Gründung des Roten Kreuzes, bewogen hat.
Genau hundert Jahre vor dem Tod Jean-Henri Dunants im Jahr 1910 starb in der Lombardei und zwar in Mantua der Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer. Er starb aber bekanntlich keines natürlichen Todes, sondern er wurde hingerichtet, und ich wollte nach der eigentlichen Wallfahrt nach Castiglione auch der Spur Hofers folgen und jene Stelle aufsuchen, wo die grausame Prozedur der Exekution bei der Zitadelle an der »Porta nuova« im Norden Mantuas stattgefunden hat. Einige Zeit vor der Wallfahrt hat mir, seinem »Doktorvater«, ein ehemaliger Student und Dissertant aus Saarbrücken, der Luxemburger Pit Schlechter, der über das Luxemburger Volksstück, das triviale Theater, wie es von Laien, örtlichen Vereinen, gespielt und gepflegt wird, promoviert hatte, auf mein Buch »Lebenszeichen« hin, in dem unsere gemeinsame Zeit im Saarland in einigen Geschichten vorkommt, einen Brief geschrieben, aus dem ich zitieren darf: »Wiederholt war ich auch bei den Amischen in den USA, denen Sie in Ihrem Buch eine ›archaische‹ Landwirtschaft zuschreiben, was so nicht ganz zutrifft. Sie benutzen zwar immer noch Pferde statt Traktoren, entwickeln und benutzen aber hochmoderne Geräte und Maschinen für den Pferdezug. Ansonsten genieße ich das Landleben, übrigens nicht weit von dem Ort, aus dem einst der junge Mann kam, der als Offizier in französischen Diensten Ihrem Andreas Hofer in Mantua nach einem etwas stümperhaften Exekutionsversuch den Gnadenschuss geben musste.« Der zitierte junge Mann, der Andreas Hofer den Gnadenschuß geben mußte, hieß Michel Eiffes und stammte aus dem Ort Befort, wo er nach seinem Militärdienst noch dreißig Jahre lang als angesehener Gastwirt und Bürgermeister lebte.
Das Andreas-Hofer-Lied »Zu Mantua in Banden / der treue Hofer lag« wurde zur Tiroler Landeshymne. Und im viel beschworenen und besungenen »heiligen« Land Tirol, in der Innsbrucker Hofkirche, hat er – bzw. seine sterblichen »Überreste« – nach der Beisetzung in der Kirche San Michele in Mantua und nach der Odyssee seiner Leiche von Mantua mit Zwischenstationen unter anderem in Verona und Sterzing seine letzte Ruhestätte gefunden. Er ist hier der prominenteste Tote,