Die psychoanalytische Ambulanz. Группа авторов

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Название Die psychoanalytische Ambulanz
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170366268



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Freuds Konzeption des Zusammenspiels von Behandlungstechnik, Übertragung und Gegenübertragung hinaus (image Kap. 1).

      Hierbei geht es kurz gesagt um die Überschreitung der bei Freud angelegten intrapsychischen Perspektive hin zu einer interaktiv-interpersonellen Konzeption der Psychoanalyse. Diese akzentuiert in weitaus stärkerem Maß die Beziehungsvorgänge zwischen Analytiker und Patient und erklärt sie zum eigenständigen Gegenstand der Forschung.

      Bei seiner Neuausrichtung des psychoanalytischen Verfahrens stand Argelander im wissenschaftlichen Austausch mit englischen Analytikern, vor allem mit Michael Balint und Paula Heimann. In seinen zahlreichen Studien zum szenisch-situativen Verstehen nahm er objektbeziehungstheoretische Konzepte auf (zur Bedeutung der Gegenübertragung, zur intersubjektiven Basis des analytischen Geschehens, zur Zwei-Personen-Psychologie etc.), die in England in den 1940er und 1950er Jahren entwickelt wurden und in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die Weiterentwicklung der Psychoanalyse, auch am SFI, maßgeblich prägen sollten.

      Der von Argelander eingeleitete Perspektivwechsel führte am SFI dazu, dass sich die klinische Forschung in der Institutsambulanz immer dezidierter dem interaktiven, oftmals averbal und aktional ablaufenden, affektiv geprägten Beziehungsgeschehen zwischen Patient und Analytiker, dem Hier und Jetzt der analytischen Situation, zuwendete.

      Die minutiöse Erforschung der intersubjektiv strukturierten und unbewusst aufeinander bezogenen Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse, die sich, nach unserer Überzeugung, nicht nur in langwierigen Analysen, sondern auch schon im Erstinterview einstellen und seinen Verlauf prägen, begreifen wir als eine der Hauptaufgaben der Institutsambulanz.

      Integraler Bestandteil der klinischen Arbeit ist deshalb die wöchentlich stattfindende Ambulanzkonferenz. Die als intervisorische Gruppensitzung angelegte Ambulanzkonferenz hat seit den Gründungstagen des Instituts »die wichtige Funktion (…) sowohl das angebotene Material wie auch die in der Gruppe während des Gesprächs auftauchenden emotionellen Konstellationen miteinander zu integrieren und daraus eine dynamische Hypothese über die Struktur des Patienten zu formulieren« (Argelander 1967, S. 342).

      Die Gruppe erweist sich als ein außerordentlich sensibles Organ zur Wahrnehmung und Aufnahme jener ›emotionellen Konstellationen‹, die im Erstgespräch zwischen Analytiker und Patient unbewusst zur Wirkung kommen und dem Gespräch seine einzigartige Verlaufsgestalt geben. In der Fallbesprechung gilt der Grundsatz, dass der vorstellende Analytiker stets mehr von den aufgenommenen Beziehungs- und Austauschvorgängen, den Gefühlen und Reaktionen, die der Patient bzw. das Interview in ihm ausgelöst hat, vermittelt, als ihm selbst bewusst ist (»implizites Beziehungswissen«, vgl. Mertens 2013, S. 817). Die unbewusst gebliebenen emotionalen Reaktionen des Analytikers, seine Gegenübertragungsgefühle können im Gruppenprozess ins Vorbewusste, ins Denkbare und schließlich in Sprache gehoben werden. Der bewusst gemachten Gegenübertragung entnehmen wir entscheidende Einblicke in die innere Welt des Patienten. Damit wird die Gegenübertragung, die höchst subjektive Resonanz des Analytikers auf seinen Patienten, zum wesentlichen Werkzeug analytischer Erkenntnisprozesse. Aus unserer Sicht ist die Fallbesprechung in der Gruppe ein konstitutiver Bestandteil des analytischen Verstehensprozesses. Ihr entnehmen wir unsere psychodynamischen, diagnostischen, indikatorischen und prognostischen Schlussfolgerungen.

