Название | Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts |
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Автор произведения | Tilman Mayer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711446935 |
In einer gewissen Analogie mag man auf der innerstaatlichen Ebene die Kommunikation Bismarcks in dieser Phase mit den Süddeutschen, namentlich dem bayerischen König Ludwig II., sehen. Auch hier ging es um Kommunikation, um Vertrauensgewinn, um den Abbau innerdeutscher Barrieren. Bismarck urlaubte beziehungsweise kurte fast regelmäßig während des Sommers in Bad Kissingen, sozusagen dem nördlichsten bayerischen Vorposten, bereits nördlich der Main-Linie. Dazu stellte ihm der bayerische König stets eine Kutsche mit Pferden zur Verfügung. Das gab jedes Mal den äußeren Anlass für einen relativ intensiven Austausch von Dankschreiben mit umfangreichen politischen Darlegungen. Der bayerische Monarch sollte sich privilegiert, informiert und in die Reichspolitik einbezogen fühlen können.47 Am 4. August 1879 schreibt der Reichskanzler aus Bad Kissingen an den bayerischen König im Blick auf die parteipolitischen Entwicklungen auf Reichsebene: »Das Centrum hat zum ersten Male begonnen, sich im positivem Sinne an der Gesetzgebung des Reiches zu betheiligen. […] Die nationalliberale Partei, wird, wie ich hoffe, durch die letzte Reichstagssession ihrer Scheidung in eine monarchische und eine fortschrittliche, also republikanische Hälfte entgegengeführt werden.« Und zum Moment des Persönlichen: »Einen wesentlichen Antheil an der guten Wirkung hat die Leichtigkeit, mit welcher E.W.M. Gnade mich in den Stand setzt, die gute Luft der umgebenden Wälder zu genießen. Die ausgezeichneten Pferde des Marstalls E.W.M. machen es leicht, jeden Punkt der schönen Umgebung Kissingens zu erreichen […].«48 Fünf Wochen später ist Bismarck in Bad Gastein, der Vertragsschluss mit Österreich bahnt sich an. Aus Bad Gastein richtet er am 10. September 1879 ein bemerkenswert umfangreiches Schreiben an den bayerischen König. Es erläutert detailliert die außenpolitische Lage in der Dreiecksbeziehung zwischen Deutschland, Russland und Österreich aus seiner Sicht, und auch hier kommt die großdeutsch-mitteleuropäische Komponente wieder zum Ausdruck: »Ich würde es für eine wesentliche Garantie des Europäischen Friedens und der Sicherheit Deutschlands halten, wenn das Deutsche Reich auf eine […] Abmachung mit Österreich einginge, welche zum Zweck hätte, den Frieden mit Russland nach wie vor sorgfältig zu pflegen, aber wenn trotzdem eine der beiden Mächte angegriffen würde, einander beizustehen […]. Der rein defensive Charakter dieser gegenseitigen Anlehnung der beiden deutschen Mächte an einander könnte auch für niemanden etwas Herausforderndes haben, da die selbe gegenseitige Assekuranz beider in dem deutschen Bundesverhältniß von 1815 schon 50 Jahre völkerrechtlich bestanden hat.«49 Auch hier also der Zweibund von 1879 ganz in der Kontinuität der Beziehungsmuster von Altem Reich und Deutschem Bund. Im Folgejahr, am 1. Juni 1880, appelliert Bismarck an den bayerischen König, die monarchische Solidarität gegen die parlamentarische Linke, das heißt die ihm nicht botmäßigen Kräfte im Reichstag, zu setzen: »Wenn der Reichstag in einer starken und conservativen Mehrheit den verbündeten Regierungen gegenüber eine wohlerwogene Stellung einnimmt, so wird eine verständige Politik gewiß mit derselben rechnen wollen; wenn aber gerade die turbulenten, demokratischen und unitarischen Elemente des Reichstags unter Benutzung der Stimmvortheile, welche sie aus der principiellen Opposition des Centrums ziehn in die Rechte der Regierung mit eingreifen wollen, so darf meines Erachtens unter Letzteren die Nachgiebigkeit keine Vertretung finden.«50 Eine solche Wunschkombination hatte Bismarck deutlich später mit den Reichstagswahlen vom Februar 1887 ansatzweise erreicht: Die beiden konservativen Parteien und die nach rechts gewendeten Nationalliberalen fest in seinem Lager, das Zentrum von der nationalen Sammlungsparole des Kanzlers durchaus nicht unbeeindruckt, die Monarchen weitgehend auf seiner Seite. War doch mehr als bezeichnend gewesen, wie der De-facto-Nachfolger des am 13. Juni 1886 unter mysteriösen Umständen im Starnberger See zu Tode gekommenen Königs Ludwig II., Prinzregent Luitpold, am 9. November dieses Jahres die bayerischen Reichstagsabgeordneten in Berlin zusammengestaucht und auf Bismarck-Kurs zu bringen versucht hatte. Aber diese Phase unbestrittener innenpolitischer Hegemonie hielt nicht lange an. Am 9. März 1888 starb, über 90-jährig, Kaiser Wilhelm I. Bismarck, der ihm 27 Jahre als Regierungschef gedient hatte, verlor damit im Ergebnis doch die entscheidende Stütze seiner Macht. Zum Nachfolger, Kaiser Friedrich III., dem Monarchen für 99 Tage, hatte er stets ein problematisches, oft kritisches Verhältnis unterhalten. Umso mehr galt das für dessen Gemahlin Victoria, mit ihrer britisch-liberalen Sozialisation. Aber die hier begründeten, jahrzehntelangen Konflikte spielten nun eigentlich keine Rolle mehr. Der todkranke Kaiser Friedrich III. konnte in seiner kurzen Regentschaft keine Akzente mehr setzen. Am Ende ging es ihm um Kontinuität, und auf dem Totenbett legte er die Hände Bismarcks und seiner Frau ineinander. Schließlich ahnten wohl beide, Bismarck wie Friedrich III., dass der unfertige neue Kronprinz Wilhelm zu verlässlicher Führung des Reiches schwerlich im Stande sein werde. Der Bruch mit diesem war bald so tief, dass ein gleitender Übergang nicht möglich war. Das fruchtlose Nachspiel der Bismarck ’schen Kanzlerschaft von 1888 bis 1890 bleibt hier außer Betrachtung.
