Название | Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch |
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Автор произведения | Cara Schweitzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449479 |
Anders als ihre erste Ausbildungsstätte genießt die staatliche Unterrichtsanstalt einen progressiven Ruf. Die Schule bietet ihren Studenten künstlerischen Freiraum.27 Der Unterricht bei Orlik, der während eines Aufenthaltes in Japan vom asiatischen Farbholzschnitt beeinflusst wurde und diese Technik mit nach Europa brachte, bot ihr auf künstlerischem Niveau höchste Anforderungen. Schon bald nach ihrem Eintritt in seine Klasse stellte Orlik sie als Assistentin ein. Hannah Höch schnitt nach seinen Vorgaben Holzstöcke. Ihre Schule lag zwischen Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof in der Prinz-Albrecht-Straße 7. Das Architektenteam Martin Gropius und Heiko Schmieden errichtete Ende der 1870er Jahre das monumentale kubische Gebäude. Das Besondere an dieser Einrichtung war die enge Nachbarschaft zwischen der Sammlung des Berliner Kunstgewerbemuseums, die zu den königlichen Museen zählte, und der Schule. Museum und Unterrichtsanstalt waren unter einem Dach untergebracht, wobei die Ausbildungseinrichtung im Nordflügel des Hauses lag. Die Studierenden lernten auf diese Weise problemlos hochwertige historische Zeugnisse handwerklich oder industriell hergestellter Produkte und Gebrauchsgegenstände kennen. Auch heute wird das Gebäude wieder für Ausstellungen genutzt. Es ist nach einem seiner Architekten Martin-Gro-pius-Bau benannt. Lehrer und Studenten der Schule standen in engem Austausch mit Kreisen der künstlerischen Avantgarde im Berlin der 1910er Jahre. Über Hannah Höchs Jugendfreundin und Studienkollegin Maria Uhden, die ebenfalls aus Gotha stammte und die bereits ein Jahr vor Höch in Berlin an der Kunstgewerbeschule zu studieren begonnen hatte, nahm sie erste Kontakte zum expressionistischen Künstlerkreis »Der Sturm« auf. Gründer und Namensvater der Vereinigung war der mit all seinen physischen und finanziellen Kräften für die Kunst kämpfende Schriftsteller, Musiker, Galerist und Verleger Herwarth Waiden. Ebenfalls Schüler in Orliks Klasse war George Grosz, mit dem Hannah Höch später, nach dem Ersten Weltkrieg, gemeinsam auf der »Ersten Internationalen DADA-Messe« in der Kunsthandlung Dr. Otto Burchard ausstellen wird. Allerdings hatte sie während ihres Studiums nur wenig Kontakt zu Grosz.
Hannah Höch hat ihre kunstgewerbliche Ausbildung auch später, als sie sich als freischaffende Künstlerin definiert, nie verleugnet. Vielmehr wird sie ihr technisches und handwerkliches Wissen in ihren Arbeitprozess integrieren. Und wie viele Künstlerkolleginnen ihrer Zeit interessiert sie sich weiterhin für ornamentale Strukturen von Stoffen und Stickereien. Mehrfach wird sie sich zum Ziel setzen, neue Tendenzen in der Kunst in den Bereich der Formgestaltung zu übertragen.
Im April 1915 lernt sie in der Bibliothek des Kunstgewerbemuseums, die den Studierenden auch in den vorgeschrittenen Abendstunden offenstand, ihre erste große Liebe kennen, Raoul Hausmann. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter. Mit Hausmann wird sie eine siebenjährige Liebesbeziehung verbinden, die von tiefer Nähe, aber auch zermürbenden Auseinandersetzungen und vielen Zerwürfnissen geprägt ist. Über eigene freundschaftliche Beziehungen und vor allem durch Hausmanns Bekanntenkreis lernte Hannah Höch all jene Künstler kennen, die sich zum Ende des Ersten Weltkrieges in der Berliner DADA-Bewegung formierten.
2. Kapitel
»Damen ohne Herrengesellschaft ist das Rauchen hier nicht gestattet«
Raoul Hausmann. Dada-Berlin.
Künstlerfreundschaften
(1915–1926)
Das Foto zeigt einen jungen Mann in typischem Porträtformat (Abb. 2). Er trägt einen eleganten dunklen Anzug, einen dunklen Schlips und ein steifes weißes Oberhemd. Sein leicht vorgeschobener Unterkiefer und die vollen Lippen verleihen ihm einen energischen, fast brutalen Gesichtsausdruck, der durch den ernsten Blick verstärkt wird. Breite Schultern betonen seine Männlichkeit. Hausmann schaut nicht direkt in die Kamera, er fokussiert etwas, das sich links neben ihr befindet. Der Mann hat eine Vision, vermittelt unmissverständlich sein Blick aus dem Bild. Im Glas seines Monokels bricht sich das Licht. Die Sehhilfe erzeugt einen Lupeneffekt, der das dahinterliegende Auge vergrößert und verzerrt.
