Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch. Cara Schweitzer

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Название Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch
Автор произведения Cara Schweitzer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711449479



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Konkurrenzen unter den Männern. Hausmann ist nicht unbeteiligt. Er provoziert durch sein extrovertiertes Verhalten. Aber das ist nur eine aufgesetzte Fassade.18 In seinen Briefen an Höch spricht er offen über Unsicherheiten. Hausmanns Selbstbewusstsein leidet unter den ständigen Sticheleien und Neckereien der anderen Künstler: »Bei Meidner ist der Maler Felix Müller aus Dresden zu Besuch, er will eine neue Gruppe gründen und ich sollte ihn kennen lernen, deshalb war ich also Dienstag Abend zu Meidner gegangen. Das ganze Männchen ist 18 Jahre alt, aber sicher begabt, und recht nett. [...] In der Nacht kam dann noch ein unerwarteter Besuch: Herr Wieland Herzfeld, mein – Herr Gegner. Ich tat harmlos. Er benahm sich aber ganz unerhört. Z.B. als wir alle (Meidner, ich, Müller, Zierath) anfingen zu zeichnen, sagte er: ›Ach, Sie sind Maler, ich dacht Sie sind ein Schwein?‹ zu mir, und so ging’s den ganzen Abend. Ich tat als sähe und hörte ich nicht. Als er wieder fort war, gab Müller zu verstehen, dass ihm vor Erstaunen der Mund offen stehen bliebe. Nachher kam dann noch heraus, dass Friedlaender unpassende und unverschämte Witze über mich einen Abend vorher gemacht hatte. Mein Entschluss war also gefasst, ehe ich Deinen Brief erhielt. Ich habe Friedlaender brieflich ein’s verabreicht, und Meidner ließ ich durch Zierath, der sich als recht nett erweist, bedeuten, ich käme ihn nicht mehr besuchen, ich könnte durchaus nicht dulden, für seine Bekannten, die mir schnurz sind, als Witzobjekt zu dienen.«19

      Hausmann weiß noch nicht, ob er sich als Literat oder Maler definieren soll. Und auch hinsichtlich seines künstlerischen Stils ist er unsicher. Sein Vorbild ist van Gogh.20 Und er behauptet dem befreundeten Maler Oskar Moll gegenüber, seinen »persönlichen Kubismus« gefunden zu haben. Moll rät ihm davon ab: Kubistisch malen jetzt so viele.21

      In der Berliner Kunstwelt ist es schwer, sich endgültig aus dem Weg zu gehen, und so wird auch Hausmanns Gegner Wieland Herzfelde in den kommenden Jahren trotz aller persönlicher Ressentiments auf der gleichen Seite wie Raoul Hausmann kämpfen.

      Hausmann fühlt sich der expressionistischen Kunst zugeneigt, die in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg die Avantgarde repräsentierte. Zentrale Anlaufstelle für alle Expressionisten ist Herwarth Waldens Sturm-Galerie am Potsdamer Platz. Begeistert besucht Hausmann hier eine Ausstellung mit Werken unter anderem von Marc Chagall, Oskar Kokoschka und Henri Rousseau, die ihn zum eigenen Arbeiten motiviert.22 Auf den Galeristen ist er allerdings nicht gut zu sprechen. Aber er befreundet sich mit der Dichterin und Mitarbeiterin in der Sturm-Galerie, Sophie van Leer, an: »Mag Walden sein wer er will, so dumm als er will – er hat die großen Künstler und man kann nur bei ihm ausstellen«, teilt er Hannah Höch mit.23 Die Abneigung scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Else Lasker-Schüler, die zu dieser Zeit bereits von Herwarth Walden geschieden ist, sagt später über Hausmann: »Kleines Gift, muß auch sein.«24 Ende des Jahres 1915 erhält er, wahrscheinlich über Sophie van Leer vermittelt, die Gelegenheit, Walden seine Arbeiten zu zeigen. Doch in einem Brief an den Galeristen schränkt er ein, dass er nur eine geringe Auswahl an Bildern präsentieren könne, da er lediglich fünf Bilderrahmen besäße.25 Das klingt nicht sehr selbstbewusst und eher nach selbst verpatzter Chance. Er plant, Walden die Bilder in die Galerie zu bringen, wo er dem vielbeschäftigten Galeristen einen Tag Zeit gibt, um sie anzuschauen. Fordernd teilt ihm Hausmann mit: »Ich werde die Bilder morgen Nachmittag wieder abholen und gleichzeitig Ihren Bescheid darüber, ob Sie 12–15 Bilder von mir im Januar 1916 (oder zu einer andern Zeit) ausstellen würden.«26

      Hausmanns finanzielle Lage ist angespannt. Seinen Lebensunterhalt und den der Tochter verdient die Ehefrau durch das Erteilen von Geigenunterricht. Wenn sie ihn nicht gerade mit Birnen und Äpfeln aus dem elterlichen Garten in Gotha versorgt, leiht auch Hannah Höch ihm gelegentlich Geld. Sporadisch verkauft er Illustrationen. Seinem Stolz tut der Zustand keinen Abbruch. Zu einer Ausstellungsbeteiligung bei Walden, die für Hausmann hätte lukrativ und karrierefördernd sein können, kommt es nicht. Was nicht nur an dem Galeristen liegt, sondern vor allem an Hausmann. Er weigert sich, im Rahmen einer Gruppenausstellung mit »diesen Jünglingen Hans Richter und Georg Schrimpf« sowie dem späteren Bauhausmeister Johannes Itten und Hannah Höchs Schulfreundin, der Malerin Maria Uhden, auszustellen.27

      Ende September 1915 kehrt die Künstlerin nach Berlin zurück. An ihre Schwester Margarete schreibt sie: »Wir sind nun fest entschlossen durch und zusammen zu halten und sind dadurch nach soviel Zweifel, Kummer und Quälereien ruhiger geworden. Es gibt nur noch ein Vorwärts nun.«28 Zumindest bis zum Ende des Jahres 1915 hält die hoffnungsvolle Stimmung zwischen Hannah Höch und Raoul Hausmann an. Ihre Geschwister werden Hannah Höch bei zukünftigen Konflikten mit ihm immer wieder Unterstützung bieten.

