Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Tilman Mayer

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Название Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts
Автор произведения Tilman Mayer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711446935



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grundlegend schon beim deutschen Einigungsprozess im Herbst 1870. Bismarcks journalistischer Adlatus Moritz Busch zitierte ihn beim Abendgespräch nach der Einigung mit der bayerischen Delegation über den Beitritt des Landes zum Deutschen Bund, wie es damals noch hieß, am 23. November 1870: »Die Zeitungen werden nicht zufrieden sein […], der dumme Kerl hätte mehr fordern sollen; er hätte es erlangt, sie hätten gemußt; und er kann recht haben – mit dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß die Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren – was sind Verträge, wenn man muß! –, und ich weiß, daß sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte sie nicht pressen, die Situation nicht ausnutzen.«42 Die konföderale Struktur des Reiches bot Bismarck die Chance, dem nach seiner Funktionslogik unitarischen Verfassungsorgan Reichstag – denn je zentralstaatlicher das Reich werden würde, desto mächtiger musste sein Parlament werden –, so etwas wie Gegenmacht entgegenzusetzen. Es ging dabei vor allem um die Kooperation der großen Einzelstaaten Preußen, Bayern an nächster Stelle, aber auch Sachsen und Württemberg – was naturgemäß den Kleineren schmeichelte. Das ging mitunter so weit, dass Bismarck klagte, im neuen Nationalstaat sei Preußen eigentlich zu groß; insofern habe er die Annexionen von 1866 nur notgedrungen durchgeführt, um Preußen zur geostrategisch so wichtigen Landbrücke von Ostelbien ins Rheinland zu verhelfen. Diese föderale Tendenz verstärkte sich noch mit dem Ende der liberal dominierten Ära gegen Ende der siebziger Jahre, und nun kam ein weiterer, staatsrechtlich außerdeutscher Faktor hinzu: Öster reich: Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht dabei der deutsch-österreichische Zweibund vom 7. Oktober 1879. Die Frage ist, in welchen Kontext er sich eigentlich einfügt, 13 Jahre nach der Schlacht bei Königgrätz und dem österreichischen Eingeständnis, fortan kein innerdeutscher Faktor mehr zu sein. Zunächst einmal war der Zweibund eine klassische Großmächteallianz, seinem Wortlaut nach ein Defensivbündnis gegen Russland. Sein Abschluss stellte damit zunächst nichts anderes dar als eine Station in der Gesamtentwicklung der Sicherheits-, Friedens- und Bündnispolitik auf dem europäischen Kontinent nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 / 71. Vorausgegangen waren das Dreikaiserabkommen der drei klassischen Ostmächte von 1873, die sogenannte Krieg-in-Sicht-Krise von 1875, bei der Deutschland tatsächlich oder vermeintlich einen zweiten Feldzug gegen Frankreich ins Auge gefasst hatte, und daran, tatsächlich oder vermeintlich, von Russland und Großbritannien gehindert wurde, und die zunehmenden Vorstöße des St. Petersburger Hofes, Preußen-Deutschland solle sich nun endlich für die Dienste erkenntlich zeigen, die Russland ihm bei den Kriegen von 1866 und 1870 / 71 geleistet habe, indem es der Berliner Politik den notwendigen Manövrierraum schuf.43 Das Erbe der preußischen Außenpolitik wies entschieden in die prorussische Richtung, seit sich Friedrich der Große mit Zarin Katharina 1764 verbündet hatte, ein Jahr nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges. Hier war eine Tradition entstanden, in der die preußischen Offiziere und Diplomaten über Generationen aufwuchsen. Preußen war, mit dem Höhepunkt in der Zeit der Heiligen Allianz 1815, so etwas wie die Assistenz-Großmacht Russlands in Mitteleuropa; beide sicherten sich gegenseitig, beide hatten keinerlei territoriale Ansprüche gegeneinander, und beider Dynastien, Hohenzollern und Romanows, waren eng miteinander verbunden und verwandt. Nun aber hatten sich Bezugsrahmen und Interessen gravierend gewandelt: Für das Deutsche Reich kam die Verbindung mit dem zaristischen Imperium und damit die Akzeptanz eines subalternen Status schwerlich infrage. Ließ Deutschland sich auf eine Verbindung mit Russland ein, dann lag die Kompetenzkompetenz für Konflikte in Europa in St. Petersburg, nicht in Berlin. Kam es dann zum Krieg zwischen Russland und England, dann musste Deutschland als eine Art Vasall mitgehen. Österreich-Ungarn hingegen war die unbestreitbar schwächere Macht; es würde, so durfte Bismarck kalkulieren, nicht von Deutschland Gefolgschaft erwarten, sondern auf einen erheblichen Gewinn an Sicherheit spekulieren. Und die Verbindung zu Wien werde Berlin auch keinesfalls die Feindschaft mit London einbringen, denn Österreich-Ungarn und Großbritannien waren im Grunde Partner auf dem Balkan beim Bemühen, das Vordringen Russlands in dieser Region und gegen die türkischen Meerengen einzudämmen – das war eine der Lehren des Berliner