In dem Foto aus dem Jahr 1915 sind bereits alle stilbildenden Attribute angelegt, auf die Raoul Hausmann zukünftig bei seiner Selbstinszenierung als Künstler Wert legt. Dazu zählt die kämpferische Haltung, gepaart mit Eleganz. Auf das Monokel wird Hausmann kaum noch verzichten. Das konservative Image des Einglases steht im Kontrast zu seinem sonstigen Erscheinungsbild. Der Widerspruch verwandelt das Monokel in ein modisches Accessoire, das seinem Träger die nötige Lässigkeit verleiht. Doch das Monokel ist nicht nur Dekor. Hausmann leidet seit seiner Kindheit an Kurzsichtigkeit und ist auf seinem linken Auge fast blind.1 »Ich muß erwähnen, daß Monokeltragen zu der Zeit zwar etwas provozierend wirkte, es aber doch weit mehr benutzt wurde als heute; Hausmann kam wahrscheinlich schon mit Monokel auf die Welt. Denn schon als ich ihn kennenlernte, also längst vor DADA, wäre er sich ohne ... wie ohne Kleidung vorgekommen. Er hatte seine Augen, die schon immer einer Stütze bedurften, so an das Einglas gewöhnt, dass es saß wie eingewachsen. Er hat es auch nie an einer Schnur getragen. Und wenn er den ganzen Kurfürstendamm hinunter hätte Purzelbäume schlagen müssen, er hätte das Glas nicht einen Augenblick abgenommen oder gar verloren. Psychologisch gesehen gehörte es auch zu ihm, er musste es tragen aus der prinzipiellen Verneinung des Üblichen«, kommentierte Hannah Höch die Extravaganz ihres Partners im Rückblick.2 Modebewusstsein zählt zu seinen Charaktereigenschaften.
Hannah Höch notierte auf dem Foto, das sich heute in ihrem Nachlass in der Berlinischen Galerie befindet, »Raoul Hausmann 1915. Als ich ihn kennenlernte.«3
Am 12. Juli 1886 wurde Raoul Hausmann in Wien in eine wohlhabende Künstlerfamilie geboren. Der Vater, Victor Hausmann, stammte aus Ungarn, aus einer betuchten Großkaufmannsfamilie. Zunächst zog er für ein Studium an der Kunstgewerbeschule und dann an der Wiener Akademie in die Hauptstadt der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Hier erarbeitete der Vater sich einen Ruf als Porträt- und Historienmaler. Dennoch zieht die Familie 1900 nach Berlin, in die südwestlichen Vorortbezirke nahe der Havel. Dort entsteht eine neue, großzügig angelegte bürgerliche Wohngegend im Grünen mit großen freistehenden Häusern, umgeben von Gartenanlagen. Berlin bedeutet für Hausmanns Vater einen Karrieresprung. Wilhelm II. berief ihn als Hofmaler in die kaiserliche Reichshauptstadt. Zudem verlangte die weiterhin von konservativen Kreisen dominierte Berliner Kunstszene anders als das im Aufbruch befindliche Wien von dem etablierten Maler nicht allzu große Anpassungen an neue Kunstauffassungen.4
Der junge Raoul Hausmann wächst, zumindest was seine pekuniäre Situation anbelangt, in ähnlich behüteten Verhältnissen auf wie Hannah Höch. Über seine Kindheit ist wenig bekannt. Wahrscheinlich ist, dass der Vierzehnjährige in Berlin nicht mehr eine Schule besucht, sondern sich autodidaktisch weiterbildet. Ursache für die Entscheidung der Eltern, ihren Sohn nicht noch einmal in eine schulische Einrichtung zu geben, mögen seine Schwierigkeiten mit Autoritäten gewesen sein: »In dem Wiener Realgymniasium habe ich wirklich nichts als Unfug gemacht, und als ich dann nach Berlin kam, war mein Vater so davon überzeugt, dass ich in keiner Schule zu halten sei, dass er mich der Malerei und dem Radfahren überließ«, kommentiert Hausmann.5
Als er Hannah Höch 1915 kennenlernt, war das Verhältnis zu seinen Eltern und seiner Schwester Mira, die er 1916 zum letzten Mal sieht, distanziert.6 Seine Eltern nehmen sich 1920 gemeinsam das Leben. Über die Ursachen für die Tat erfährt man aus der Korrespondenz zwischen Raoul Hausmann und der Künstlerin nichts. Die Inflation und der Verlust von Ansehen nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie und dem Ende des Kaiserreiches hatten das Selbstverständnis des akademischen Hofmalers zerstört.7
Sowohl Raoul Hausmann als auch Hannah Höch haben die Stimmung ihrer ersten Begegnungen in Gedichten füreinander eingefangen. Im April schreibt Hannah Höch ihr Poem »Erstes Rendez-vous«:
»Stille, mit dem Tau in Verbund.
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