      Parallel zu diesen behandlungstechnischen wie -theoretischen Neueinstellungen hat sich das Indikationsgebiet der Psychoanalyse in den letzten Jahrzehnten erheblich erweitert. Dieser Entwicklungstrend gilt nicht nur für die Ambulanzarbeit am SFI, sondern für die Entwicklung der Psychoanalyse überhaupt. Ihre klinische Anwendung ist heutzutage nicht mehr auf die klassischen Neurosen, die sog. Übertragungsneurosen, beschränkt. Mit weiter entwickelten Behandlungsmethoden und neuen Konzepten, vor allem aus dem Umfeld des kleinianischen und postkleinianischen Denkens, wendet sie sich verstärkt den sog. nicht-neurotischen Störungen, den Borderlinestörungen, den narzisstischen Störungen, den Psychosen, den schweren Traumatisierungen und dissoziativen Störungen zu. Bei der psychoanalytischen Erforschung und Behandlung dieser Erkrankungen stehen nicht mehr die klassischen Verdrängungsprozesse, das aufzudeckende Verdrängte und seine symbolischen Ersatzbildungen im Vordergrund der Psychodynamik, sondern ein seelisches Material, das sich auf andere und gravierendere Weise der symbolischen Repräsentation entzieht und nach anderen Gesetzmäßigkeiten individuelles Leiden verursacht und zum Ausdruck bringt: borderline-typische Zustände der Leere, der Dissoziation, der psychosenahen Verfolgungs-, Vernichtungs- und Ichverlustängste, der Verwirrung, der mehr oder weniger gravierenden Auflösung von Subjekt-Objekt-Grenzen usw. Innere Zustände dieser Art, das zeigen neuere Forschungen, kommen nicht im Medium »erzählenden Erinnerns«, der freien Assoziation und des Widerstands zum Ausdruck, vielmehr werden sie vom Patienten auf der Handlungs- und Verhaltensebene unbewusst inszeniert, agiert, werden aus dem Inneren ausgestoßen und projektiv in den anderen hineinverlagert.

      Die sog. projektive Identifizierung (vgl. Frank, Weiß 2007) ist zum Schlüsselkonzept psychoanalytischer Behandlungstheorie geworden. In Abgrenzung zur Verdrängung, dem Leitmechanismus der Neurose, bezeichnet sie einen unbewussten Abwehrmechanismus, durch den eigene Anteile abgespalten und in den anderen, z. B. den Analytiker, hineinverlagert werden. Die projektive Identifizierung stellt einerseits einen archaischen Abwehrmechanismus dar, andererseits ein basales Interaktionsmodell zur Erfassung präsymbolischer, auf konkrete Entledigung bedrohlicher Gefühle ausgerichteter Austauschvorgänge zwischen Analytiker und Patient oder aber auch in entwicklungspsychologischer Perspektive zwischen Mutter und Säugling (kommunikative Funktion der projektiven Identifizierung). Durch das Konzept der projektiven Identifizierung wurde das psychoanalytische Verständnis nicht-verbaler Interaktions- und Austauschvorgänge außerordentlich erweitert und ein Zugang zu Patienten eröffnet, die früher als unbehandelbar galten.

      Beim Erforschen und therapeutischen Bearbeiten dieser Vorgänge ist die Aufnahmefähigkeit des Analytikers, seine Fähigkeit die Gegenübertragung wahrnehmen, erkennen und bearbeiten zu können, besonders gefragt. Die Gegenübertragungswahrnehmung stellt das wichtigste Instrument dar, um die fraglichen, unzureichend repräsentierten inneren Zustände und Prozesse des Patienten zu erahnen, zu erfassen und ihnen im intersubjektiven Austausch eine Bedeutung verleihen zu können, die beim Patienten zum Ausgangspunkt seelischer Transformation werden kann. Neben den Arbeiten der kleinianischen Schule zur projektiven Identifizierung und zur Gegenübertragung ist die Container-Contained-Theorie des Denkens von Wilfred Bion zum wichtigen Referenzpunkt psychoanalytischer Theorie und Praxis geworden.

      Die vorliegende Aufsatzsammlung hat die klinisch-wissenschaftliche Arbeit der Institutsambulanz des SFI zum Gegenstand. Die von den Ambulanzmitarbeitern verfassten Beiträge beschäftigen sich aus unterschiedlichen Blickrichtungen mit der diagnostischen Arbeitsweise des Psychoanalytikers, mit der Theorie und der Praxis des psychoanalytischen Erstinterviews. Von besonderem Stellenwert ist die am SFI begründete Methode bzw. Methodologie des »szenisch-situativen Verstehens«, die einen interaktions- und intersubjektivitätsbezogenen Zugang zur Dynamik unbewusster Prozesse im Hier und Jetzt der Erstinterview-Situation ermöglicht. Das unbewusste Zusammenspiel von Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen prägt von Beginn an, so der gemeinsame Nenner der vorgelegten Beiträge, die Begegnung von Analytiker und Patient.

      Ein weiterer Schwerpunkt des vorliegenden Buches gilt den umfangreichen klinischen Erfahrungen, die in der Institutsambulanz mit unterschiedlichen Patientengruppen und unterschiedlichen Störungsbildern (Folgen chronischer Traumatisierung, Borderlinestörungen, Psychosen, Zwangsneurose etc.) gesammelt werden. In den entsprechenden Beiträgen soll die psychoanalytische Ambulanztätigkeit, unter dem Aspekt störungsspezifischer Anforderungen, möglichst praxisnah und fallbezogen veranschaulicht werden.

      Einen weiteren Schwerpunkt bildet das für die Institutsambulanz charakteristische Zusammenspiel von »Forschen und Heilen«, von Wissenschaft und klinischer Praxis. Hierbei geht es u. a. um die Vernetzung der Ambulanztätigkeit mit Forschungsprojekten unterschiedlicher Art (Therapiewirksamkeitsstudien, Evaluations-, Präventions- und Katamnesestudien), die das SFI in Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen oder Universitäten durchführt (z. B. die aktuelle »Studie zur psychodynamischen Therapie von Zwangserkrankungen«).