Название | Lebensreise |
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Автор произведения | Alois Brandstetter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701746477 |
Darauf bekam ich von Walter Wimmer eine Antwort, aus der ich ebenfalls zitieren darf: »Da die Germaniker Ingeborg Bachmann kennenlernten, habe ich als Österreicher und Präfekt sie auch im Namen der Hausleitung zu einem Leseabend ins Germanikum eingeladen. Obwohl sie offenbar schon lange keinen öffentlichen Auftritt hatte und auch nicht wollte, ist sie der Einladung gefolgt und war am 10. Juni 1971 abends im Kolleg. Sie hat in der Sala de Gregorio aus ihrem kurz vorher erschienenen Buch ›Malina‹ gelesen. Ich habe ein Exemplar, das sie signiert hat und in das sie auch das Datum eingeschrieben hat. Meine Erinnerungen: Ich durfte sie begrüßen und willkommen heißen. In den ersten 20 Minuten hatte sie eine sehr leise Stimme und man hatte den Eindruck, daß ihr die Stimme versage. Dann aber wurde ihre Stimme immer kräftiger. Nach ihrer Lesung saßen wir, zwei Präfekten, der Rektor, der Spiritual und noch zwei Personen im Patreszimmer im ersten Stock beisammen und plauderten angeregt über dieses und jenes. Frau Bachmann erzählte z. B. von ihrer Doktorarbeit ›gegen‹ Martin Heidegger. Es war Mitternacht, als wir uns verabschiedet haben. Am Österreichischen Kulturinstitut, zu dem wir Österreicher guten Kontakt hatten (Direktor war Dr. Schmidinger, der Vater des jetzigen Rektors der Universität Salzburg), hörte man offenbar von Bachmanns Lesung bei uns, so daß man sie auch an das Institut eingeladen hat. Ich habe gehört, daß sie unter der Bedingung zugesagt hat, daß auch die Germaniker eingeladen werden. Wir waren auch einige dort. Ich weiß, daß nach ihrem traurigen Unfall, an dessen Folgen sie gestorben ist, noch zwei oder drei Germaniker für sie Blut gespendet haben …«
Bachmanns erster Ansprechpartner im katholischen Rom war als Kärntner Landsmann Helmut Gfrerer, ein Kollege Walter Wimmers, später Seelsorgeamtsleiter in Klagenfurt, nun Pfarrer in Weißenstein im Drautal. Er hat mir berichtet, daß der Fundamentaltheologe der Universität Münster in Westfalen, Harald Wagner, die jungen Theologen ermuntert hat, so wie er selbst es hielt, mit den bedeutenden deutschen Dichtern in Italien – Stefan Andres oder Luise Rinser oder eben Ingeborg Bachmann – in Kontakt zu treten, um daraus auch geistigen Nutzen für ihren priesterlichen, geistlichen Beruf als Seelsorger zu ziehen. Nach Helmut Gfrerer hat sich ein anderer aus Kärnten stammender Alumne solcher Kontakte mit Bachmann befleißigt. Er trug den in Kärnten bedeutend klingenden Familiennamen Perkonig. Er ist leider, wie die von ihm bewunderte und verehrte Dichterin, tragisch geendet.
Ich bin in Kärnten zwei katholischen Geistlichen begegnet, die zur Literatur und zu Literaten ein besonderes Verhältnis hatten. Der eine war Hans Duller, Religionsprofessor und langjähriger Präses der Kolpingfamilie. Er stammte wie die Dichterin Christine Lavant, mit der er lebenslang freundschaftlich verbunden war, aus dem Lavanttal, darum war er auch prädestiniert, als Priester und Freund die Grabrede zu halten, die im Buch »Steige, steige verwunschene Kraft. Erinnerungen an Christine Lavant« abgedruckt ist: Sie heißt »Am offenen Grabe« und beginnt mit einem Lavant-Gedicht: »Hab dich lange nicht gefunden, / Hilfe meiner Abendstunden; / hab nicht mehr gedacht, / daß ich soll getröstet werden / hier auf Erden. Kann die schwerste Nacht nun kommen, / so in deine Hand genommen, / bleib ich dennoch heil. / Wie am sichern Seil / klimm ich ins Gebirg der Gnaden, / trostbeladen.«
Ein anderer Beiträger der Erinnerungsschrift war der Pfarrer von Althofen im Gurktal, Johannes Pettauer, ein Priester nach altem Schlag, wohl auch ein Anhänger des konzilkritischen Bischofs Marcel Lefèbvre, der ebenfalls nach altem Ritus die lateinische Messe mit dem Rücken zum Volk gelesen hat. Pettauer, von Kirche und Staat hochverdient hochdekoriert, Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst, Gründer und Leiter des sogenannten »Zammelsberger Kulturkreises«, der sich selbst einen »Rilkomanen« nannte, weil er in vielen Veranstaltungen Rainer Maria Rilke auswendig und mit schöner baritonaler Stimme rezitierte, wie auch die Kärntner Lyriker Guido Zernatto und Johannes Lindner. Pettauer, der also nach dem Krieg als Kaplan in Wolfsberg in Kärnten mit Christine Lavant »viel zu tun« hatte, sah sie weniger positiv als Hans Duller in seiner Grabrede. De mortuis nil nisi bene? »Unser beider Beziehung litt aber, ehrlich gestanden, unter der Belastung völlig gegensätzlicher religiöser Anschauungen. Meine damals (wie heute) ungebrochene, fast naive kindliche Weltanschauung konnte ihre anklagenden, oft wie Vulkane ausbrechenden Jobsiaden keineswegs befriedigen. Ich mußte ihr doch, was ja die Wahrheit ist, sagen, daß sie eine aggressive, Gott-lose Person sei, welche sich seines Namens nur als Vorwand bediene.« Auch verglich er sie zu ihrem Nachteil mit seinem Favoriten Rilke. Pettauer dürfte ihr auch ihre Beschwerderede beim Gurker Bischof über die lärmende Katholische Jugend vor dem Fenster ihres über 30 Jahre älteren kranken Mannes, des naiven Malers Habernig, für die Pettauer ja wohl als Jugendkaplan verantwortlich war, übel genommen und nicht vergessen haben.
