Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Tilman Mayer

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Название Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts
Автор произведения Tilman Mayer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711446935



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      Die monarchische Prärogative blieb unangetastet, im Grunde ungeschmälert bis zu Bismarcks Ende im politischen Amt, mehr als eine Generation später. Aber sie erfuhr bereits jetzt gravierende Flankierungen: Es geht nicht um Prinzipienpolitik, sondern um »Realpolitik«, um das Wahrnehmen günstiger Chancen für Staat und Monarchie, die sich dann eher kurzfristig aus bestimmten Konstellationen heraus bieten. Gleichzeitig wird eine bestimmte Bandbreite der politischen Kräfte akzeptiert: Das liberale Moment soll gewiss nicht die Hegemonie in der preußischen Monarchie gewinnen dürfen, wohl aber im Kräfteparallelogramm für eine nützliche instrumentelle Verwendung dienen. Hinzu kommt eine zweite Dimension: In der Revolutionszeit hatte der junge Abgeordnete von Bismarck die nationale, über Preußen hinausweisende Formel zumeist zynisch von sich gewiesen, sozusagen als ein Spielfeld von »Kreisrichtern, Professoren und anderen Schwätzern«, eine Formulierung, zu der er sich sehr viel später verstieg. Dazu hatte auch gehört, dass er die andere deutsche, protokollarisch höherrangige Großmacht Österreich mit Respekt behandelte; wenn die nationale Frage gar nicht im Vordergrund stand, sondern die Frage nach der Selbstbehauptung Preußens, dann war es ja auch kontraproduktiv, nur der Verwirklichung einer kleindeutschen Schimäre halber sich auf einen Konflikt mit Österreich einzulassen. Deshalb war es auch nur folgerichtig, dass Bismarck die faktische preußische Kapitulation in Olmütz 1850 vor Österreich, mit Russland im Hintergrund, das heißt die Preisgabe einer preußisch dominierten deutschen Union, guthieß. Dieser Bezugsrahmen sollte sich nun aber gravierend mit seinem Amtsantritt als preußischer Vertreter am Deutschen Bundestag in Frankfurt 1851 wandeln. Einmal wurde hier Bismarck sozusagen in einen deutsch-mitteleuropäischen Kommunikationsraum hineingestellt. Damit stieß er intensiviert auf so etwas wie die deutsche Frage aus preußischer Perspektive. Was sich daraus zusehends entwickelte, war das Bild einer die deutsche Frage instrumentalisierenden preußischen Realpolitik, die zugleich hochkonservative, alteuropäische Muster über Bord warf. Damit wuchs auch das für die preußischen Konservativen indiskutable bonapartistische Frankreich für Bismarck in die Rolle eines mit Interesse zu beobachtenden Akteurs, gegebenenfalls auch Partners hinein. So schrieb er am 21. Dezember 1854 an seinen alten politischen Ziehvater Leopold von Gerlach – und hier deuteten sich die Brüche der späteren Zeit zwischen Bismarck und diesem Lager über die Reichsgründung hinweg bereits an: »Das Unglück aber, was Sie aus einer Verbindung mit Frankreich für uns kommen sehn, erwarte ich vielmehr aus unserer Hingabe für Österreich; etwa aus dem Grunde, weil mich mein Bettgenosse viel leichter betrügen, vergiften, erdolchen kann als ein Fremder, mit dem ich in gelegentliche Geschäftsverbindung trete, besonders wenn der Bettgenosse der Ruchlosere und Feigere ist. Ich bin aber weit entfernt, eine Verbindung mit Frankreich als etwas Erwünschtes, freiwillig Erstrebendes anzusehn. Nur halte ich nicht für gut, […] daß wir nie und unter keinen Umständen uns mit Louis Napoleon alliiren würden; der Glaube, daß diese Möglichkeit für uns gar nicht existire, schwächt unsre Stellung m. E. erheblich.«20

      Bismarck eignete sich in den ersten Jahren seiner Amtszeit als Ministerpräsident, noch intensiver als zuvor in den Botschafterjahren, ein Denken und Agieren in Alternativen an; »Realpolitik« steht damit in engstem Zusammenhang. Bismarck suchte es prinzipiell zu vermeiden – vermutlich kann man hier ein, wenn nicht sein grundlegendes Politikmuster erkennen –, in eine Lage der Alternativ- beziehungsweise Optionslosigkeit gedrängt zu werden. Das gilt für die Innen- wie für die Außenpolitik und vor allem für jene Sphäre, in der beide Dimensionen einander nahekommen, zuvörderst in der deutschen Frage, in den Beziehungen Preußens beziehungsweise Norddeutschlands zu Süddeutschland wie zu Österreich.

