Название | Lebensreise |
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Автор произведения | Alois Brandstetter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701746477 |
Diesmal freilich hat meine Frau im Internet alles genau untersucht und ausgesucht, was Quartiere in Schauplatznähe und Öffnungszeiten der Kultusstätten betrifft, so daß wir alles Großartige an Bildern von Andrea Mantegna, Peter Paul Rubens und Giulio Pippi Romano im Palazzo Ducale und im Palazzo del Te bewundern können würden. Die in Wien mit ihrer Familie lebende Italienerin Gabriella Telera, die in Turin studiert und sich als Germanistin mit meinen Romanen, vor allem mit »Die Abtei«, befaßt und sie teilweise ins Italienische übersetzt hatte, hat uns über das kirchliche Programm am 21. Juni, dem Todes- und Namenstag des Aloysius di Gonzaga, in Castiglione delle Stiviere informiert und uns den Termin der Festmesse um 10.30 mitgeteilt. Dort zog es mich hin. Im Zentrum von Castiglione an der Piazza San Luigi Gonzaga, am quadratischen Platz vor der Kirche mit seiner mächtigen Platane, gibt es leider kein Hotel, so daß wir am Rande der Stadt gegen Solferino hin in einem Hotel, das nach dem Gründer des Roten Kreuzes Henri Dunant benannt ist, übernachten mußten. Auf dem Platz vor der Kirche in Castiglione herrschte auf einem Wochenmarkt reges Treiben. Vor der Festmesse im Santuario di San Luigi Gonzaga besichtigte ich im Dom, der Chiesa dei Santi Nazario e Celso Martiri, noch das Grab, das heißt die Grabplatte über der Gruft vor dem Presbyterium, wo die Mutter des Aloysius und von sieben weiteren Kindern, Marta Tana di Santena di Chieri, 1804 – umgebettet vom Friedhof des Klosters Santa Maria vor den Toren Castigliones – ihre letzte Ruhestätte gefunden hat.
Da wir von Solferino aus und dem Hotel Henri Dunant mit unseren Koffern und Taschen unterwegs nach Mantua waren, wo wir im Hotel Gonzaga gebucht hatten, wußten wir nun in Castiglione, wo wir die für 10.30 angesetzte Festmesse besuchen wollten, nicht, wohin mit dem vielen Gepäck. Mutig und findig, wie meine Frau ist, erklärte sie dem Sakristan, einem Afrikaner in schwarzem Talar, einem »Kirchenschweizer«, unser Problem, der sich darauf mit dem Kirchenrektor besprach, der uns erlaubte, unsere Koffer und Taschen in einem der vielen Beichtstühle und zwar im mittleren Teil eines Beichtstuhls, auf dem Sitz des Beichtvaters, hinter einem Vorhang, abzustellen und abzulegen. Es war ja auch keiner der vielen wunderbar geschnitzten Beichtstühle von Priestern besetzt und von Sündern besucht … Ursprünglich hatte ich geplant, in dieser Kirche nach meinem 80. Geburtstag eine sogenannte Lebensoder Generalbeichte abzulegen und sozusagen einen Schlußstrich unter alle bedenklichen Handlungen, »Worte und Werke« (verba et opera), meines Lebenswandels zu ziehen und um Nachsicht (remissio) und Nachlaß (absolutio) zu ersuchen … Schon bei meinem ersten Recherchebesuch vor fünf Jahren hatte ich mich nach einem Geistlichen umgesehen, der Deutsch verstünde, aber keinen gefunden. Ein jesuitisch ernst und streng wirkender Priester schritt, Rosenkranz betend, im Mittelgang der Kirche auf und ab. Den wollte ich in seiner Andacht nicht stören, hatte aber ohnehin keine Hoffnung, daß ich mich verständlich machen könnte.
Während eines Gastsemesters an der Universität in Genua im Jahr 1980 stand mir auch einmal der Sinn nach Aussprache und Beichte. Dort behalf ich mir mit meinen Lateinkenntnissen … Confiteor Deo omnipotenti … apostolis Petro et Paulo … beatae Mariae virgini … quia peccavi nimis cogitatione verbo et opere … Es kann freilich sein, wenn man in einer Fremdsprache beichtet, daß man »läßliche« Sünden« nennt, die man eigentlich nicht begangen hat, nur weil man die Vokabeln kennt, während einem die Begriffe für die wirklichen Verfehlungen, vor allem für die sogenannten »Todsünden«, nicht einfallen wollen und fehlen … An die sogenannten »schweren« oder »Todsünden«, die nach der strengen alten Meinung in die Hölle als ewige Verdammnis führen, mag man ja gar nicht denken!
