Die psychoanalytische Ambulanz. Группа авторов

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Название Die psychoanalytische Ambulanz
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170366268



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die Mutter seinerzeit mit ihr selbst gemacht hat, (… er) erlebt die inneren Bewegungen, die sie als Kind gehabt hatte, ohne daß diese aus dem Inhalt des Berichtes selbst hervorgehen. Die Mutter nahm in ihrem Zimmer ihren Platz ein (…) Sie musste ihren üblichen Platz aufgeben. (…) fügte sich in diese neue Schlafordnung (…)« (ebd., S. 117–118). Der Gesprächsauftakt enthält weitere szenische Informationen, um die herum sich das nachfolgende Material sinnhaft ausrichten lässt. Die situativ-szenische Information lautet: »daß es ihr schwer fällt zu reden … daß sie nicht wisse, wo sie anfangen solle« (ebd., S. 119 u. 120).

      Unter diesem Fokus der situativ aufgetretenen Blockade nimmt Argelander die weiteren Mitteilungen der Patientin auf: die angesprochene Orgasmusstörung (der Anlass ihrer Konsultation); die sich abzeichnende Erkenntnis, dass die Blockade eine Vermeidungsreaktion darstellt, die sich auf alle Kontaktbereiche bezieht, die emotionales Engagement fordern; die aktuellen Konflikte mit den Mitbewohnern ihrer Wohngemeinschaft und mit ihrem Partner; und schließlich das biografische Material, das durch die Konfrontation mit der Szene neue, bislang unbewusste, Bedeutungen freigibt:

      Das emotionale Klima in der Familie muss »hochbrisant gewesen sein. Auf dem Höhepunkt dieser lauten Konflikte flüchtete die Mutter ins Schlafzimmer der Kinder und schickte die Tochter zum Vater ins Ehebett. […] weil die Mutter so erregt war, daß sie das Zusammensein mit dem Vater vermeiden musste. Die bewußte Absicht der Mutter war natürlich, den Vater durch die Tochter zu beruhigen, eine versöhnende Geste, die die Tochter bereits als Funktion der ›Vermittlung‹ übernommen hatte, aber offenbar nur nach außen, innerlich war sie erregt durch die indirekte Teilnahme an der konflikthaften Auseinandersetzung zwischen den Eltern. […] Es ist nicht schwer aus der Sukzession der Themen im Beginn des Gesprächs zu ›erraten‹, daß diese Maßnahme der Mutter auch für Erregungszustände sexueller Art galt. Die Mutter hatte Angst vor den Folgen emotionaler Höhepunkte und schickte die Tochter an ihrer Stelle zum Vater, nichtsahnend, was sie ihrer Tochter zumutete. Diese lag mit Zittern und Herzklopfen neben dem Vater, war blockiert und konnte nicht sprechen. Sie wußte nicht wo sie anfangen sollte. Sie hat den Vater sicher nicht durch Schmusen beruhigt, um die Gelegenheit wahrzunehmen, sich als der Mutter überlegen auszuweisen und sich dem Vater anstelle der Mutter anzubieten. Vielleicht war diese Vorstellung aber ein unbewußtes Motiv, vor dem sie entsetzt zurückwich und blockierte« (ebd., S. 120–121).

      Argelander möchte mit diesem Beispiel die Methode verdeutlichen, mit der er im Erstinterview einen Zugang zu seinen Patienten sucht und zu diagnostisch und psychodynamisch relevanten Schlussfolgerungen kommt. Ausgehend von der situativen, interpersonellen Oberfläche des Interaktionsgeschehens erschließen sich innere Konfliktthemen, die sich situationsgenau – Platzwechsel, Blockade – im Übertragungsraum konstellieren. Zur weiteren Systematisierung ließen sich diese Einsichten in metapsychologischer, struktureller und genetischer Perspektive mit der Theorie der Verdrängung und des Ödipuskomplexes verknüpfen, könnten zu einer psychodynamischen Diagnose gebündelt und der symptombezogenen Diagnose einer Orgasmusstörung zur Seite gestellt werden.

      1.3.4 Indikationsstellung, Behandlungsvorbereitung und Prognose

      Mit dem Anspruch auf diagnostische Klärung und Aufdeckung der verborgenen, bislang nicht bewussten Sinnzusammenhänge hinter der Symptomatik sind noch nicht alle Funktionen des Erstinterviews erfüllt. Argelander unterscheidet zwei Phasen des Erstgesprächs mit unterschiedenen Aufgabenschwerpunkten, einen diagnostischen und einen, der der Behandlungsvorbereitung gilt. Letzterer umfasst die Indikations- und Prognosestellung (Argelander 1970). Die Unterscheidung dieser beiden Arbeitsschwerpunkte ist nicht als strikte Trennung zu verstehen: die diagnostisch psychodynamischen Überlegungen beeinflussen die indikatorischen Erwägungen und umgekehrt. Sie präzisieren sich wechselseitig und sollten in eine störungs- und persönlichkeitsorientierte Behandlungsempfehlung münden. »Dem Patienten nützen die besten diagnostischen Erkenntnisse nichts, wenn sie nicht in einen konkreten Behandlungsvorschlag einmünden, der seine äußere und innere Realität berücksichtigt« (ebd., S. 100). Das heißt vor allem, dass der Analytiker die Frage zu klären hat, ob im vorliegenden Fall eine psychotherapeutische Behandlung indiziert ist und wenn ja, ob eine analytische Psychotherapie oder ein anderes, ein tiefenpsychologisch fundiertes oder verhaltenstherapeutisches Verfahren einzuleiten ist. Es gilt weiter zu klären, ob die psychotherapeutische Behandlung, falls indiziert, als Einzel- oder Gruppentherapie, als Krisenintervention, als Kurz- oder Langzeittherapie, als ambulante oder stationäre Maßnahme erfolgen soll, oder ob eine psychiatrische, neurologische oder pharmakologische Behandlung zu empfehlen wäre.

