Die psychoanalytische Ambulanz. Группа авторов

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Название Die psychoanalytische Ambulanz
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170366268



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Situation um. Der Patient erhält das Recht, in freier Themenwahl sein Leiden selbst darzustellen« (ebd., S. 118). Der Patient soll seinen Einfällen folgen dürfen, egal ob er mit der Aufzählung seiner Symptome, seiner Krankengeschichte, seiner Kindheit, seinen Beziehungskonflikten, mit aktuellen oder weit zurückliegenden Problemen beginnt, ob er frei und spontan spricht oder von einem Notizblatt abliest.

      Der sich im klassischen medizinischen Setting als objektiver, außenstehender Beobachter verstehende, sich seinem Gegenstand mit standardisierten Mitteln, festen Schablonen und deskriptiven Klassifikationssystemen nähernde Diagnostiker verwandelt sich im psychoanalytischen Erstgespräch in einen subjektiv und interaktiv »beteiligten« (Argelander 1967, S. 350) Zuhörer, der sich der ungewöhnlichen Situation »überlässt« (Argelander 1970, S. 42). »Der Erstinterviewer kritisiert und urteilt nicht, sondern nimmt alles hin, wie es angeboten wird, und forscht nur nach seinem Sinn« (ebd.).

      Diese empathisch-mitschwingende Beteiligung des Psychoanalytikers und seine Prozessverwobenheit werden nicht als störend, sondern als konstitutiv für den Erkenntnisprozess betrachtet.

      Die Gestaltungsfreiheit, die der Analytiker bereitstellt, eröffnet nicht nur den Raum für das subjektive Erzählen des Patienten, sondern auch für die Besonderheiten des Interaktionsgeschehens, das sich auf je einmalige Weise herstellt. Es vollzieht sich oft unbewusst und nimmt unterschwellig Einfluss auf die Reaktionen, die Erwartungen, die Empfindungen und die Befindlichkeit der Akteure. Hinter der möglichst unvoreingenommenen, aufnehmenden Haltung des Analytikers steht die erfahrungsgestützte Überzeugung, dass diese zumeist unwillkürlich und unreflektiert ablaufenden interaktiven Prozesse sinnhaft strukturiert sind, dass sie einer unbewussten Sinnstruktur folgen, die sich im weiteren Gesprächsverlauf konturieren und ins Bewusstsein treten wird.

      Die Grundhaltung der ›gleichschwebenden Aufmerksamkeit‹, als Bereitschaft auch auf das vermeintlich Nebensächliche, Nicht-Intendierte (z. B. der Versprecher oder das unwillkürlich auftretende Handlungsmuster) zu achten, gilt als die einzige Möglichkeit, etwas vom Patienten zu verstehen, das über sein Selbstverständnis und sein bewusstes Erleben hinausgeht. Im analytischen Erstgespräch geht es ums Erschließen unbewusster Konflikt- und Sinnstrukturen, um die Erfassung dessen, was der Patient nicht weiß und der Analytiker zunächst ebenso wenig weiß.

      1.3.2 Widerstand und Übertragung

      Beim Erschließen unbewusster Inhalte und Strukturen ist nicht nur die Deutungskunst (Freud GW V 1904a, 1903) des Analytikers gefragt, wesentlicher ist die sorgsame Erforschung und Bearbeitung des Widerstandes, also derjenigen Kräfte, die in der psychoanalytischen Behandlung der Erkenntnis des Unbewussten entgegenstehen. Verdrängte seelische Inhalte und Prozesse einfach zu erraten wäre, selbst wenn die Möglichkeit bestünde, nicht ratsam. Denn: »Der therapeutische Effekt (des Erratens, d. V.) wird in der Regel zunächst gleich Null sein, die Abschreckung von der Analyse aber eine endgültige« (Freud 1913c, S. 474). Als technische Regel gilt: Verdrängungswiderstände müssen zuerst erkannt und bearbeitet werden, bevor eine Bewusstmachung des Verdrängten sinnvoll werden kann. Der Widerstand soll weder gebrochen noch vorschnell überwunden werden (wie es bspw. in Suggestions- und Hypnosebehandlungen stattfindet). In der psychoanalytischen Behandlung, und dies trifft ohne Einschränkung auch aufs Erstinterview zu, gilt es, den Widerstand des Patienten gezielt zu beachten und zu erforschen. Dies allein ermöglicht dem Analytiker die entscheidenden Einblicke in den psychischen Konflikt des Patienten, in seine Abwehrorganisation und die fallspezifische Dynamik innerer Kräfteverhältnisse, in die er einzugreifen beginnt.

      Neben der Arbeit am Widerstand hat Freud eine weitere Besonderheit der analytischen Behandlungsmethode hervorgehoben, die er ›Übertragung‹ nannte. Dieser Begriff beschreibt die Tatsache, dass der Patient die unbewussten, aus der Kindheit stammenden Komplexe wiederholt, statt sie qua Erzählung zu erinnern. D. h., unbewusste Konflikte streben zu einer Inszenierung im Hier und Jetzt der Beziehung zum Analytiker. »Der Analysierte erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen und Verdrängten, sondern er agiere es. Er reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es, ohne natürlich zu wissen, daß er es wiederholt. Zum Beispiel: Der Analysierte erzählt nicht, er erinnere sich, daß er trotzig und ungläubig gegen die Autorität der Eltern gewesen sei, sondern er benimmt sich in solcher Weise gegen den Arzt« (Freud 1914g, S. 129–130).

