Название | Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch |
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Автор произведения | Cara Schweitzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449479 |
»Dada ist das bedeutende Nichts, an dem Nichts etwas bedeutet«
Auch für Richard Huelsenbeck wird die Gruppe um die Zeitschrift »Neue Jugend« eine erste Anlaufstelle in Berlin. Anfang des Jahres 1917 war er aus Zürich nach Berlin zurückgekehrt. Huelsenbeck hatte 1914 in Berlin angefangen, Medizin zu studieren. Um seiner Einberufung zum Kriegsdienst zu entgehen, flüchtet er in die Schweiz. Gemeinsam mit den Exilanten Hugo Ball, Hans Arp, Tristan Tzara sowie Emmy Hennings und Marcel Janco hatte er Anfang 1916 im Hinterzimmer einer Weinstube in der Züricher Spiegelgasse das »Cabaret Voltaire« ins Leben gerufen, die Geburtsstätte von DADA.90 Mit wechselndem Programm wurden Lieder, Texte und Tänze vorgetragen. Schnell erweiterte sich der Kreis der Beteiligten und wurde zu einem internationalen Treffpunkt von Künstlern, die verschiedene Positionen vertraten. Futuristen, Kubisten und Expressionisten verband im Cabaret Voltaire ihr Streben nach einer radikalen Erneuerung in der Kunst und ihr Auflehnen gegen den sinnlos gewordenen Krieg in Europa. Die Vortragspraktiken brachen mit sämtlichen bis dahin herrschenden Regeln. Das Publikum wurde von den Mitgliedern des Cabaret Voltaire, die sich mit Kostümen aus ungewöhnlichen Materialien verkleideten, in dadaistischen Lautgedichten verspottet und beschimpft oder gar unter Gewaltandrohung »bruitistisch« angegriffen. Bruitismus war eine futuristische Musikrichtung, die sich außermusikalischer Geräusche und visueller Effekte bediente. Während eines Vortrags im Cabaret Voltaire, den Huelsenbeck im Frühjahr 1916 dem Publikum entgegenschmetterte, erklärte er: »Ich hoffe, dass Ihnen kein körperliches Unheil widerfahren wird, aber was wir Ihnen jetzt zu sagen haben, wird Sie wie eine Kugel treffen. Wir haben beschlossen, unsere mannigfaltigen Aktivitäten unter dem Namen DADA zusammenzufassen. Wir fanden DADA, wir sind DADA, und wir haben DADA. DADA wurde in einem Lexikon gefunden, es bedeutet nichts. Dies ist das bedeutende Nichts, an dem nichts etwas bedeutet. Wir wollen die Welt mit Nichts ändern, wir wollen die Dichtung und die Malerei mit Nichts ändern und wir wollen den Krieg mit Nichts zu Ende bringen.«91
Huelsenbeck füttert die Berliner Künstlerszene, die sich um die Zeitschriften »Die Neue Jugend« und »Die freie Straße« zusammengefunden hatte, mit Materialien aus der Züricher Dada-Gruppe und liefert damit den Zündstoff für die Entstehung des Berliner Dada-Clubs.92 Doch es bedurfte noch einiger Monate, ehe auch die Öffentlichkeit von der Entstehung des Berliner Dada-Kreises Kenntnis nahm.
Im Verlauf des Jahres 1917 bekommt Raoul Hausmann die scharfen Maßnahmen der Zensurbehörden zu spüren. Seine politische Beteiligung bleibt nicht mehr nur theoretisch. Er hat Kontakte zu den Arbeiterführern Ernst Neumann und Titus Tautz, die an der Verbreitung der privaten Aufzeichnungen des ehemaligen deutschen Botschafters in London, Karl-Max Lichnowsky, beteiligt waren. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte Lichnowsky in seiner Rolle als Diplomat versucht, den deutschen Kaiser vor einer einseitigen Bündnispolitik mit Österreich-Ungarn zu warnen.93 Auch in den letzten Tagen vor der Kriegserklärung durch Deutschland setzte er sich beim Kaiser für eine friedliche Lösung ein. Seine persönlichen Aufzeichnungen wurden gegen seinen Willen publiziert. In der Folge verlor Lichnowsky seinen Sitz im Preußischen Herrenhaus. Bei den Intellektuellen in Deutschland, die einst wie Ernst Toller begeistert in den Krieg gezogen waren, verstärkte seine Denkschrift die im Angesicht des sinnlosen Mordens auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs desillusionierte Haltung. Mit der Lichnowsky-Denkschrift war nachgewiesen, dass Deutschland keineswegs einen Verteidigungskrieg führte, sondern eine erhebliche Mitschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trug.94 In der Folge der Veröffentlichung des Lichnowsky-Memorandums erhielt die sozialistisch orientierte Arbeiterschaft erheblichen Zulauf aus Künstler- und Intellektuellenkreisen. Raoul Hausmann behauptete 1970, ein Jahr vor seinem Tod, dass er direkt an der Verbreitung der Broschüre beteiligt gewesen sei.95 Im Zusammenhang mit der illegalen Veröffentlichung der Lichnowsky-Broschüre wird er ein Jahr später, im Juni 1918, von der Polizei verhört und beschattet.96 Über seine Konfrontation mit den Polizeibehörden schreibt Hausmann an Hannah Höch:
