von vorübergehenden, selbstgerechten Priestern (
sacerdos) und Leviten (
levita) in seinem Elend liegengelassen wird, während ein Mann aus dem von den Orthodoxen geringgeachteten, ja verachteten Samarien sich rührend des Verunglückten annimmt.
Quis est meus proximus? fragt der Gesetzeslehrer im lateinischen Text den Herrn. »Wer ist mein Nächster?« Daß die Geschichte so ungeheuer viel »Valenz« hat, also einlädt zum Nacherzählen und Ausdeuten nach dem sogenannten vierfachen Schriftsinn, beweist auch ihre Verwendung im Sprichwortgut. Große Maler von Rembrandt bis van Gogh haben sie »bebildert«, viele Komponisten bis hin zu Benjamin Britten haben sie »vertont«. Die vielen Darstellungen, die dich, lieber Aloysius mit dem Pestkranken, den du trägst und ins Hospiz bringst, zeigen, sind ja auch gewissermaßen ikonographisch von den Bildern des barmherzigen Samariters »präfiguriert«. Am gegenwärtigen Papst, dem Jesuiten Jorge Mario Bergoglio, der sich als Papst nach seiner Wahl zum Pontifex und 266. Bischof von Rom den programmatischen Namen Franziskus wählte, hättest oder hast du sicher deine Freude, weil er zum Leitmotiv seines Pontifikats »Misericordia«, also die Barmherzigkeit, wählte und das Jahr 2019 zum »Jahr der Barmherzigkeit« ausgerufen hat. Er ist der erste Südamerikaner auf dem Stuhl Petri und meines Wissens auch der erste Papst mit Namen Franziskus. Er hat seinen Namen wohl bewußt gewählt. Man hätte vielleicht denken können, daß ein Papst aus deinem Orden, dem Orden der Jesuiten, der Bischof von Rom wird, sich nach Ignatius von Loyola benennt, in dessen Kirche San Ignazio du deine letzte Ruhestätte gefunden hast, wo sich in einem goldenen Sarg dein Leichnam befindet, ohne den Schädel, vor dem ich stand, und anderen Teile des Skelettes, die als Reliquien bis Indien gekommen sind. In dieser Namenswahl liegt eine Sympathie und Hinwendung zu Franz von Assisi, ein wenig aber möglicherweise auch eine »Abneigung« gegen den eigenen Orden, der ja vielleicht nicht ganz unbegründet in vielen Ländern verboten war, zum Beispiel auch in der Schweiz, woher die Gardisten des Papstes kommen, die Nachfolger der »Sbirren« gewissermaßen, mit denen Goethe in Assisi unliebsame Bekanntschaft gemacht hat. Er hätte sich gut und gern auch deinen Namen nehmen und geben können, »Aloysius I.«, Aloysius der erste? Am jetzigen Papst hättest oder hast du sicher auch deswegen und ohnedies deine Freude, weil er wie du perfekt Spanisch und Italienisch, ja alle romanischen Sprachen spricht – und natürlich Latein und die neue »Lingua franca« Englisch. So ist Assisi wie schon unter seinem Vorvorgänger, dem Polen Johannes Paul II., noch einmal in den Fokus der Pastoral gekommen. Johannes Paul II. hat in Assisi eine Weltkonferenz von Führungspersonen aller Weltreligionen abgehalten, was ihm nicht nur viel Bewunderung von tolerant und liberal gesinnten Menschen aller Konfessionen beschert hat, sondern auch viel herbe Kritik von fundamentalistisch geprägten Gläubigen, etwa aus der »Bruderschaft Pius X.«, den Anhängern des verstorbenen konservativen Erzbischofs Joseph Lefebvres, des Gegners des »Aggiornamentos«, der Annäherung der Kirche an die moderne Welt im Zweiten Vatikanischen Konzil. Neuerdings hat sogar der versöhnliche Papst Franziskus aus dieser Richtung Kritik geerntet, weil er an Neuerungen denkt, die Konservative vehement ablehnen.