      Obwohl die Übertragung, wie Freud verschiedentlich deutlich machte, in Bezug auf das Verbalisieren von Erinnerungen als Widerstand erscheint, sind die Übertragungen, die agierten und inszenierten Beziehungs- und Verhaltensmuster eine unschätzbare Gelegenheit, die Elemente des infantilen Konflikts im Hier und Jetzt der analytischen Situation zu erfassen. Die Übertragung ist der Schauplatz, auf dem sich die individuell-einmalige Problematik des Patienten manifestiert, das originäre und konstitutive Feld, auf dem Analytiker und Patient sich der bedeutungsstiftenden Kräfte der unbewussten Wünsche, Phantasien und verinnerlichten Objektbeziehungen konfrontiert sehen: Auf diesem Feld der Übertragungen, der agierten Wiederholungen, findet die analytische Hauptarbeit statt (Freud 1912b).

      Auch wenn die Übertragungs- und Beziehungsvorgänge außerhalb des Verbalisierten stattfinden, sind sie sinnhaft strukturierte seelische Gebilde, d. h. Sinn- und Konfliktstrukturen, die als solche zu entziffern sind und Aufschluss über die innere Realität des Patienten, über das Unbewusste geben können. Bei diesen Verstehensoperationen sind einige weitere Besonderheiten zu beachten:

      1. Die Vergangenheit, die der Analytiker im Übertragungsgeschehen zu erfassen versucht, setzt ein neuartiges, dialektisches Verständnis der Geschichtlichkeit des Subjekts voraus. Die Vergangenheit wird dabei nicht, wie im chronologischen Zeitverständnis üblich, als eine abgeschlossene, feststehende Form ehemaliger Präsenz gedacht. Die Vergangenheit, auf die der Analytiker abzielt, konstituiert sich in der Gegenwart der analytischen Beziehung – ihre Bedeutung ergibt sich retrograd aus der jeweiligen Gegenwart des Übertragungsgeschehens. Sie entsteht im Zeitmodus ›antizipierter Nachträglichkeit‹ (›die Vergangenheit wird gewesen sein‹, Eickhoff 2005, Weiß 1988, S. 215f.). Im Licht dieser Überlegungen gilt es auch den Freudschen Wiederholungsbegriff (Bayer 1996) auszulegen: Eine dialektische Interpretation seines Wiederholungsbegriffs zeigt, dass das Übertragungsgeschehen weniger als Reproduktion präexistenter Bedeutungsstrukturen, sondern vielmehr als Neu-Schöpfung angesehen werden muss, die einer »verfehlten« Geschichte nachträglich zur Konstitution verhilft (Lacan 1980)

      2. Die Übertragungen und Inszenierungen des Patienten bewirken beim Analytiker eine ganz besondere Form der affektiven Reaktion: die sogenannte Gegenübertragung. Sie bezeichnet »den Einfluß des Patienten auf das unbewußte Fühlen des Arztes« (Freud 1910d, S. 108). In der Weiterentwicklung der Psychoanalyse nach Freud, so auch bei Argelander erlangte das Konzept der Gegenübertragung eine immer größere Relevanz, die in dem Maße zunahm, in dem die psychoanalytische Behandlung als ein grundsätzlich intersubjektives Geschehen begriffen wurde.

      1.3.3 Das szenisch-situative Verstehen

      Bei seinem Versuch, die psychoanalytische Methode Freuds aufs Erstgespräch zu übertragen, hat Hermann Argelander die Arbeitsweise des Analytikers auf innovative Weise rekonstruiert. Er hat die technisch-methodischen Eigenarten seiner spezifischen Gesprächsführung, seiner Erkenntnisinstrumente und Verstehensoperationen minutiös aufgeschlüsselt, zum Teil begrifflich neu gefasst, erweitert und für neue Anwendungen (z. B. im Erstinterview, in Beratungssituationen, in Gruppenprozessen und Balintgruppen) erschlossen.

      Das bekannteste von ihm entwickelte Konzept ist das szenisch-situative Verstehen (Argelander 1970, Klüwer 1995). Dabei geht es um die Erfassung interaktiver Prozesse, insbesondere um die sich situativ ergebenden Beziehungsvorgänge zwischen Analytiker und Patient, mittels derer sich, so die zentrale Annahme, in aktualisierter Form innere, unbewusste Konfliktvorgänge artikulieren können.

      Mit seinem Konzept des Szenischen nimmt er Freuds Übertragungskonzept auf, gibt ihm jedoch, stärker als Freud dies tat, eine situativ-intersubjektive Betonung. Nach Argelander ermöglicht allein die intersubjektive Beziehung zwischen Analytiker und Patient »die situationsgerechte Darstellung einer unbewußten infantilen Konfiguration« (Argelander 1970a, S. 325). In seiner Konzeption gewinnt