Kongresses von 1878 gewesen. Bismarck hatte also allerhand außenpolitische Gründe, für ein Bündnis mit Österreich-Ungarn zu optieren. Es gab aber noch eine zweite, innenpolitische Dimension. An Kaiser Wilhelm I., dem diese neue Kombination so heftig widerstrebte, dass er an Abdankung dachte, schrieb der Kanzler am 7. September 1879: »Schließlich gestatte ich mir, mit Bezugnahme auf die nationalen Empfindungen im gesamten Deutschen Reiche noch auf die geschichtliche Tatsache ehrfurchtsvoll hinzuweisen, daß das ›deutsche Vaterland‹ nach tausendjähriger Tradition sich auch an der Donau, in Steiermark und in Tirol noch wieder findet, in Moskau und Petersburg aber nicht. Diese Tatsache bleibt für die Haltbarkeit und für die Popularität unserer auswärtigen Beziehungen im Parlamente und im Volke von wesentlicher Bedeutung.«44 Hier gilt es nun, die einzelnen Stränge zusammenzuführen: 1879, das ist das Jahr des inneren Umbaus des Reiches, der Schaffung einer neuen Steuer- und Finanzordnung, der Distanzierung von den Liberalen und der Gewinnung von so etwas wie einer neuen Geschäftsgrundlage gegenüber dem Zentrum und mit ihm der katholischen Welt. Was konnte dabei von größerem Wert sein als das Verheilen auch der großdeutschen Wunden von 1848 / 49 und vor allem von 1866? Bismarcks ursprüngliches Konzept war es 1879, über eine reine Militärallianz hinaus, eine »organischen Union« beider Staatswesen herzustellen, durch parlamentarische Ratifikationen in besonderer Weise und vor allem öffentlichkeitswirksam legitimiert. Jenseits einer reinen Sicherheitsallianz sollten wirtschaftliche und kulturelle Kooperationen vereinbart werden – ein wenig fühlt man sich an den deutsch-französischem Vertrag vom 22. Januar 1963 und die darin enthaltenen Vereinbarungen über Zusammenarbeit auf den verschiedensten Gebieten erinnert. Kein Zweifel: Diese Kombination sollte in der Tradition der Vorstellungen von einem engeren und einem weiteren Bund in Mitteleuropa stehen, einem engeren in Gestalt des 1871 gegründeten kleindeutschen Reiches, und einem weiteren in Gestalt der Verbindung mit Österreich-Ungarn. Das war die Lösung von 1849 gewesen, die schließlich gescheitert war; mit diesem Modell war auch Bismarck noch 1866 in die agitatorische Feldschlacht bei den letzten Sitzungen des Bundestages in Frankfurt gezogen. Die so seit 1867 bestehende österreichisch-ungarische Doppelmonarchie widersetzte sich allerdings dieser Struktur unter ihrem aus Ungarn stammenden Außenminister Graf Julius Andrássy, denn in Wien und Budapest wusste man, was eine solche Teilfusion bedeuten musste: nämlich die Position der Zweitrangigkeit, vielleicht der Gefolgschaft gegenüber dem deutschen Vormund. So blieb es beim reinen Sicherheitsbündnis mit antirussischer Stoßrichtung, das überdies fürs Erste offiziell geheim gehalten wurde. Gleichwohl wusste man in den beiden Ländern und in ganz Europa sehr bald, dass hier eine neue Allianz entstanden war, und auch von ihrer kulturnational-identitären Unterfütterung, ob nun förmlich verbrieft oder nicht, war vielfach die Rede. Der preußische Staatsminister von Lucius berichtete von der Sitzung der preußischen Regierung am 28. September 1879: »Diese Allianz ist die Wiederaufrichtung des Deutschen Bundes in einer neuen, zeitgemäßen Form. Ein Bollwerk des Friedens für lange Jahre hinaus. Populär bei allen Parteien, exklusive Nihilisten und Sozialisten.«45 Und bei dieser geradezu großdeutschen Tonlage blieb es weiter. Vor der Reichstagsauflösung, mit der Bismarck 1887 in den Wahlkampf um das Septennat ging, erklärte er bei seiner großen Parlamentsrede vom 11. Januar 1887: »Unsere Aufgabe haben wir zuerst darin erkannt, die Staaten, mit denen wir Kriege geführt hatten, nach Möglichkeit zu versöhnen. Es ist uns dies vollständig gelungen mit Österreich. Die Absicht und das Bedürfnis, dahin zu gelangen, beherrschten bereits die Friedensverhandlungen in Nikolsburg im Jahre 1866, und es hat uns seitdem nie das Bestreben verlassen, die Anlehnung an Österreich wiederzugewinnen, die wir vor 1866 nur scheinbar und buchstäblich hatten, die wir jetzt in der Wirklichkeit vollständig besitzen (Bravo!). Wir stehen mit Österreich in einem so sicheren und vertrauensvollen Verhältnisse, wie es weder wie im Deutschen Bund trotz aller geschriebenen Verträge noch früher im Heiligen Römischen Reiche jemals der Fall gewesen ist (Bravo!) …«46

      Bismarck mag die hier gefundene Lösung nahezu ideal angemutet haben: Im Zweibund war das Deutsche Reich unbestreitbar der stärkere Partner, es stabilisierte mit der außenpolitischen auch die innenpolitische Lage in Österreich und hier naturgemäß an erster Stelle die Position der Deutschen in den Ländern der Donaumonarchie. Das bedeutete aber zugleich, dass das Auseinanderbrechen Österreich-Ungarns möglichst vermieden werden musste, und dass man sich, solange es ging, auch gar nicht die Frage stellte, wie sich das Deutsche Reich im Falle eines Untergangs der Donaumonarchie