Название | Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts |
---|---|
Автор произведения | Tilman Mayer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711446935 |
Am Tag der Entscheidungsschlacht von Königgrätz, am 3. Juli 1866, wurde in Preußen ein neuer Landtag gewählt. Er brachte eine gewichtige, ja fast revolutionäre, eher wohl konterrevolutionäre Gewichtsverschiebung. Der Erfolg, obwohl noch nicht vollständig eingetreten, nährte den Erfolg: Die Konservativen stiegen von 35 auf 119 Mandate. Bismarcktypisch – und wieder, wie beim Fürstentag von 1863, gegen den Monarchen gerichtet – war auch die Friedensgestaltung: Sie war insofern radikal, als sie jene eliminierte, für die auf dem Spielfeld aus Bismarcks Sicht kein sinnvoller Platz mehr war – und jene schonte, die für künftige Kombinationen gebraucht werden würden. Der Monarch hingegen wollte einen herkömmlichen Friedensvertrag: Sogenannte »Schuldige« sollten bezahlen, möglichst alle Gegner auch Gebietsverzicht leisten, wie es nun einmal üblich war. Zugleich aber sollten nicht revolutionär Dynastien wie im Falle des welfischen Königreiches Hannover einfach radikal entthront werden. Bismarck, der sogenannte Vasall, führte den Konflikt an zwei, wenn nicht drei Fronten: Einmal ein schneller Friedensschluss, um Frankreich nicht die Chance zu eröffnen, auf einer Vermittlungsprämie zu beharren und durch Gebietsgewinne im Linksrheinischen die preußische Politik unter nationalen Gesichtspunkten zu desavouieren. Zum Zweiten Schonung der süddeutschen Staaten und vor allem Österreichs gegen den Willen des Königs, der Teile Nordbayerns – die alten Hohenzollernschen Markgrafschaften – und Böhmens annektieren wollte. Bismarck hat sich dagegen nahezu mit Brachialgewalt durchgesetzt. Selten in seiner gesamten Amtszeit hat er gegen den eigenen Monarchen so hoch gepokert, so viel zerschlagenes Porzellan in Kauf genommen und sich am Ende durchgesetzt: »Von Österreich ist durch die doppelte Erklärung, daß es aus dem Deutschen Bunde austrete und eine Rekonstruktion desselben ohne seine Teilnahme und unter Preußens Führung zulassen und daß es alles anerkennen werde, was Eure Königliche Majestät in Norddeutschland zu tun für gut befinden werde, alles wesentliche gewährt, was Preußen von ihm zu fordern hat. […] Wenn dieses Ziel […] gesichert werden kann, so würde es […] ein politischer Fehler sein, durch den Versuch, einige Quadratmeilen mehr von Gebietsabtretungen oder wenige Millionen mehr von Kriegskosten von Österreich zu gewinnen, das ganze Resultat wieder infrage zu stellen […].«24
Gewiss hat Bismarck 1866, als er Österreich »schonte«, noch nicht den späteren Zweibund von 1879 zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn im Blick haben können. So langfristig-determiniert agierte er nicht. Aber ebenso sicher ist, dass ihm 1866 bereits die Konstellation eines Ausgleiches zwischen Preußen beziehungsweise Preußen-Norddeutschland oder Preußen-Kleindeutschland und dem historisch und kulturell ja doch so eng verbundenen Österreich vor Augen stand.
Schließlich drittens die Indemnitätsvorlage gegenüber dem preußischen Landtag, der Formelkompromiss, mit dem nachträglich die parlamentarische Billigung für die ungenehmigten Haushalte seit Beginn des Verfassungskonfliktes und damit auch für die Heeresreform eingeholt wurde. Auch hier argumentierte Bismarck »realpolitisch« gegenüber einem Monarchen, der in diesem Schritt so etwas wie ein Schuldeingeständnis sah – und ihn zunächst vehement ablehnte. Bismarck hingegen beharrte darauf, im Lande ein erträgliches Verhältnis wiederherzustellen – bei dem er selbst dann freilich als Regierungschef der eigentliche Nutznießer war. Denn wenn es gelang, das Konfrontationsverhältnis gegenüber dem Parlament zu überwinden, dann sank zugleich seine eigene Abhängigkeit vom Monarchen.
