Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Tilman Mayer

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Название Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts
Автор произведения Tilman Mayer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711446935



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Kriegsgefahr im Verhältnis zu Frankreich. Dafür gab der aggressiv auftretende französische Kriegsminister Boulanger die rechte Zielscheibe ab. Am 14. Januar 1887 hatte Bismarck durch den Kaiser den Reichstag auflösen und Neuwahlen ausschreiben lassen, zweieinhalb Wochen später erschien im Blick auf die französische Bedrohung in der Zeitung Post ein Artikel unter dem Titel: »Auf des Messers Schneide«36. Tatsächliche Kriegsgefahr ging auf der anderen Seite hingegen in diesen Monaten eher von dem belasteten Verhältnis zwischen Deutschland – mit Österreich-Ungarn – und Russland im Zeichen der Bulgarienkrise aus. Die führenden Militärs im Generalstab drängten in dieser Situation auf einen Präventivkrieg gegenüber Russland, auf ein gemeinsames Vorgehen mit Österreich-Ungarn, das in einem Feldzug in Kongresspolen eine militärische Entscheidung herbeiführen sollte. Bismarck war gegen den Krieg, aber dieser Kurs ließ sich nur durchhalten, wenn er mit selbstbewussten nationalen Parolen verbunden wurde und für innenpolitische Sammlung im Zeichen einer klaren Polarisierung zwischen nationalem und nichtnationalem Lager stand. Wieder waren Nationalliberale und Zentrum die parlamentarischen Kräfte, um die im Kern der Konflikt geführt wurde. Und umgekehrt sollten Aufrüstung und innere Stärkung die Politik in die Lage versetzen, den Militärs die Begründung für den tatsächlichen Waffengang zu nehmen: Denn ein Präventivkrieg aus einer Situation angenommener oder künftiger potenzieller Schwäche, und sei es auch im Zeichen eines Zweifronten-Krieges gegen Frankreich und Russland, werde dann überflüssig werden, wenn das Reich aus eigener Stärke nichts zu befürchten habe. Hier wird deutlich, wie sehr bei Bismarck Innen- und Außenpolitik, Strategie, Taktik und Instrumentalisierung in enger Wechselbeziehung zueinander standen. Und um das katholische Zentrum unter Druck zu setzen, verfügte Bismarck über eine Waffe, die förmlich genial anmutet, den eigens dazu in Stellung gebrachten Heiligen Vater, Papst Leo XIII. Anfang Januar 1887 wies der Vatikan den in München amtierenden Nuntius an: »Sie wollen daher aufs Lebhafteste die Führer des Centrums dafür interessieren, daß sie allen ihren Einfluß bei ihren Kollegen anwenden und dieselben versichern, daß sie durch die Unterstützung des Septennats dem Heiligen Vater eine große Freude bereiten und das für die Sache der Katholiken sehr vortheilhaft sein wird.«37 Zugleich gewann Bismarck die kommunikative Hegemonie gegenüber Parlament und Öffentlichkeit durch zwei große Reichstagsreden, die in Teilen geradezu in den nationalen Sprachhaushalt eingegangen sind, der vom 11. Januar 1887 und der vom 6. Februar 1888. Bei der ersten Rede schob er jenen Abgeordneten, die der bereits vorliegenden Septennatsvorlage die Zustimmung versagten, die Verantwortung für einen künftigen, gegenüber Frankreich verlorenen Krieg und für die Folgen zu, und er sparte dabei nicht mit nationaler Dramatisierung: »Man würde dafür sorgen, dass das Deutsche Reich so stark nicht bleibt, wie es ist. Man würde, von der Rheingrenze ausgehend, uns vom Rhein soviel abnehmen, wie man könnte; […] wir würden Schleswig ganz ohne Zweifel an Dänemark verlieren. […] Nun meine Herren, ich kann mir danach nicht denken, wer überhaupt sich stark genug fühlte, die Verantwortung für die Möglichkeiten des Eintritts solcher Zustände zu übernehmen. Die verbündeten Regierungen sind es ganz sicher nicht […]. Die verbündeten Regierungen haben […] dem Volk gegenüber die Verantwortlichkeit dafür, dass dieser Schutz jederzeit vorhanden sei.«38 Mit den »verbündeten Regierungen« kommt hier eine weitere, für die spätere Bismarckzeit typische Referenzebene ins Spiel. Je mehr Bismarck den Reichstag unter Druck zu setzen suchte, desto mehr bedurfte er dazu außerparlamentarischer Verbündeter. Die föderale, in Teilen konföderale Struktur des Bismarck-Reiches legte es dazu nahe, sie im Bundesrat wie bei den Monarchen und Regierungen der anderen deutschen Staaten zu suchen, von außerdeutschen Partnern wie dem wie ein deus ex machina auf die Bühne gezauberten Papst ganz abgesehen. Der Papst selbst hatte durchaus plausible Gründe, sich mit dem evangelischen deutschen Reichskanzler gegen das katholische Zentrum zu verbinden: Das Deutsche Reich stand im Bündnis mit Österreich-Ungarn, der einzig verbliebenen substantiell katholischen Großmacht in Europa. Frankreich und Italien hingegen waren zwar sozusagen auf dem Taufschein katholisch, Frankreich aber politisch laizistisch, und das neue italienische Königreich hatte 1870 den letzten Rest des Kirchenstaates militärisch beseitigt und stand im Fundamentalkonflikt mit dem Heiligen Stuhl. Zusätzlich erhoffte sich der Papst, nicht ohne Grund, die weitgehende Beseitigung der Kulturkampfgesetze, wenn er hier mit dem deutschen Kanzler konform ging.