»Heute war wieder 2 Stunden die Polizei bei mir. Man hat verschiedene Verdächte und versucht mich in Dinge hineinzuziehen, mit denen ich nichts zu tun habe – darum muß ich mit meinen Äußerungen sehr vorsichtig sein. Zuletzt frug ich direkt, was man mir denn in Wirklichkeit tun könne. Antwort: ich habe mich durch Begünstigung und Unterlassung der Anzeigepflicht strafbar gemacht, darauf gäbe es ein bis 2 Monate – allerdings lägen noch verschiedene Belastungsaussagen des Hausschild gegen mich vor. Eine Ausweisung wäre die anschließende Folge nach der Strafverbüßung. Man habe meinen Fall vorläufig bis zur Verhandlung vor dem Reichsgericht (Lichnowskisache) zurückgestellt – da würde die Angelegenheit dann aufgerollt werden. Ich könne der Strafverfolgung nur entgehen, wenn ich ein Jahr Polizeispitzel abgäbe. Außerdem würde mein Vater seine Stellung verlieren – also! – Daß ich nicht bereit bin, den Polizeispion zu spielen, weißt Du. Und die Verhandlung in Leipzig wird in ein paar Wochen sein. Jetzt weißt Du genau, was passieren wird. Und nun frage ich Dich: ist das ein Leben, wobei man ganz ruhig sein kann, – alle 14 Tage kommt die Polizei. [...]«97
Hannah Höch ist an Hausmanns politischen Aktivitäten nicht beteiligt, doch sie weiß davon. Über seine Kontakte zu Ernst Neumann, dem Vorsitzenden der Arbeiterjugend, war sie vor Hausmanns Verhaftung informiert. In ihrem Nachlass befinden sich zwei Postkarten, die Neumann bereits im Sommer 1917 an Hausmann sandte. Die Karten haben einen belanglosen Inhalt, warum hätte Höch sie aufbewahren sollen, wenn sie den Zusammenhang nicht zumindest geahnt hätte.
Im April 1917 kann Hannah Höch einen ersten künstlerischen Erfolg verzeichnen. In der Luxusausgabe der Zeitschrift »Das Kunstblatt«, dem von dem Kunstkritiker und Kunstschriftsteller Paul Westheim gegründeten und herausgegebenen Periodikum, das mit bibliophilem Anspruch über zeitgenössische Kunst berichtet, erscheint ihr Holzschnitt, der »Prophet Matthäus«. Es handelt sich um einen Faksimile-Nachschnitt aus dem mittelalterlichen Blockbuch »Ars memorandi«. Als Vorlage diente Hannah Höch eine Ausgabe der Schrift, die sich in der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha befand. Die »Kunst des Erinnerns« richtete sich an den theologisch gebildeten Leser, der sich anhand von Bildern den Inhalt der Evangelien einprägen konnte. Der Zeichencharakter der frühen Graphiken und ihre auf Umrisslinien, wenige Schraffuren und harte Schwarz-Weiß-Kontraste konzentrierte Formensprache inspirierte viele dem Expressionismus zugewandte Künstler.
Die Beziehung zu Raoul Hausmann erweist sich auch 1917 als eine ständige Berg-und-Tal-Fahrt. Zusehends wird Hannah Höchs Familie, vor allem ihre Schwester Margarete, in die Auseinandersetzungen involviert. Sie soll auf Hausmanns Veranlassung hin vermitteln. Hausmann berichtet Grete, dass die Nachricht, Hannah Höchs Freundin Maria Uhden werde den auch mit ihm bekannten Maler Georg Schrimpf heiraten, ihr einen erneuten Anlass gegeben habe, sich von Hausmann trennen zu wollen.98 Hannah Höchs Freundin aus Gotha, die wie sie selbst aus einer bürgerlichen Familie stammende Maria Uhden, heiratete im Frühjahr 1917 den »ehemaligen Arbeiter« Georg Schrimpf.99 Im Sommer wurde ihr Sohn geboren. Uhden stirbt drei Wochen nach der Geburt ihres Kindes im August, im Kindbettfieber. Aus Anlass des Todes ihrer Freundin schreibt Hannah Höch auf die Rückseite einer Abbildung, die einen von Uhdens Holzschnitten zeigt:
»Liebe Mizzi Uhden ...
unser Start in die Kunst
war gemeinsam.
Auch wenn Du Dich ein Jahr
vor mir aus Gotha loseisen
konntest.
Wie