Die psychoanalytische Ambulanz. Группа авторов

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Название Die psychoanalytische Ambulanz
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170366268



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Verlaufsgestalt des Interviews und ist situationsbezogen außerordentlich treffsicher. Die in der Deutung enthaltene »Reaktionsbildung«, »auf die Verärgerung bewusst freundlich und milde zu reagieren«, korrespondiert der zwanghaften Persönlichkeitsstörung, die hinter der Symptomatik der Beziehungsstörung liegt, wegen der der Patient die Ambulanz konsultierte. Durch die Deutung erfährt das Gespräch eine markante Wendung, was darauf schließen lässt, dass sie gelungen war und der Patient die Deutung verwerten konnte. Aus diesem Verlauf leiten sich weitere diagnostisch und indikatorisch wichtige Informationen über die psychischen Strukturen des Patienten ab: über die Ichfähigkeiten, die emotionale Flexibilität, die Stärke seiner Persönlichkeitsstörung, die Chronifizierung und Starrheit seiner störungsspezifischen Verhaltens- und Erlebensmuster usw. Der Patient sei, so Argelander, durch die Deutung »menschlicher und die Schilderung seiner Beziehungspersonen lebendiger« (ebd., S. 26) geworden. Er habe die mit seiner Erkrankung verbundenen Eigenschaften »Perfektionismus, Unerreichbarkeit, Überlegenheit« (ebd.) erleichtert fallen lassen können. Diese Erleichterungsreaktion zeige die unbewusste Motivation des Patienten, eine Behandlung zu beginnen und spreche für seine Entwicklungsmöglichkeiten, d. h. für eine günstige Prognose. Die Deutung habe es dem Patienten erlaubt, seine innere Problematik wahrzunehmen (ebd.) und freier zu thematisieren. Es gilt als behandlungstechnische Regel in der Psychoanalyse, dass sich die Stimmigkeit einer Deutung, ihre Verwertbarkeit durch den Patienten, in der Vertiefung und Fortführung des Assoziationsflusses anzeigt. Ob ein Patient eine Intervention als relevante Bedeutung aufgreifen kann, erkennt der Analytiker daran, dass der Patient Material, das ihm zugehörig und klärend erscheint, unmittelbar anfügt und auf diese Weise zu neuen seelischen Verknüpfungen und neuen Einsichten kommt.

      Die o. g. Reaktion des Patienten zeigt außerdem, dass er mit Hilfe der Deutung seinen Widerstand bis zu einem gewissen Grad lockern konnte, wodurch eine günstigere Voraussetzung entsteht, Unbewusstes bewusst zu machen. Die geschilderte Reaktion steht beispielhaft dafür, dass der Patient die Intervention des Analytikers, die Art wie er denkt und arbeitet, mit einem Gewinn an innerer Freiheit und Erleichterung aufnehmen kann. Damit ist der wichtigste Indikationshinweis erreicht. Der Verlauf eines Erstinterviews, die Qualität der sich entwickelnden Zusammenarbeit, die höchst individuelle, störungs- und persönlichkeitsbedingte Art und Weise, wie ein Patient eine analytische Deutung aufnehmen kann, gelten, hier besteht Einigkeit unter Analytikern, als die wichtigsten indikatorischen und prognostischen Kriterien in psychoanalytischen Erstgesprächen. Kerz-Rühling, die langjährige frühere Leiterin der Ambulanz des SFI, schreibt: »Die Indikation zu einer bestimmten Form von ambulanter oder stationärer Psychotherapie erwies sich vor allem als abhängig von der initialen Arbeitsbeziehung zwischen Patient und Therapeut (…) Eine Psychoanalyse wurde u. a. empfohlen, wenn die therapeutische Arbeitsbeziehung sich im Interview gut entwickelt, d. h. wenn ein gemeinsames Krankheitsverständnis zwischen Therapeut und Patient erreicht wurde« (Kerz-Rühling 2005, S. 591). Mit Blick auf Argelanders Fallbeispiel könnte man ergänzen, dass eine ›gute Entwicklung der Arbeitsbeziehung‹ daran ablesbar wird, wie der Patient die Interventionen des Analytikers aufnimmt und ob sich situative Erkenntnis- und Entwicklungsschritte anschließen.

      1.4 Abschließende Bemerkungen: zum Stellenwert der Subjektivität des Analytikers und der Gegenübertragung im Erstinterview

      Die Entwicklung der probetherapeutischen Arbeitsbeziehung, der Verlauf dieser »kurzen Passage … psychotherapeutischer Widerstandsarbeit« (s. o.) stellt, wie ausgeführt, das zentrale indikatorische Kriterium in psychoanalytischen Erstgesprächen dar. Was als Voraussetzung für die Indikationsstellung gilt, gilt auch für die Bearbeitung der anderen Aufgabenstellungen des psychoanalytischen Erstinterviews. Die entscheidenden diagnostischen, indikatorischen, prognostischen Erkenntnisschritte, bis hin zur Behandlungsempfehlung basieren auf der Erfassung des sich szenisch-situativ einstellenden Beziehungsgeschehens zwischen Patienten und Analytiker. Es avanciert zum zentralen Gegenstand der analytischen Untersuchung – auch und vor allem im Erstinterview.

