Название | Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch |
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Автор произведения | Cara Schweitzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449479 |
Bei den Figuren handelt es sich ihren Gesichtern nach um Männer, doch auf den zweiten Blick erweisen sie sich, wie so oft in Höchs Arbeiten, als androgyne Mischwesen. Die rechte Figur etwa trägt elegante Damenschuhe und einen modischen Mantel. Sie grinst den Betrachter augenzwinkernd und mit rotlockigem Bart aus einem breiten Mund an. Die Gestalten wirken mit ihren viel zu großen oder zu kleinen Augen, Mündern und Ohren und ihren gegelten Haaren, Glatzen und schiefstehenden Zähnen reichlich verschroben. Höch betont durch die verzerrten Proportionen vor allem die Sehorgane, einer besitzt insektenhafte Glupschaugen und der andere hat ein trübes, offenbar erblindetes Auge.
Die Künstlerin hat im oberen Bildteil einen kleinen Zettel gemalt, ein Trompe-l’œil, dessen Inschrift die Dargestellten als »Journalisten« ausweist. Sie täuscht hier vor, das Papier sei mit einer Stecknadel auf der Anzeigentafel befestigt. Wie auch in dem fast zeitgleich entstandenen Gemälde »Roma« spielt die Künstlerin mit den Effekten einer Collage. Einige der »Journalisten« hinterlegt sie mit einer abgegrenzten monochromen Fläche und erzeugt den Eindruck, ihre gemalten Figuren seien aus anderen Papiervorlagen ausgeschnitten. Wie in einer echten Fotomontage überschneiden sich an einigen Stellen die Flächen, die vorgeben, Bildträger der Figuren zu sein.
In der übermäßigen Betonung der Sinnesorgane weist Hannah Höch auf wesentliche Arbeitsinstrumente der karikierten Berufsgruppe hin. Oft haben die Dadaisten Journalisten und in besonderem Maß Kunstkritiker karikiert. Ein Beispiel liefert etwa Raoul Hausmanns Fotomontage »Der Kunstkritiker« von 1919, die sich in der Sammlung der Tate Gallery befindet,294 sowie das ein Jahr nach Hannah Höchs »Journalisten« entstandene Gemälde »Die Stützen der Gesellschaft« (1926) von George Grosz, das einen Journalisten mit umgedrehtem Nachttopf auf dem Kopf darstellt.
Höchs Gemälde, das vorgibt, eine Collage zu sein, demonstriert mit seinen scharf umrissenen Figuren und der detailgetreuen Wiedergabe von Stofflichkeit, wie etwa in der gelben Decke, die sich einer der Journalisten umlegt, ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Strömungen in der Malerei. Nahezu zeitgleich präsentiert der Kunsthistoriker Gustav Hartlaub in der Mannheimer Kunsthalle eine Ausstellung unter dem Titel »Neue Sachlichkeit«, in der er die sich auf sehr unterschiedliche Weise wieder der »Realität« zuwendende zeitgenössische Position vorstellte.
In der NS-Zeit werden Hannah Höchs »Journalisten« Wolfgang Willrich, einem der maßgeblich am Zustandekommen der Propagandakunstausstellung »Entartete Kunst« beteiligten NS-Kunstberichterstatter, dazu dienen, die Künstlerin als »Kulturbolschewistin« an den Pranger zu stellen.
Die Bedeutung der beiden Gemälde »Roma« und »Journalisten« für die Kunstgeschichte erkannte Mies van der Rohe, der die Leitung der Architekten-Sektion der Novembergruppe innehatte. Indem Hannah Höch in den Bildern das Prinzip der Montage- und Collagetechnik in die anerkannte künstlerische Gattung der Malerei überträgt, wertet sie mit ironischem Augenzwinkern die bis dahin nicht als eigenständig geltende Gattung der Fotomontage und Collage auf.
