Название | Lebensreise |
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Автор произведения | Alois Brandstetter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701746477 |
In einem solchen Lazarett ist auch mein 1896 geborener, 1976 verstorbener Vater Martin Brandstetter gelegen, und zwar in Cavalese nach einer Verwundung in den Dolomiten im Ersten Weltkrieg. Er wurde trotzdem auch im Zweiten Weltkrieg wieder »eingezogen« und im sogenannten »Volkssturm« zwangsverpflichtet, obwohl er doch als älterer Vater von sieben Kindern eigentlich als »unabkömmlich« hätte gelten müssen. Dort hat er sich schließlich bei Schlägerungsarbeiten am »Westwall« ein schweres Bruchleiden zugezogen, was »Abrüsten« und das vorläufige Ende vieler Sorgen und Ängste bedeutete – zum Glück für ihn und uns, für seine Frau und uns Kinder. Über ihn habe ich in der letzten Nummer der Rieder Kulturzeitschrift »Bundschuh« geschrieben. Er stammte aus einer Bauernfamilie in Tumeltsham mit neun Kindern, von denen alle sieben Söhne im Ersten Weltkrieg Militärdienst leisten mußten, was einen Rekord in der Monarchie darstellte und wofür Kaiser Franz Joseph meine Großmutter mit einer kleinen Statuette, ihn in Uniform darstellend, »belohnte«.
Lange vor Henri Dunant ist bei seinem Sanitätsdienst an den Pestkranken der Gonzaga-Prinz Aloysius, zu dessen Schädel, dem »Haupt« des Heiligen, ich am 21. Juni 2019 nach der Festmesse hinter dem Hauptaltar der Jesuitenkirche über eine schmale Treppe hinaufgestiegen bin, »umgekommen«. Pestepidemien ereigneten sich im 14., 15. und 16. Jahrhundert viele, es waren Epidemien, denen reiche, adelige Familien oft in ferne Provinzen zu Verwandten ausgewichen sind, einmal auch Ferrante und Marta Tana Gonzaga mit ihren Kindern. Vielleicht hat sich Aloysius aber an seinem Verwandten Carlo Borromaio, dem Bischof von Mailand, ein Beispiel genommen, der nicht ausgewichen ist und in seiner Diözese in der Lombardei und im angrenzenden Gebiet der Schweiz für Kranke heroisch Messen zelebriert hat. Der Heilige Karl Borromäus, dem die Karlskirche in Wien geweiht ist, hat bei einer Visite oder Visitation in Castiglione dem zehnjährigen Prinzen Aloysius von Gonzaga Religionsunterricht gegeben und die Erstkommunion gereicht.
In der Wiener Karlskirche haben auch die oder zumindest einige der zahlreichen Kinder des Malers Ernst Fuchs die Erstkommunion empfangen, wozu es ein hinreißend von ihm und seiner Frau Eva Christina und ihren Kindern Emanuel, Angelika, Tilman und Marie gestaltetes »Kinderbuch« gibt: das »Album der Familie Fuchs«. Vorneweg sind vier Porträts der Kinder, wie nur er, Fuchs, sie malen konnte. Für mich ist Fuchs einer der ganz großen Maler von Kinderbildnissen und erinnert an den allergrößten, nämlich Peter Paul Rubens. In meinem Roman »Aluigis Abbild« habe ich einen Brief fingiert, den die Mutter Marta Tana an Rubens schreibt, um ein »ritratto« ihres (verstorbenen und seliggesprochenen) Sohns Aloysius von des Meisters Hand zu erbitten. Ein solches Bild des Hofmalers der Gonzagas in Mantua gibt es leider nicht, obwohl es hunderte, auch von bedeutenden Malern der Renaissance, des Manierismus und des Barocks gibt, etwa von Paolo Veronese und Jacopo Tintoretto. Doch kein Bild von Rubens und auch nicht von Tiziano Vecellio, der für den Hof in Mantua viel gemalt hat. Zeitlich wäre sich dies freilich für Rubens ausgegangen, Tizian hingegen ist hochbetagt acht Jahre vor der Geburt des Aloysius gestorben.
Den Text zum Bild der Erstkommunion der Tochter Angelika aus dem Fuchs-Album darf ich zitieren: »Aus dem Tor der Karlskirche kommen viele kleine Mädchen in weißen Kleidern, auch Angelika ist dabei. Ich sehe sie gleich, die langen dunklen Haare flattern im Wind und ihr Blick sucht uns in den Reihen der wartenden Eltern. In diesem Augenblick wünsche ich mir, daß unsere Familie durch das Opfer Jesu immer in Liebe zusammenhält.« Zum Schluß also ein Wunsch, der sich vielleicht nicht ganz erfüllt hat, ein frommer Wunsch?