Dem aus Wuppertal-Elberfeld stammenden Maler Werner Berg, den Christine Lavant unglücklich liebte, verdanken wir ausdrucksstarke expressionistische Porträts der Dichterin, auch eine Briefmarke, nicht weniger eindrucksvolle Kohlezeichnungen dem Maler und Kunsterzieher Egon von Wucherer, der zu »Steige, steige, verwunschene Kraft« auch einen berührenden Erinnerungsaufsatz beigesteuert hat.
Ein besonderes Kapitel ist in diesem Zusammenhang Christine Lavants Verhältnis zu ihrem Arzt, dem Neurologen, Publizisten und Politiker des nationalen Flügels der Freiheitlichen Partei – und 1986 sogar deren Präsidentschaftskandidat – Otto Scrinzi. Ihren Krankheitszustand beschreibt er wie folgt: »Chronisches Augenleiden, das sie halb blind macht, Mittelohreiterungen rauben ihr Teile des Gehörs, Lungentuberkulose, Schilddrüsenüberfunktion, Asthma und ein hartnäckiges Magen-Darmleiden.« Christine Lavant hatte Bewunderer, Freundinnen und Freunde unterschiedlichster sozialer und politischer Herkunft, wie ihre vielen Briefe an Otto Scrinzi und an ihre Freundin, die Wolfsbergerin Ingeborg Ilse Teuffenbach in Innsbruck (verehelichte Capra und Mutter des 1939 geborenen Fritjof Capra), aber auch an Gerhard und Maja Lampersberg vom Maria Saaler Tonhof belegen, wo sich auch Thomas Bernhard mit ihr anfreundete, der auch eine postume Ausgabe ihrer Gedichte besorgte. Bernhard hat auch gemeint, er müsse sie vor dem Odium, für eine katholische Dichterin gehalten zu werden, schützen …
Thomas Bernhard selbst hat sich von seinen eigenen lyrischen Anfängen, etwa dem Gedichtband »In hora mortis«, und seiner Nähe zu Personen aus dem Umkreis des Otto Müller Verlags wie Otto Müller selbst, aber auch Ludwig von Ficker oder Ignaz Zangerle, bis hin zum letzten großen Roman »Die Auslöschung« und zum von Ignaz Hennetmair mitgeteilten Kirchenaustritt zunehmend kritisch über den österreichischen Katholizismus geäußert. Man erinnert sich auch an seine, im Zusammenhang mit dem Skandal um die Verleihung des Kleinen (!) Staatspreises geäußerte, heftige Verachtung für Rudolf Henz und Minister Piffl-Perčević, »den dummen Mann aus der Steiermark«. In einem Almanach des Residenz Verlages zum Thema »Feinde« hat er an erster Stelle den österreichischen Staat und gleich danach die Kirche genannt … Was hatte sie ihm angetan? Sicher dürfte sein, daß er auch von Christen respektiert und ernstgenommen wurde, nicht nur von sogenannten »Linkskatholiken«, die freilich oft mehr links als katholisch sind.
Ein außerordentlich verständnisvoller Intellektueller war im Sinne der Verständigung und Versöhnung von Sozialismus und Kirche Norbert Leser. Er war der Sohn der Schriftstellerin Jolanthe Leser, einer Frau, die in ihrem Werk, etwa »Die Pappelallee«, ein besonderes Verständnis für bedrängte, arme, aus der »Provinz«, im besonderen dem Burgenland, stammende Menschen in Wien, zeigt. Norbert Leser hat mir das erwähnte Buch seiner Mutter mit einer persönlichen Widmung nach meinem Vortrag in seinem Kreis im Juni 1983 geschenkt. Natürlich besitze ich auch sein eigenes Buch »Salz der Gesellschaft«. Vielleicht sollte man den österreichischen Sozialdemokraten etwas vom kritischen Geist Lesers wünschen und zur Lektüre seiner Schriften raten, damit sich nicht an ihnen das Wort der Schrift erfüllt: »Wenn das Salz schal geworden ist, wirft man es weg …«
Als ich nun am 5. Dezember 2018 80 Jahre alt geworden war und mit Ehrungen geradezu »überhäuft« wurde, unter anderem dem Franz Theodor-Csokor-Preis des Österreichischen PEN-Clubs, war neben öffentlichen Ehrungen auch ein besonderes privates Geschenk meiner Frau dabei, ein Reiseversprechen für einen Ausflug oder eine Wallfahrt nach Castiglione delle Stiviere und Mantua, jene Ortschaften, die in einem meiner Romane, »Aluigis Abbild«, Schauplatz und Thema sind. Wohl war ich bereits bei meinen Recherchen zu diesem, meinem letzten Roman über meinen Namenspatron Aloysius von Gonzaga und über den neun Jahre nach Aloysius, also 1577, in Siegen geborenen Hofmaler der Gonzagas Peter