7. Spezialität im preußisch-deutschen Reich:
Bismarck und das Militär
An sich war Bismarck, der, je älter er wurde, desto lieber die Uniform der Halberstädter Kürassiere trug, Zivilist. Selbst dem Schmalspurmilitärdienst als Einjährig-Freiwilliger, zuerst bei den Garde-Jägern in Potsdam, dann bei den Pommerschen Jägern in Greifswald, hatte er mit dem Verweis auf eine »Muskelschwäche«, die er sich bei einer studentischen Mensur zugezogen habe, zu entkommen versucht.51 An dieser Stelle der vergleichende Blick auf die drei anderen Kanzler, die hier fakultativ in die Betrachtung mit einbezogen werden: Von den insgesamt Vieren, Bismarck, Bülow, Adenauer und Kohl, hatte nur einer je wirklich Pulverdampf gerochen, Bernhard von Bülow im deutsch-französischen Krieg von 1870 / 71. Bülow war als Student, mit ausgedehntem Freizeit-, Gesellschafts- und Kulturprogramm, bei Ausbruch des Krieges als Freiwilliger eingetreten, avancierte nach dem Ende der Feindseligkeiten zum Leutnant bei der Kavallerie, begann sich freilich beim Militär unter Friedensbedingungen zu langweilen, legte die juristischen Examina ab und trat schließlich 1873 mit väterlicher Protektion – sein Vater Bernhard von Bülow war inzwischen Staatssekretär im Auswärtigen Amt – in den diplomatischen Dienst ein.52 Bülow fühlte sich offenkundig in Zivil sehr viel wohler, Aufnahmen, die ihn als Diplomaten beziehungsweise Reichskanzler zeigen, präsentieren ihn in aller Regel in Gehrock oder Frack. Anders Bismarck: Im formalen militärischen Dienstrang kletterte er immer höher bis in Generalsränge. Am Krieg von 1870 / 71 nahm er mit seinen Mitarbeitern aus dem Auswärtigen Amt, die zumeist Zivil tragen mussten und damit gegenüber den sogenannten Halbgöttern in Uniform deklassiert erschienen, selbst bevorzugt in Uniform teil.
Ganz anders die Verhältnisse in der zweiten deutschen Nachkriegszeit, nach 1945: Konrad Adenauer wie Helmut Kohl hatten nie gedient; Kohl hatte als Halbwüchsiger noch ein sehr konkretes Bild von den Gefahren des Krieges und vom Untergang des NS-Regimes gewinnen können. Adenauer kokettierte eher damit, dass er als zivil-katholischer Rheinländer dem preußischen Militärsystem habituell distanziert gegenüberstand. Zugleich aber war niemand anders als er der Schöpfer der westdeutschen Armee der Nachkriegszeit, der Bundeswehr. Nach dem Ausbruch des Korea-Krieges Ende Juni 1950 schlug Adenauer den westlichen Siegermächten einen deutschen Wehrbeitrag im Rahmen einer westlichen Streitmacht vor.53 Im Ergebnis kamen zwei Momente zusammen: Schutz des Bundesgebietes, damit Friedenssicherung vor einer Aggression von Osten, und Aufstieg der jungen Bundesrepublik in einen möglichst gleichberechtigten Status im Rahmen der westlichen Staatenwelt. Was sich dann entwickelte, war trotz vielerlei personeller Kontinuitäten mit dem Militärapparat der Reichswehr beziehungsweise Wehrmacht bis 1945 eine gänzlich neue Tektonik deutscher Militärverfassung: Das Zivil beanspruchte die absolute Hegemonie gegenüber der Uniform. Die zivilen Staatssekretäre rangierten im Verteidigungsministerium über den militärischen Spitzen, die »Befehls- und Kommando-Gewalt« hatten die durchweg bis heute zivilen Verteidigungsminister inne, im Kriegsfall sollte sie auf den Regierungschef übergehen. Es gab und gibt weder einen verselbstständigten Generalstab noch einen eigenständigen Strang militärischer Kommandohierarchie an Parlament und Regierung vorbei – im Gegenteil. Noch entscheidender für den Bruch gegenüber der Welt vor 1945, vor 1933 oder vor 1918 war aber noch etwas ganz anderes: Die Integration der Bundeswehr als eine Kontingentsarmee in die