      Auf der monarchischen Ebene suchte der bayerische Prinzregent Luitpold, als Angehöriger des wittelsbachischen Hauses 1870 noch ganz auf der Seite der Gegner des bayerischen Eintritts in das neue Reich, in denkbar brüsker Form die bayerischen Abgeordneten im katholischen Zentrum anlässlich einer Begegnung in der Berliner bayerischen Gesandtschaft am 9. Dezember 1886 zur Annahme der Septennatsvorlage buchstäblich zu vergattern.39 Bismarcks Mobilisierungsstrategie ging bei der Reichstagswahl vom 21. Februar 1887 voll auf: Die Wahlbeteiligung stieg auf 77 Prozent gegenüber 60 Prozent bei der Reichstagswahl von 1884. Insbesondere die Nationalliberalen, die sich wieder nach rechts gewandt und hinter die Septennatsvorlage gestellt hatten, profitierten von der Loyalität mit Kaiser, Kanzler und Reich im Zeichen nationaler Sammlung: Sie stiegen von 997 000 Wählern auf jetzt 1 678 000, von 51 auf 99 Mandate; die drei Kartellparteien, Deutschkonservative, Freikonservative und Nationalliberale erreichten 220 von 397 Mandaten. Für Bismarck hatte es sich also voll ausgezahlt, das Septennat vom Vorgänger-Reichstag mit 183 gegen 154 Stimmen ablehnen und dann neu wählen zu lassen. Der sogenannte Kartell-Reichstag billigte die Septennatsvorlage, darunter auch eine Reihe von Zentrumsabgeordneten, der größte Teil von ihnen enthielt sich. Kaum war aber die neue Friedenspräsenzstärke der Armee gebilligt, erfolgte der nächste rüstungspolitische Paukenschlag, die Ausdehnung der Dienstpflicht in der Landwehr vom 32. auf das 39. Lebensjahr. Für den Mobilisierungsfall brachte sie zusätzliche rund 700 000 Soldaten, oder wie Bismarck plastisch sagte »die Armee einer zweiten Großmacht«. Zur Begründung holte der Kanzler im Reichstag am 6. Februar 1888 über volle zwei Stunden weit aus. Sein Kernargument war:

      Durch die Einbeziehung der älteren, ausgebildeten Jahrgänge für den Mobilisierungsfall sollte Deutschland eine so hohe Kriegsstärke erreichen, dass die potenziellen Gegner, Frankreich und Russland wurden hier ganz offen genannt, entweder vom Krieg abgeschreckt werden würden – ein Argument, das im Blick auf den Kalten Krieg ab 1946 / 47 sehr modern klingt – oder, falls es doch zum Waffengang komme, Deutschland zuversichtlich auf den Kriegsausgang blicken dürfe. Die Schlussfolgerung lautete: Für einen Präventivkrieg aus Sorge um künftige Unterlegenheit gebe es also keinen Anlass, und daher könne Deutschland unbesorgt, wie in den bald schon zwei Jahrzehnten seit der Reichsgründung, weiter Friedenspolitik betreiben: »Diese gewaltige Verstärkung wird, wie ich glaube, auch beruhigend auf unserer eigenen Landsleute wirken und wird die Nervosität unserer öffentlichen Meinung, unserer Börse und unserer Presse einigermaßen ermäßigen.«40 Und um einer etwaigen Kriegspolitik weiter den Boden zu entziehen, fügte der Reichskanzler hinzu, dass Krieg kein Instrument (mehr) einer opportunistisch kalkulierenden Kabinettspolitik sei. Friedenspolitik und nationale Parole kamen so zusammen: »Wenn wir in Deutschland einen Krieg mit der vollen Wirkung unserer Nationalkraft führen wollen, so muss es ein Krieg sein, mit dem alle, die ihn mitmachen, alle, die ihm Opfer bringen, kurz und gut, mit dem die ganze Nation einverstanden ist; es muss ein Volkskrieg sein.«41 Man kann es auch so sagen: Bismarck stellte hier die nationale und plebiszitäre Referenzebene gegen die repräsentative, die parlamentarische. Parlament, Parteien und Fraktionen wurden dabei sozusagen von oben und unten unter Druck gesetzt, von oben durch Monarchen und Regierungen, von unten durch das nationale Wohl, das er durch sich repräsentiert sah und das er agitatorisch geschickt gegen die im Parlament vertretenen politischen Fraktionierungen ins Feld zu führen verstand. Ausschalten, beseitigen wollte er Letztere damit freilich keineswegs. Bismarck hat oft und glaubhaft versichert, prinzipiell kein Anhänger eines absolutistischen Systems zu sein. Es ging ihm vielmehr um ein Kräfteparallelogramm, dessen Nutznießer er selbst sein wollte.

      6. Weitere Bezugsfaktoren

      Der frühe Bismarck war preußisch-royalistisch gesinnt, dazu kokettierte er mit dem gleichen Wahlrecht, um die, aus seiner Sicht, Preußen mediatisierende Struktur des Deutschen Bundes plebiszitär in die Luft sprengen zu können. Österreich kam in der ungünstigeren Alternative die Rolle des entfernten Partners in einem mitteleuropäischen Kondominium zu, in der besseren wurde es aus Deutschland verdrängt. Die deutschen Mittelstaaten schließlich, darunter