Im Religionsunterricht an der Volksschule in Pichl bei Wels habe ich von Pfarrer Alois Einberger, dem ich seinen, meinen Vornamen verdanke und der mir oft am 21. Juni, unserem Namenstag, ein sogenanntes Heiligenbildchen mit einem Aloysius-Gebet auf der Rückseite schenkte, aber aus heutiger religionspädagogischer Sicht bedenkliche, manche meinen verheerende Ansichten vermittelt bekommen. Ich erinnere mich an eine sogenannte »Höllenpredigt«, die dem Spezialisten aus dem 17. Jahrhundert auf diesem Gebiet, dem damals schier unvorstellbare 82 Jahre alt gewordenen Martin von Cochem, Kapuziner, Volksmissionar und Schriftsteller, »Ehre« gemacht hätte, in der Einberger davon sprach, daß in der Hölle eine Uhr »Immer – Nimmer« ticke, um die Ewigkeit und Ausweglosigkeit der Strafe anzuzeigen und bewußtzumachen. So etwas erzeuge, wie eine liebe befreundete evangelische Theologin und Germanistin in Saarbrücken, Ulrike Gräff, in einer »Personenbeschreibung« in »Das große Brandy-Buch« (Brandy war mein Spitzname) über mich schrieb, »ekklesiogene Neurosen« … Sie führte meine damaligen psychischen Probleme, Phobien, Panikattacken und Depressionen, auf anerzogene Schuldgefühle durch Eltern und Religionslehrer zurück, so daß mir auch unschuldige Vergnügungen und harmlose Freuden verwehrt seien, weil ich sie mir nun, nach den »beherzigten« internalisierten Ermahnungen der schwarzen Pädagogik, selbst verbieten würde …. Sie hatte in vielem recht, wenn auch ihre schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich meiner Zukunft dann Gott sei Dank doch nicht ganz so eintrafen. Pfarrer Einberger jedenfalls beschwor und zitierte auch gern in seinen Predigten die »Nacht, da niemand mehr wirken kann«, obwohl der Evangelist Johannes (9/4) es nicht so infernalisch gemeint hat: »Ich muß das Evangelium am Tag verkünden, es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken kann …« Das Evangelium ist doch eine frohe und keine rohe Botschaft, keine Drohbotschaft …
Heute hat sich der Teufel als Thema der Theologie verabschiedet, der Satan hat abgedankt. Eben macht ein Buch des Autors Gerhard Roth mit dem abgewandelten, auf William Shakespeare zurückgehenden Titel Furore: »Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier.« Die Teufel sind alle unter uns? In Shakespeares »Sturm« heißt es: »Hell is empty and all the devils are here.« Und wenn man bald täglich von abscheulichen Attentaten, Terroranschlägen und grauenhaften Massakern mit zahlreichen Toten, darunter immer auch Frauen und Kindern, von nichts als Krisen und Kriegen hört, möchte man dies bald als Erklärung gelten lassen.
James Joyce, der überragende irische Autor des »Ulysses«, der Revolutionär und Pionier des modernen Romans, hat in seinem Frühwerk »Porträt des Künstlers als junger Mann« seine Jugend als Internatsschüler in zwei der bekanntesten Jesuiten-Schulen Irlands, dem Kollegium Clongowes Wood und dem College Belvedere, beschrieben und »aufgearbeitet«. Im dritten Kapitel dieses »semiautobiographischen« Romans über Stephen Dedalus (als der Joyce dann auch im »Ulysses« erscheint) schildert er Exerzitien, also »geistliche Übungen«, die ein Pater Arnall leitet. Dort ist über viele Seiten eine der eindrucksvollsten Höllenpredigten »protokolliert«, die dem jungen Stephen besonders nahe und zu Herzen geht und ihn beunruhigt, da er eine venerische »Todsünde« begangen hat, die in die ewige Verdammnis führt. Und gerade hier ist auch von jener Uhr im Inferno die Rede, die »Immer-Nimmer« tickt, von der wortgleich auch Alois Einberger im Religionsunterricht an der Volksschule Pichl bei Wels gesprochen hat. Es gibt in diesem Roman des James Augustine Aloysius Joyce noch viele andere Stellen, die mir buchstäblich unheimlich vertraut sind und von denen noch zu reden sein wird, wie etwa die über seine Mutterbindung … Schon architektonisch gleicht das Linzer Kollegium Petrinum am Fuße des Pöstlingberges Clongowes Wood nahe Dublin in Irland. Das »Aloisianum«, die Jesuiten-Anstalt der Diözese Linz am Freinberg, hingegen kann sich, architektonisch gesehen, mit Clongowes Wood nicht messen …
Als ich in Castiglione bei meiner ersten Recherche keinen Beichtvater fand, der Deutsch gesprochen hätte, und da meine Lateinkenntnisse in der Zwischenzeit weitgehend reduziert, wenn nicht gar geschwunden waren, sagte ich mir, der Wille gilt für das Werk … Und: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich erinnerte mich aber natürlich an die Büßerlegende »Gregorius« des Hartmann von Aue aus dem späten 12. Jahrhundert, die ich in so vielen Sprachgeschichte-Proseminaren an den Universitäten in Saarbrücken, Klagenfurt und Salzburg als Lektüretext den Übungen zugrundegelegt hatte: Dort, im berühmten Prolog, macht sich Hartmann Sorgen und Vorwürfe, weil er viel gedichtet habe, was ihm den Beifall der Welt bringen sollte. »Dazu verführten ihn die jungen Jahre.« Jetzt aber weiß er, daß derjenige, der jung ist und im Hinblick auf seine Jugend »drauflossündigt«, weil er sich denkt, du bist noch ein junger Mann und deine Sünden wirst du schon im Alter noch Zeit haben zu büßen, gründlich falsch denkt, weil