      Über Raoul Hausmann lernt Hannah Höch Salomon Friedlaender und Johannes Baader, den einstigen Grabmalsarchitekten aus Stuttgart, kennen. Die drei Männer planen eine neue Zeitung, »Die Erde«.29 Friedlaender verfasst einen umfangreichen Artikel über Wahrnehmungstheorie. Auf dem geplanten Titelblatt formulieren die Beteiligten die utopische Zielrichtung des Journals, als »Vorschau auf das verheissene und vorbereitete Gedicht der Neuen Erde«. Die Zeitschrift wird nie erscheinen. Das im Anfangsstadium stecken gebliebene Projekt ist der Auftakt für weitere gemeinsame Aktivitäten.30

      Hannah Höch ist bestrebt, finanziell soweit es möglich ist, von ihren Eltern unabhängig zu werden. Beim Ullstein Verlag, einem der größten Zeitungshäuser in Deutschland, der seine Produktionsabläufe nach amerikanischem Vorbild optimiert hat, nimmt sie Anfang 1916 für drei Tage in der Woche eine Stelle als Illustratorin für Handarbeitshefte an. Medien aus dem Ullstein Verlag repräsentierten den Geschmack weiter Bevölkerungsschichten und waren entsprechend populär aufgezogen. »In der ›Praktischen‹ erscheinen jetzt öfter mal liebliche Richelieu-Kleider etc. von mir und in der ›Dame‹ bemalte Kästen und so. Ich habe auch noch einen Nachmittagsnebenverdienst, indem ich durch Orlik, bei einer Frau von Kardorff, seidene Stoffe für Lampenschirmzwecke und so mit Blumen, Schmetterlingen etc. bemale«, schreibt Hannah Höch über ihre neue Tätigkeit an ihre Schwester Grete.31 Für den Ullstein Verlag wird die Künstlerin zehn Jahre tätig sein, bis sie 1926 zu Til Brugman nach Holland zieht. Die Arbeit im Verlag ermöglicht ihr ein regelmäßiges Einkommen. Mit einigen ihrer Kolleginnen bei Ullstein wird Hannah Höch ein lange Freundschaft verbinden. Sie entwirft nicht nur für den Ullstein Verlag, sondern auch Schnittmuster für die Fachzeitschrift »Stickerei- und Spitzen-Rundschau«, die von der Verlagsanstalt Alexander Koch in Darmstadt herausgegeben wird.32 Bereits ihre ersten dekorativen Entwürfe stehen in Zusammenhang mit künstlerischen Arbeiten. Sie demonstrieren ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischen expressiven und abstrakten Strömungen in der bildenden Kunst. Im September 1918 wird die Verbindung noch ersichtlicher, wenn Hannah Höch Forderungen nach Erneuerung in der bildenden Kunst in ihre theoretischen Texte über neue Formen handarbeitlichen Arbeitens überträgt. In einem Artikel in der »Stickerei- und Spitzen-Rundschau« appelliert sie an die Kunstgewerblerinnen: »[...] modernste Frauen, ihr, die ihr geistig zu arbeiten glaubt, [...] wenigstens i-h-r müsst wissen, dass ihr mit euren Stickereien eure Zeit dokumentiert.«33 Auch Höchs spätere Fotomontagen demonstrieren ihre Auseinandersetzung mit ornamentalen Strukturen in Stoff- und Strickmustern. Sie wird mehrfach Fragmente von Schnittmustern oder Motive von geklöppelten Spitzen in ihren Fotomontagen verarbeiten. Das Verhältnis von Linie und Fläche und die Auseinandersetzung mit Farbwirkungen bestimmen Höchs analytisches Herangehen an die Wirkung ornamentaler Oberflächen. In seinem 1911 erschienenen Buch »Über das Geistige in der Kunst« beschrieb Wassily Kandinsky die Entstehung abstrakter Malerei, indem er die gesetzlichen Beziehungen zwischen linearen und flächigen Strukturen, die Tiefenwirkung und die symbolischen Bedeutungen von Farben und Formen darstellte. Seine im »Geistigen in der Kunst« formulierten theoretischen Überlegungen fließen auch in das 1913 im Piper Verlag erschienene Künstlerbuch »Klänge« ein, das Hannah Höch von Raoul Hausmann im Juli 1918 geschenkt bekam.34 Für das Buch entwarf Kandinsky über einen längeren Zeitraum hinweg Farb-Holzschnitte, schwarz-weiße Vignetten, und verfasste zahlreiche Gedichte, in denen er seine Ideen zur synästhetischen Wahrnehmung verarbeitet. Wortklang, Illustrationen und die poetischen Sprachbilder sind vielfach assoziativ aufeinander bezogen und erzeugen im Raum des Buches ein dicht ineinander verwobenes Netz von Bedeutungsebenen, die Kandinsky als Klänge beschreibt. Nicht nur das Künstlerbuch ist ein Beleg