      Der »kurbrandenburgische Vasall«, als der Bismarck bei seinem König im September 1862 Punkte gemacht und als der er um ihn geworben hatte, ist tatsächlich doch eine auch imaginierte, teilweise kokettierende Figur. In Wirklichkeit ist der Monarch von Anfang an eine instrumentelle Größe unter anderen. Der Ministerpräsident führt einerseits den Verfassungskonflikt auf die denkbar härteste Weise durch; er versucht liberale Beamte ebenso zu disziplinieren, wie er gefährlich nahe am Staatsstreich operiert; ziemlich gleichzeitig spricht er mit Ferdinand Lassalle über Sinn und Nutzen der Einführung des gleichen Wahlrechts – gegen das in Preußen herrschende Dreiklassenwahlrecht; Lassalle verspricht sich davon etwas für das wachsende Proletariat, Bismarck einiges von der gestärkten Repräsentanz der Bauern und Landarbeiter in den konservativen Strukturen des ostelbischen Preußen. Im Sinne Wilhelms I. ist das alles nicht. Und gleichzeitig wiederum kommuniziert Bismarck mit führenden Liberalen – er signalisiert ihnen, dass die dreijährige Dienstzeit für die Wehrpflichtigen, auf der der König beharrt, für ihn selbst gar kein Dogma sei; er führe hier nur den Willen des Königs aus, aber das werde sich schon ändern. Liberale Minister, so sie den Mut aufbrächten, unter so widrigen Umständen in die Regierung einzutreten, müssten da nur einen langen Atem haben. Im Grunde hintergeht er mit solchen Avancen diesen König, dem er sich als »kurbrandenburgischer Vasall« angedient hat.

      Die preußische Innenpolitik jener Jahre ist stets zugleich die deutsche Politik Preußens: Auch hier hält sich Bismarck bis zuletzt, bis zum innerdeutschen Krieg vom Sommer 1866, mehrere Optionen offen. Und er präpariert zugleich das Gelände, indem er, auch unter Verletzung von mancherlei Prinzipien, die Geneigtheit der beiden außerdeutschen Großmächte gewinnt, des bonapartistischen Frankreichs und des zaristischen Russlands. Bismarck ist wohl sehr bald klar geworden, dass trotz des Scheiterns der Revolution von 1848 / 49, an dem er selbst ja einen, wenn auch marginalen Anteil genommen hatte, der Status quo in Mitteleuropa nicht einfach auf lange Zeit erhalten bleiben konnte. Aber ebenso wenig wie Helmut Kohl Ende der 1980er-Jahre, hatte er in den 1860er-Jahren einen »Masterplan«. Zunächst einmal wusste Bismarck, was er nicht wollte und wen es gegebenenfalls zu instrumentalisieren galt:

      Er wollte keine organische Weiterentwicklung des Deutschen Bundes zu einer stetig verdichteten Konföderation, bei der die gesamtösterreichische Ländermasse zusammen mit den deutschen Mittelstaaten gegenüber Preußen auf Dauer hegemonial bleiben würde. Insofern war sein schärfster Gegenspieler in diesen Jahren der Leiter der sächsischen Politik, Graf Beust, der genau diesen Weg anstrebte.21 Gegen diesen Trend setzte er sich mit aller Härte zur Wehr, als er nahezu brachial 1863 seinen König daran hinderte, am Frankfurter Fürstentag unter dem Präsidium des österreichischen Monarchen Kaiser Franz Joseph teilzunehmen. Gleichzeitig verschreckte er, das wurde hier schon angedeutet, die preußischen Hochkonservativen, indem er das bonapartistische Frankreich ins Kalkül nahm – und auf der anderen Seite schloss er, auch 1863, die »Alvenslebensche Konvention« mit Russland.22 Für alle, die dem liberalen freiheitlichen Prinzip anhingen, war diese Konvention förmlich ein Schlag ins Gesicht – für Bismarck hingegen waren solche Positionen »Professorenpolitik«; dafür hatte er nur abfällige Worte. Ohne dass der spätere Showdown mit Österreich damals schon absehbar war, schuf Bismarck so jedenfalls Voraussetzungen, um Österreich gegenüber in die Vorhand gelangen zu können. Was aber stellte er sich hier vor?

      Die schließliche Verdrängung Österreichs aus Deutschland war nicht zwingend von Anfang an in Bismarcks Vorstellungen angelegt, auch in dieser Hinsicht zeigte er sich alles andere als dogmatisch. Vielmehr bot er gewissermaßen eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten an, wobei die Extreme das Verschwinden Österreichs aus Deutschland oder ein Kondominium mit jeweiliger Hegemonie beider Seiten, Preußens in Norddeutschland, Österreichs südlich der Mainlinie, sein sollten. Gegenüber dem österreichischen Botschafter Graf Károlyi führte er schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident aus:

      »Preußens Stellung in Deutschland verstehe ich folgendermaßen. Parallel mit dem Zollverein müssten auf dem materiellen Gebiete, wie Eisenbahnen usw., nicht durch den Bund, sondern durch freie Vereinbarung zwischen Preußen und jedenfalls den norddeutschen Staaten ähnliche Institute gegründet und die Führung der beiden norddeutschen Armeekorps Preußen überlassen werden, während die beiden andern dem österreichischen Kommando zufielen.«23 Am Ende pokerte Bismarck hoch und gewann, worüber er selbst sich durchaus nicht sicher gewesen war: In der finalen Krise des Deutschen Bundes vom Mai und Juni 1866 schlug er, in Berlin immer noch im Konflikt mit der weit überwiegenden liberalen Mehrheit im Landtag, für die Lösung der deutschen Frage einen neuen engeren Bund auf der revolutionären Grundlage des gleichen Wahlrechts vor – und eben diesem Bund sollte Österreich nicht mehr angehören. Und zugleich waren