Die psychoanalytische Ambulanz. Группа авторов

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Название Die psychoanalytische Ambulanz
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170366268



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Freuds fühlte sich Mitscherlich verpflichtet. Sie sollten in dem neu gegründeten Institut mit seinen außerklinischen, den sozialpsychologischen und kulturtheoretischen Forschungsschwerpunkten zum Ausdruck kommen und weiterentwickelt werden. In dieser besonderen interdisziplinär-wissenschaftlichen Ausrichtung findet das Sigmund-Freud-Institut seit nunmehr 60 Jahren breite internationale Anerkennung. In ihrer feierlichen Eröffnungsrede anlässlich der Einweihung des Institutsneubaus 1964 bezeichnete Anna Freud das Institut als »a new home for the new psychoanalytic era in Germany« (vgl. Plänkers 2011, S. 86).

      Obwohl der Name Alexander Mitscherlichs in der Öffentlichkeit vor allem mit seinen zahlreichen und höchst einflussreichen sozialpsychologischen Studien (»Die Unfähigkeit zu trauern« (1967), »Die Unwirtlichkeit unserer Städte« (1965), »Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft« (1963)) verknüpft ist, blieb für ihn als praktizierendem Arzt und Psychoanalytiker unstrittig, dass das Herzstück des Instituts die klinische Psychoanalyse war (vgl. Plänkers ebd.). Dieser Grundeinstellung entsprach, dass neben den drei Abteilungen des Hauses: klinische Psychoanalyse, Psychologie und Sozialpsychologie von Beginn an eine psychoanalytische Ambulanz eingerichtet wurde, die bis heute unverzichtbares Zentrum der klinischen Tätigkeiten des Sigmund-Freud-Instituts ist. Sie betraf nicht nur die therapeutische Versorgung der Bevölkerung und die klinische Forschung im engeren Sinne, sondern auch die psychoanalytische Ausbildung. Die Ambulanz sollte den Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten, die bis 1995 – bis zur Gründung des neuen Frankfurter Psychoanalytischen Instituts – am SFI ihre Ausbildung absolvierten, die Möglichkeit bieten, unter Supervision erfahrener Psychoanalytiker erste Behandlungserfahrungen zu sammeln und sich die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten der Anamnese- und Befunderhebung, der Diagnose- und Indikationsstellung im direkten Kontakt zum Patienten anzueignen.

Images

      Abb. 1.1: Anna Freud und Herrmann Argelander bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die J.W. Goethe-Universität an Anna Freud, Februar 1982 Mit freundlicher Genehmigung des Sigmund-Freud-Instituts

      Die Ausbildung am Sigmund-Freud-Institut wurde nach den Richtlinien der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) und der International Psychoanalytic Association (IPA) gestaltet. Alexander Mitscherlich, der 1956 DPV/IPA-Mitglied (vgl. Plänkers ebd.) wurde, engagierte sich sehr erfolgreich für die internationale Vernetzung des neuen Instituts und konnte führende Psychoanalytiker der IPA (u. a. Michael Balint, Paula Heimann, Béla Grunberger, Jeanne Lampl-de Groot) für Forschungs- und Ausbildungkooperationen gewinnen (vgl. Hoyer 2008).

      Seit 2016 übernimmt das Sigmund-Freud-Institut in Zusammenarbeit mit dem FPI wieder Funktionen in der Ausbildung zum Psychoanalytiker.

      Mit seiner doppelten Verankerung in der Wissenschaft und in der klinischen Praxis entsprach die Institutsstruktur einer weiteren zentralen Vorgabe Sigmund Freuds, die er 1926 in seinem »Nachwort zur Frage der Laienanalyse« als »Junktim von Heilen und Forschen« formulierte: »In der Psychoanalyse bestand von Anfang an ein Junktim zwischen Heilen und Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man gewann keine Aufklärung, ohne ihre wohltätige Wirkung zu erleben. Unser analytisches Verfahren ist das einzige, bei dem dies kostbare Zusammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir analytische Seelsorge treiben, vertiefen wir unsere eben aufdämmernde Einsicht in das menschliche Seelenleben« (Freud 1927a, S. 293–294). Ganz im Sinne dieses für Freud ebenso unverbrüchlichen, wie ständig durch Aufspaltungen bedrohten Junktims von Forschen und Heilen, dieser dialektischen Verzahnung von Theorie und Praxis, von Reflexion und Emanzipation ist die klinische Tätigkeit am SFI stets Ausgangspunkt wissenschaftlicher Arbeiten unterschiedlichster Ausrichtung gewesen: Die analytische Arbeit mit den Patienten stellt den nicht zu ersetzenden Erfahrungsbereich dar, durch den die Analytiker ihre Einsichten in das menschliche Seelenleben, in die unbewussten Prozesse erlangen, überprüfen, vertiefen und erweitern. Die analytische Praxis ist so gesehen der »Königsweg zur Kenntnis des Unbewußten« (Freud 1900a, S. 613 und 1927a, S. 291).

