Название | Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts |
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Автор произведения | Tilman Mayer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711446935 |
In gewisser Analogie das Ende der Kanzlerschaft Bernhard von Bülows 1909: Hier kurz vor dem Ende ein triumphal anmutender Wahlsieg, die Reichstagswahlen des Jahres 1907, die sogenannten Hottentottenwahlen: Bülow hatte sie geschickt gegen den linken Zentrumsflügel unter dem aufstrebenden württembergischen Abgeordneten Matthias Erzberger instrumentalisiert, der die Kolonialpolitik des Reiches, Verschwendung wie Grausamkeiten, heftig und gut munitioniert angegriffen hatte. Das daraufhin zustande gekommene Bülow-Kartell umspannte den ganzen parteipolitischen Bogen von den Deutschkonservativen bis zur linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei. Bei Kaiser wie Bürgertum machte Bülow vor allem dadurch Punkte, dass ihm nahezu die Halbierung der sozialdemokratischen Mandatszahl von bislang 81 auf nun nunmehr 43 gelang, allerdings nicht mittels Stimmenrückgängen, sondern mittels Isolierung der SPD beim zweiten Wahlgang (»Stichwahl«) am 5. Februar 1907 in den Wahlkreisen, in denen beim ersten Wahlgang kein Kandidat mindestens die Hälfte der Stimmen erreicht hatte. Aber bis zum Ende war es nurmehr eine kurze Frist.
Der Kaiser, der sich durch waghalsige Aussagen im Interview mit der britischen Zeitung Daily Telegraph 1908 entblößt hatte, sah sich durch seinen Kanzler nicht gedeckt, sondern förmlich verraten. Bülow, dessen Regierungsapparat die redaktionelle Verantwortung trug, ließ den Kaiser im Regen stehen. Am 24. Juni 1909 zerbrach dann der Bülow-Block bei der innenpolitisch entscheidenden Abstimmung über eine große Finanzreform.15 Die insbesondere zur Finanzierung der stetig wachsenden Militärausgaben, zumal für die Flotte, dringend erforderliche Reichsfinanzreform war vor allem daran gescheitert, dass die (preußischen) Konservativen Besitzsteuern auf Reichsebene nach wie vor ablehnten.
Wer Kanzlerschaften bis 1918 mit Kanzlerschaften seit 1949 vergleicht, wird vermutlich an erster Stelle an die zentralen konstitutiven Unterschiede denken, einmal an ein Amtieren in monarchischen Zeiten und zugleich ohne Sorge, vom Parlament gestürzt werden zu können, zwar in Bündnis wie in Absprache mit Parteien, aber ohne an deren Spitze zu stehen, und zum anderen ein Regieren im parlamentarischen System, in einer Parteien- und Mediendemokratie, dazu unter den Bedingungen einer stetig fortentwickelten europäischen Integration. Sie lassen das Bild souveräner Großmachtpolitik wie aus einer sehr fernen Vergangenheit anmuten. Ein weiterer Faktor aber wird bei all diesen zutreffenden Überlegungen gern übersehen, nämlich die politische Doppelexistenz Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident (zudem noch preußischer Außenminister). Man stelle sich dazu nur einmal vergleichend vor, die gegenwärtige Bundeskanzlerin führe zugleich die Regierung im Lande Nordrhein-Westfalen, das im Bundesstaat eine im Vergleich zu seiner tatsächlichen sehr viel gewichtigere Rolle spielt. Bismarck begann als preußischer Ministerpräsident auf der Grundlage der Verfassung des Landes von 1850, nachdem er auf dem Höhepunkt des Konfliktes zwischen Landtag und Monarch um die Heeresreform bei seiner berühmten Begegnung mit König Wilhelm I. im Schlosspark von Babelsberg am 22. September 1862 seine künftige Stellung so definiert hatte: »Ich fühle wie ein kurbrandenburgischer Vasall, der seinen Lehnsherren in Gefahr sieht. Was ich vermag, steht Euer Majestät zur Verfügung.