Mies van der Rohe schlug der städtischen Ankaufskommission vor, die beiden Gemälde aus dem dafür von Berlin vorgesehenen Etat zu erwerben. Doch der in Kultur- und Bildungspolitik einflussreiche Berliner Maler Hans Baluschek, selbst Mitglied der SPD, riet vom Ankauf ab.295
László Moholy-Nagy
Neben Schwitters, Theo und Nelly van Doesburg sowie Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp vertieft Hannah Höch Anfang der zwanziger Jahre ihre Freundschaft zu dem aus Ungarn stammenden Künstler László Moholy-Nagy und dessen Ehefrau, der Fotografin und Kunsthistorikerin Lucia Schulz. Ursprünglich hatte Moholy-Nagy in Budapest Rechtswissenschaften studiert, bevor er begann, sich intensiv mit Malerei auseinanderzusetzen. Zunächst lebte er eine Zeit lang in Wien und kam dann nach Berlin. Heinz Ohff gegenüber äußerte sich Höch in den späten sechziger Jahren über ihre Freundschaft mit Moholy-Nagy: »Über Kunst sprachen wir immer sehr ernsthaft. Er war ja Konstruktivist, was ich gar nicht sein wollte. Aber zum Beispiel im Verfolgen und Beurteilen des sich in neuen Formen entwickelnden Films ergänzten sich unsere Meinungen immer. Auch, dass die ästhetischen Gesetze nie außer Acht gelassen werden sollten, spielte eine Rolle in unseren Anschauungen.«296 Wie sie selbst war auch Moholy-Nagy ein Cineast. Ihrer gemeinsamen Liebe zum Medium Film huldigen beide durch regelmäßige Kinobesuche: »Dokumentarfilme, die ersten, ließen uns den Atem anhalten, wenn sich da etwa Kristalle, das Wachsen der Pflanzen etc. enthüllten. Zeitraffer und Zeitlupe brachten die neuen Aspekte. Aber wir sahen auch Nurmi rennen. Ich sah mit Moho mein erstes und letztes Fußballspiel. Wir entzückten uns an den Künstlern der Wiener Reitschule und sahen den ersten Jazz aus Amerika«,297 erinnerte sich Hannah Höch.
1923 erhält Moholy-Nagy einen Ruf an das Bauhaus in Weimar, wo er die Metallwerkstatt und die Vorklasse von Johannes Itten übernimmt. Am Bauhaus publiziert er gemeinsam mit dem Leiter der Schule, Walter Gropius, die sogenannten Bauhausbücher. Eines der wohl wichtigsten Bücher, das achte aus der Reihe »Malerei, Photographie, Film« gibt er allein heraus.298 In dem Buch setzt Moholy-Nagy seine zentralen Forderungen nach einem am Menschen orientierten Umgang mit den neuen technischen Mitteln der Fotografie und anderen technischen Aufzeichnungsverfahren im Buch um.299 Die Anwendung filmischer Prinzipien im Medium Buch gelingt ihm durch eine außergewöhnliche typographische Gestaltung und die ungewöhnliche Platzierung der Abbildungen im Buch. Von dieser für die Buchgestaltung eher untypischen Verteilung der Bild- und Schriftelemente auf den Seiten ist auch die Reproduktion einer von Hannah Höchs Arbeiten betroffen. Höch hatte ihre Fotomontage »Hochfinanz« dem befreundeten Künstler geschenkt, die Moholy-Nagy in der rechten unteren Ecke auf einer der Seiten in seinem Bauhausbuch herausbringt.300 Er gestattet sich im Sinne des Gesamtkonzepts, die Bildvorlage von Höchs Arbeit leicht anzuschneiden und sie mit dem etwas schlagkräftigeren Titel »Der Milliardär« zu benennen. Hierüber informierte er Hannah Höch erst nach dem Erscheinen des Buches Anfang 1926. Doch die Künstlerin scheint die Platzierung als Teil des Konzepts akzeptiert zu haben.
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