      Die Forschungsprojekte, die in der Ambulanz des Sigmund-Freud-Instituts ihren Ausgang nahmen und nehmen, sind so zahlreich und vielfältig, dass sie an dieser Stelle nicht annähernd zur Darstellung kommen können. Ich verweise auf die Übersichtsarbeiten von Tomas Plänkers (2011) und Herbert Bareuther (1989). Zwei Forschungslinien mit besonderer Bedeutung für die Aufgaben der Institutsambulanz möchte ich herausstellen:

      1. In den 1970er bis 1990er Jahren sind eine Reihe von Studien am SFI entstanden, die die analytischen Prozesse zwischen Analytiker und Patient selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht haben. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Hermann Argelander, Alfred Lorenzer und Rolf Klüwer, die als klinisch tätige Psychoanalytiker und Wissenschaftler dem Institut angehörten (ebd.) und mit unterschiedlichen Schwerpunkten die Besonderheiten der psychoanalytischen Erkenntnisprozesse, die spezifischen Untersuchungsmethoden und Verstehensoperationen des Analytikers im Rahmen unterschiedlicher analytischer Settings untersucht und teilweise begrifflich neu gefasst und systematisiert haben. Diese Studien haben in den folgenden Jahren und Jahrzehnten erheblichen Einfluss auf die Anwendung der psychoanalytischen Methode in unterschiedlichen klinischen wie außerklinischen (»Tiefenhermeneutische Kulturanalyse«) Gebieten gewonnen. Auf Hermann Argelanders Arbeiten zur Technik der Psychoanalyse im psychoanalytischen Erstinterview werde ich weiter unten näher eingehen.

      2. Zum anderen sind zahlreiche Studien zu spezifischen psychischen Störungen und ihrer Behandlung am SFI entstanden. Die Bandbreite dieser Forschungsarbeiten ist ebenfalls beträchtlich und reicht von Mitscherlichs Arbeiten zur Psychodynamik psychosomatischer Erkrankungen über die Erforschung traumatischer Störungen bis hin zu umfangreichen Evaluationsstudien, bspw. einer Studie über die Wirksamkeit der psychoanalytischen Langzeittherapie bei chronisch-depressiven Patienten (LAC-Studie).

      Die Vielfalt der vorgelegten Studien (Plänkers 2011, Bareuther 1989) schließt analytisch-klinische Einzelfallstudien, klinisch-theoretische Konzeptforschung und empirische Studien ein, die den einheitswissenschaftlichen Ansprüchen der evidence based medicine (Leuzinger-Bohleber 2011) genügen. Das aktuelle Forschungsprojekt dieser Art ist eine Studie zur Psychodynamischen Therapie von Zwangserkrankungen, die die klinische Abteilung des Sigmund-Freud-Instituts unter Leitung von Heinz Weiß durchführt (image Kap. 6).

      1.2 Die Ambulanz des Sigmund-Freud-Instituts

      In der psychoanalytischen Sprechstunde der Ambulanz des SFI werden jährlich rund 500 Patienten mit unterschiedlichsten psychischen Störungen behandelt, Voraussetzung ist die Volljährigkeit. Ein Teil der Patienten konsultiert die Ambulanz aus eigener Initiative oder auf Empfehlung von Bekannten, Freunden und Verwandten. Ein anderer Teil kommt auf Überweisung von Haus- und Fachärzten, die konsiliarische Beratung wünschen, oder ihre Patienten in psychotherapeutische bzw. psychoanalytische Behandlungen vermitteln möchten. Einige Patienten haben dezidierte Vorstellungen über die Störung, an der sie leiden, andere nicht (zur Statistik image Kap. 9). Die Patienten erhalten in der Institutsambulanz psychoanalytische Erstinterviews und bei Bedarf bis zu sechs Folgegespräche, in denen eine erste Diagnose- und Indikationsstellung erfolgt. Sofern am Institut keine Behandlungsmöglichkeit besteht, werden die Patienten bei der Suche nach einem geeigneten Therapieplatz unterstützt. Dies umfasst bei Bedarf eine aufklärende Beratung über die Unterschiede der Therapieformen mit Blick auf die vorliegende Indikationsstellung. In einigen Fällen, bspw. im Zusammenhang mit klinischen Studien, werden psychotherapeutische/psychoanalytische Behandlungen im Rahmen der Institutsambulanz durchgeführt.

      Seit 1979 ermöglicht ein mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen abgeschlossener und regelmäßig erneuerter Institutsvertrag, dass die Erstinterviews, die probatorischen Sitzungen sowie die am Institut stattfindenden Behandlungen über die Krankenkassen abgerechnet werden können. Auf dieser Grundlage sichert die Ambulanz des SFI ihren Status als Versorgungs- und Forschungsambulanz. In besonderen Fällen, wenn keine Krankenversicherung