«16 Die Personalunion beider Ämter seit 1867 (Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes) beziehungsweise 1871 (Reichskanzler) war im Kaiserreich dann die Regel, nur zweimal wurde von ihr abgewichen: Von Januar bis November 1873 gab Bismarck das Amt des preußischen Regierungschefs an den ihm befreundeten Kriegsminister Albrecht von Roon ab – und er hat in der Folge immer wieder diese Konstruktion als wenig glücklich bezeichnet. Sein Nachfolger Leo von Caprivi musste schließlich in den letzten beiden Jahren seiner Kanzlerschaft, von 1892 bis 1894, in Preußen den hochkonservativen Grafen Botho zu Eulenburg als Ministerpräsident amtieren lassen, ein politisch antagonistisches Verhältnis, das nicht lange gut gehen konnte. Die preußische Verfassung von 1850 kannte an sich gar keinen Ministerpräsidenten, er war de facto nur ein »primus inter pares innerhalb des kollegial verfassten Kabinetts«.17 Eine förmliche Richtlinienkompetenz gab es nicht, vielmehr eher eine politisch bedingte. Und erst durch die be rühmte Kabinettsordre vom 8. September 1852 wurde sichergestellt, dass die Ministerpräsidenten die Politik der Ressortinhaber wirksam zu koordinieren vermochten und an der Kommunikation zwischen einzelnen Ministern und Monarchen beteiligt werden mussten. Bismarck war gleichwohl von Anfang an Chef im preußischen Staatsministerium beziehungsweise in der preußischen Regierung. Das hatte drei Gründe:
Er war der letzte Joker, den Militärs und Konservative im Verfassungskonflikt zwischen Monarch und Landtag über die preußische Heeresreform im Ärmel hatten, und er wusste das natürlich. Ansonsten gab es nur die Alternativen Nachgeben, Abdankung des Königs und Übergang zu einem parlamentarischen Regieren oder offener Staatsstreich – und beides war unbedingt zu vermeiden. Zweitens war Bismarck, der ja als Verwaltungsbeamter im unmittelbaren Sinne gescheitert war – als Referendar hatte er vor dem zweiten Staatsexamen und angesichts der Mühsal des üblichen Staatsbetriebes kapituliert –, zugleich ein homo politicus par excellence. Und drittens war er Spezialist in allen Fragen der Außenpolitik, bezogen auf Preußens Rolle im Deutschen Bund wie in den europäischen Großmächtebeziehungen. Dazu hatte er eine elfjährige Lehrzeit verbracht, von 1851 bis 1859 als preußischer Gesandter am Bundestag in Frankfurt am Main, dann bis 1862 als Botschafter in Sankt Petersburg und zuletzt noch für kurze Zeit in diesem Jahr als Botschafter in Paris. Kein Zweifel: Von Anfang an stand mit ihm die Person im Zentrum, nicht der Amtsträger.
3. Sozialisation
Bismarck trat mit 32 Lebensjahren als Parteigänger, aber nicht als Parteisoldat der legitimistischen preußischen Konservativen in die Politik ein, am Vorabend der Revolution von 1848 / 49. Von Anfang an liebte er es zu provozieren, unkonventionell zu sein, Grenzen zu überschreiten und war dabei stets bereit, über alle Grenzen hinweg zu kommunizieren. Der geistreiche Gegenspieler war ihm zumeist lieber als der konforme Parteigänger – Letzteren pflegte er zu instrumentalisieren, aber schwerlich zu respektieren. Blickt man auf den jungen Abgeordneten und konservativen preußischen Troubleshooter, so findet man eine Figur, die förmlich aus Lust provozierte. Gegen die nationale Mehrheitswoge setzte er das preußische Staatsinteresse. Im preußischen Landtag provozierte er am 21. April 1849 gegen die Annahme der von der Frankfurter Nationalversammlung verabschiedeten Reichsverfassung: »Preußen soll zum Staatenhause 40 Abgeordnete nach Frankfurt schicken, also 1 auf 400 000. Die Bayern sind schon mehr wert, da kommt auf 200 000 einer; Weimar auf 120 000 […] und Liechtenstein, was soviel Einwohner hat als Schöneberg – hier vor dem Halleschen Tor – würde im Staatenhause denselben Einfluss ausüben als die Mehrzahl der preußischen Regierungsbezirke mit 400 000 und mehr Einwohnern.«18 Preußen, so damals der Kern von Bismarcks Überzeugungen, durfte eben nicht in Deutschland aufgehen, es durfte keinesfalls für deutsche nationale Zwecke in Großmachtkonflikte hineingezogen werden, und es musste um jeden Preis als Staat mit monarchischer Prärogative erhalten bleiben. Vier Jahre später, im September 1853, schrieb er an Prinz Wilhelm, den späteren König und Kaiser: »Preußen ist keineswegs durch Liberalismus und Freigeisterei groß geworden, sondern durch eine Reihe von kräftigen, entschlossenen und weisen Regenten, welche die militärischen und finanziellen Kräfte des Staates sorgfältig pflegten und schonten, sie aber auch in eigner, selbstherrschender Hand zusammenhielten, um sie mit rücksichtslosem Muthe in die Waagschale der europäischen Politik zu werfen, sobald sich ein günstiger Moment dazu darbot. Dieses System müssen wir auch noch ferner beibehalten, wenn die Monarchie zu einem haltbaren Abschluß gelangen soll. Der