      Erst im Rahmen des szenisch-situativen Verstehens nehmen die ›Informationen‹, die der Analytiker im Verlauf eines Erstgesprächs in unübersichtlicher Menge und auf unterschiedlichsten Ebenen empfängt (Argelander 1970) ihre spezifisch psychoanalytische, auf die Erkenntnis des Unbewussten bezogene, Bedeutung an.

      Die möglichst unvoreingenommene, gleichschwebend aufmerksame Haltung des Analytikers und die Technik seiner Gesprächsführung ermöglichen, dass unbewusste Kräfte, infantile Konfigurationen und innere Objektbeziehungen an der Oberfläche des interaktiven Geschehens zwischen Analytiker und Patient zur Darstellung kommen. Die analytische Technik verhilft den unbewussten Strebungen zur Aktualisierung im situativen Beziehungsgeschehen und ermöglicht auf diese Weise ihre Erforschung. Von der Oberfläche ausgehend, »von außen nach innen, von der äußeren Beziehung … ins innerseelische« (Argelander 1967 S. 368) können die unbewussten Strukturen als bedingende »innere Gesetzmäßigkeit« (ebd., S. 440), als »Fallstruktur« erschlossen und (probehaft) bearbeitet werden (ebd., S. 445).

      Bei seiner Erkundung des unmittelbar ablaufenden Beziehungsgeschehens ist der Analytiker mit all seinen Gefühlsregungen und Vorstellungsabläufen kein außenstehender Beobachter, sondern Teil dieser Interaktion.

      Diese grundsätzlich subjektiven Erkenntnisprozesse der Psychoanalyse ziehen seit jeher epistemologische Kritik und szientistische Ablehnung auf sich. Ohne diese Debatte an dieser Stelle vertiefen zu können, möchte ich mit Argelander die Unabdingbarkeit und die Präzision der analytischen Erkenntnisinstrumente betonen:

      »Das Instrument der (analytischen d. V.) Wahrnehmung ist einzig und allein die Persönlichkeit des Interviewers, eingesetzt und abgestimmt auf das unbewußte Beziehungsfeld mit dem Patienten« (Argelander 1970, S. 15), und weiter: »Der Interviewer benötigt zum Verständnis der unbewußten Persönlichkeit eines Patienten den Zugang zu seinen eigenen vorbewußten Wahrnehmungs- und Denkprozessen, über welche er nur verfügen kann, wenn sein Bewußtsein sie mit erfaßt« (ebd., S. 111).

      Damit erklärt Argelander die sog. Gegenübertragungsanalyse zur Kernaufgabe des Analytikers im psychoanalytischen Erstinterview:

      »Aus unserer Definition der Übertragung und Gegenübertragung ergeben sich zwei technische Einstellungen zur Erfassung des unbewußten situativen Geschehens. Der Untersucher kann sich einmal mit dem unbewußten Verhalten des Patienten identifizieren, mit seinen in der Projektion wirkenden Aktivitäten, zum anderen aber mit den Reaktionen in sich selbst, die von diesen unbewußten Aktivitäten hervorgerufen werden […] Diese tastenden Identifizierungsversuche im Dienste der Aufgabe, den Patienten zu verstehen, sind Antworten auf die Frage: ›Was macht er mit mir?‹ bzw. ›Was geschieht mit mir?‹« (Argelander 1967, S. 433).

      Argelanders Bezugnahme auf das damals im deutschsprachigen Raum noch kaum rezipierte Konzept der Gegenübertragung war maßgeblich von der deutsch-britischen Psychoanalytikerin Paula Heimann beeinflusst, die schon 1950 die Gegenübertragung zum entscheidenden Erkenntnisinstrument des Analytikers und zum zentralen Bestandteil der analytischen Behandlungstechnik erklärte. Die inneren Vorgänge und Zustände, die im Analytiker (größtenteils unbewusst) auf höchst »persönliche«, oftmals fremd und überfordernd erlebte Weise entstehen und ablaufen, stellen demnach keine Beeinträchtigung seiner Erkenntnisprozesse dar, sondern bilden vielmehr deren unabdingbare, durch nichts zu ersetzende Grundlage (image Kap. 4). Der Analytiker kann nämlich seine Erkenntnisse nicht von einer objektiven, durch Distanz und Neutralität geprägten Position aus generieren. Er ist nicht nur unhintergehbar in den intersubjektiv strukturierten und affektiv geprägten Übertragungsprozess einbezogen, seine inneren Vorgänge dienen ihm als Resonanzraum (Container) und Empfangsorgan für das unbewusste Beziehungsgeschehen. Voraussetzung für den Erkenntniswert dieser Vorgänge ist, dass der Analytiker in der Lage ist, seine inneren Vorgänge in den Bereich des Vorbewussten zu heben, zu betrachten, mit Bedeutung zu füllen und im Dienste des Patienten zum Gegenstand analytischer Arbeit zu machen. Er muss sie Schritt für Schritt in Worte fassen und damit bewusst machen können. Wenn das gelingt, zeigt sich, dass die Gegenübertragung ein sehr feines und überaus präzises Instrument zur Erfassung