Am Mittagstisch des Pfarrers Markus Mairitsch im Pfarrhof neben der Stadtpfarrkirche haben wir, Ernst Fuchs, Herbert Wochinz, Elisabeth Reichmann-Endres, Matthias Kralj und Andreas Mölzer, meistens an Freitagen uns eingefunden, als Fuchs oft kühne Ansichten und Geschichten aus seinem bewegten Leben erzählte, der Bühnenbildner Matthias Kralj über seine Arbeiten am Burgtheater, der Abgeordnete im Europäischen Parlament in Straßburg Andreas Mölzer über politische Interna, die pensionierte Landeskonservatorin Elisabeth Reichmann-Endres über Denkmalschutz und Restaurierungen. Alle unterhielten die bunte Runde, ich war aber der Schweigsame in dieser Mahlgemeinschaft. Es wurde Wein kredenzt, mir hat man, das heißt Mairitsch oder die Köchin, Frau Rieger, immer eine Flasche Weizenbier gebracht. Einmal habe ich meinen Sohn Andreas mitgenommen. Gerade an diesem Tag aber hat Fuchs sehr deftige und drastische, ein wenig unappetitliche Geschichten über den Tod Michelangelos und über Heilige wie Gandolf erzählt, die auf dem Abtritt »abgetreten«, also gestorben sind, so daß Andreas befremdet hinterher gesagt hat, er wisse nicht, was er von dieser unserer Versammlung im Pfarrhof halten soll. Ich solle ihn aber bitte mit solchen Einladungen in Zukunft verschonen! Fuchs und Wochinz erzählten meistens von ihrer gemeinsamen Pariser Zeit, wo Fuchs seine Bilder sogar aus Not auf der Straße Passanten angeboten hat, und Wochinz berichtete von seinen Begegnungen mit bedeutenden Theaterleuten wie Eugene Ionesco, Jean Genet und Julien Green, deren Stücke er später in seinem »Theater am Fleischmarkt« in Wien gespielt hat, oder mit dem Pantomimen Marcel Marceau. Fuchs war damals mit seinem wohl bedeutendsten Werk, der Ausgestaltung der ehemaligen Sakristei der Kirche Sankt Egid, des heute als »Fuchs-Kapelle« bezeichneten Raumes, mit Fresken zum Alten und Neuen Testament beschäftigt. Dort hat er auch den Auftraggeber Markus Mairitsch in der Gestalt des letzten alttestamentlichen Propheten Hosea verewigt.
Diese »Fuchs-Kapelle« ist heute eine vielbesuchte Fremdenverkehrsattraktion und die Ablehnung der Kunst des Hauptvertreters des Wiener Phantastischen Realismus ist wohl auch abgeklungen … Von der Fuchs-Kapelle als einer »Geisterbahn« war die abfällige Rede gewesen. Aufregung gab es freilich zuletzt wegen des riesigen Tafelbildes des »Letzten Abendmahls« im Presbyterium von Sankt Egid, das wohl nach einem Gemälde, das Fuchs für die Kapelle des Österreichischen Hospizes in Jerusalem gemalt hat, weniger von ihm als von Helfern »nachgemalt« scheint. Überkritische haben sogar geäußert, sie würden das Gotteshaus wegen dieses von ihnen als »gotteslästerlich« empfundenen Bildes in Zukunft nicht mehr betreten. Fuchs hat auf diesem Bild bekannte Kärntner Persönlichkeiten dargestellt wie den Bischof Alois Schwarz oder den Theologen Matthäus Woschitz. Ursprünglich hatte er auch eine junge Frau ins Bild gesetzt, die als Frau Sabel, die Mutter zweier Kinder von Fuchs, erkennbar war. Auf Ersuchen des Pfarrers hin hat er sie aber übermalt und ihr die Physiognomie seiner Mutter gegeben. An die Tür der Kapelle hat er das sogenannte »Heilige Haupt von Klagenfurt« gemalt, eine Kopie nach einer Kopie eines Guido-Reni-Bildes, vor dem, einem Gelübde aus vergangenen Zeiten folgend, bis heute in einer Woche in der Fastenzeit, vor der Karwoche, sogenannte Heilig-Hauptandachten gehalten werden.
Ich hatte mir vom »Besuch« der Kopfreliquie meines Namenspatrons vielleicht zuviel erwartet. Eine »Erscheinung«? Eine Vision? Eine »Erweckung«, wie sie Paul Claudel in der Kirche Notre-Dame in Paris erlebte, oder ein ähnlich intensives Erlebnis, wie es etwa Roman Brandstaetter hatte, der polnische getaufte Jude, den ich einmal als Verantwortlicher der Katholischen Hochschulgemeinde anläßlich seines Wien-Besuches zur Aufführung seines