4. Regieren und Regierungsapparat
Einen Kanzler beziehungsweise Staatskanzler hatte es in Preußen nur einmal gegeben, mit Karl August von Hardenberg vom 4. Juni 1810 bis zu seinem Tode am 26. November 1822.25 König Friedrich Wilhelm III. hatte in der Ernennungsurkunde für Hardenberg eine besondere Prärogative des Staatskanzlers zum Ausdruck gebracht: »Ich habe beschlossen, Euch zum Staatskanzler zu ernennen und Euch unter meinen unmittelbaren Befehlen die obere Leitung aller Staatsangelegenheiten zu übertragen.«26 Der Ministerpräsident im Königreich Preußen hingegen war unter den Bedingungen der Verfassung von 1850 an sich eine schwache Figur, ein primus inter pares – darauf wurde schon eingegangen. Im Falle Bismarcks kam zumindest hinzu, dass er sich frühzeitig ein hohes Maß an persönlicher Autorität erkämpfte; nach elf Jahren als preußischer Chefdiplomat und als political animal schlechthin, dazu als Joker im preußischen Verfassungskonflikt war er eine erhebliche politische Kapazität. Aber das war er mehr als Einzelakteur, von seinen Kollegen im Staatsministerium hielt er zumeist wenig – man wird hier, ausnahmsweise, der Charakteristik in seinen Memoiren folgen dürfen: »Ebenso war der Handelsminister Graf Itzenplitz nicht im Stande, das Steuer seines überladenen ministeriellen Fahrzeugs selbstständig zu führen, sondern trieb in der Strömung, welche seine Untergebenen ihm herstellten.«27 Die Ausnahme war sicherlich der ihm auch persönlich nahestehende Kriegsminister Albrecht von Roon. Roon war ja schon im September 1862 massiv daran beteiligt gewesen, Bismarck in einer Art Nacht-und-Nebel-Aktion nach Berlin beziehungsweise Potsdam zu holen, um den König von der Abdankung und damit vom Übergang Preußens zu einem liberalen Regime abzuhalten. Aber die preußischen Kriegsminister hatten in der Hohenzollern-Monarchie sowie auch später im Deutschen Reich eine Art Sonderstellung. Denn da die Armee uneingeschränkt der Kommandogewalt des Königs unterstand – und Bismarck selbst legte zumindest äußerlich stets den größten Wert darauf, dass es dabei blieb –, war der Kriegsminister eine Art Zwitter zwischen zivilem Minister und General in der autonomen Militärhierarchie.
Für Bismarcks konstitutive Stellung bedeutete der Aufstieg zum Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes 1867 und vier Jahre später zum deutschen Reichskanzler – mit nahezu unveränderten Kompetenzen – einen Quantensprung. Er behielt die Funktionen des preußischen Ministerpräsidenten und, nunmehr deutlich an Gewicht zulegend, auch des preußischen Außenministers; denn als solcher »dirigierte« er die 17 preußischen Stimmen im Bundesrat. Der Kanzler aber, ernannt und entlassen allein vom preußischen König als Inhaber des Bundespräsidiums, beziehungsweise – seit 1871 – vom Deutschen Kaiser, war von nun an, formal bis zum 9. November 1918, der einzige Minister auf der Ebene des neu geschaffenen Bundesstaates. »Er wurde ein Verfassungsorgan ersten Ranges, das gerade aus seiner Zwischenstellung zwischen Bundespräsidium und Bundesparlament (Reichstag, P.M.) die Freiheit des selbstständigen Handels gewann.«28 Im verfassungsrechtlichen Sinne bedurfte der Kanzler zwar nicht einer Mehrheit im Reichstag. Parlamentarische Missbilligungen konnten seine Stellung gegenüber dem Monarchen gegebenenfalls – punktuell – sogar stärken; gegen das Parlament war freilich auf Dauer nichts auszurichten: Denn ohne Reichstagsmehrheiten und damit ohne gebilligte Haushalte ließ sich über längere Zeit nicht regieren, es sei denn der Kanzler ließ es, wie zuvor in Preußen, auf einen Konfliktkurs gegenüber dem Parlament ankommen. Das Reich war aber nicht mehr die enge preußische Monarchie, sondern ein differenziertes politisches System. Bismarck liebte das Spiel mit mehreren Bällen auch in der Innenpolitik, gegen das tendenziell unitarische Verfassungsorgan Reichstag setzte er das konföderale Element der Einzelstaaten und ihrer Monarchen, darauf ist noch zurückzukommen. Seine Zentralbehörde war zunächst das 1867 geschaffene »Bundeskanzleramt«, seit 1871 als »Reichskanzleramt« weitergeführt. An seiner Spitze stand bis 1876 der liberale preußische Karrierebeamte Rudolf von Delbrück. Delbrück war Freihändler, er hatte im Herbst 1870 in Versailles an den Verhandlungen zur Einbindung der süddeutschen Staaten in den neuen künftigen Nationalstaat mitgewirkt; er war vom Typus her so etwas wie ein Modernisierer und Technokrat, der nun mit vielerlei ökonomischen und zivilrechtlichen Regelungen die Rahmenbedingungen für die innere Einheit des neuen Nationalstaates herzustellen suchte. Bismarck wurde bald misstrauisch, nichts fürchtete er so sehr wie Machtkonzentration an ihm vorbei. Dazu kam in seinem Regieren eine Art Fundamentalkrise ab der Mitte der 70er-Jahre. Der Kanzler nahm lange Urlaube, bis zu zehn Monate, auf seinen Gütern Varzin in Hinterpommern und später Friedrichsruh bei Hamburg, während derer, wie auch bei seinem Kuraufenthalten im bayerisch-unterfränkischen Bad Kissingen, er darüber nachdachte, wie es denn an der politischen Spitze des Reiches und Preußens weitergehen solle. Die im Parlament oft mit Vehemenz