      Zur Beantwortung dieser Fragen sind weitere Abklärungen erforderlich. Von besonderer Bedeutung für die differentielle Indikation ist es, die »Bereitschaft (des Patienten d. V.) zu einer richtig verstandenen Mitarbeit« (ebd.) einzuschätzen. Die Erkundung der Behandlungsbereitschaft ist eine unerlässliche Vorbereitung einer fundierten Behandlungsempfehlung, insbesondere wenn es um die Indikationsstellung einer psychoanalytischen Behandlung geht. In diesem Fall sollte so weit wie eben möglich eruiert werden, ob und in welchem Ausmaß beim Patienten die Bereitschaft/Fähigkeit vorliegt, sich auf eine konfliktaufdeckende, wenig strukturierte Gesprächsführung einzulassen, ob der Patient zur Betrachtung unbewusster, konflikthafter innerer Strebungen im interaktiven Austausch mit dem Analytiker fähig ist. Anders ausgedrückt: Der Psychoanalytiker sollte sich ein Bild von der ›Übertragungsbereitschaft‹ des Patienten und seiner Fähigkeit verschaffen, eine emotionale Beziehung und eine affektive Kommunikation mit dem Analytiker aufnehmen und nutzen zu können.

      Die Behandlungsbereitschaft eines Patienten wird im Verlauf des Erstinterviews nicht nur erkundet, sie kann auch angeregt, gefördert und motiviert werden. Das diagnostische Interview kann zu diesem Zweck einen probehaften psychotherapeutischen Charakter annehmen (ebd.). In diesem Sinne wird es, nach Argelander, zu einer begrenzten Behandlungserfahrung. Hierbei gilt es, auf die umschriebenen Ziele (Diagnostik, Indikationsstellung, Probatorik) und die Limitierungen des Erstinterview-Settings (50 Minuten, max. sechs Folgegespräche) zu achten und behutsam mit den Begrenzungen umzugehen, die der Patient ggf. durch den Gesprächsauftrag setzt (»Über einen bestimmten Vorfall in meiner Biografie kann ich erst sprechen, wenn ich mich in Therapie befinde und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut habe«). Der Behandler sollte außerdem im Blick behalten, was es für den Patienten bedeutet, wenn er, was die Regel ist, an einen anderen Behandler weitervermittelt wird, oder es gar unklar bleibt ob und wann eine psychotherapeutische Weiterbehandlung stattfindet (Haeberle 2002).

      Unter Beachtung dieser Bedingungen kann der Interviewer zur Untersuchung der Behandlungsbereitschaft eine »kurze Passage echter psychotherapeutischer Widerstandsarbeit« (Argelander 1970, S. 103) einleiten. Dazu nutzt er seine im Gespräch gewonnenen psychodynamischen Einsichten und formt aus diesem Material erste Deutungen und Interventionen (ebd.). Diese können eine besondere Funktion im Erstinterview einnehmen. Im besten Fall ermöglichen sie für den Patienten eine »dosiert zugespielte Teilnahme … am (analytischen d. V.) Erkenntnisprozess als Probeerfahrung« (Argelander 1970, S. 101). Der Analytiker seinerseits kann der Art und Weise, wie der Patient die Intervention aufnimmt, entscheidende Hinweise zur Behandlungsbereitschaft und -eignung entnehmen und wichtige Informationen für die Indikations- und Prognosestellung sammeln.

      Argelander gibt ein Beispiel:

      »Ein Herr, anfangs 60, Jurist in hoher Staatsstellung, kam, um in familiären Angelegenheiten Rat und Hilfe zu erlangen« (Argelander 1970, S. 18). Der Patient wirkt äußerst hölzern, pedantisch, kontrolliert. Mit einer Akte bewaffnet referiert er geflissentlich Befunde und Fragen und wirkt äußerst unergiebig in Hinblick auf psychologisch relevante Zusammenhänge. »Erst nach 25 Minuten ging der Ratsuchende auf seine Familienverhältnisse ein. […] von seiner Frau und den kleinen und teilweise auch schon erwachsenen Kindern gab er kaum mehr als die Personalien an. Nun schwieg er und schaute erwartungsvoll auf den Interviewer. […] Dieser war durch den langen und unergiebigen Sermon etwas verärgert, hatte das Stereotyp des trockenen Juristen diagnostiziert und fragte deshalb bewußt freundlich und milde, ob es denn nicht für Kinder, vor allem für Söhne schwer sei, einen so erfolgreichen und tüchtigen Vater zu haben, man könne ihn kaum erreichen, geschweige denn, ihn etwa überflügeln. […] Das Gegenüber stutzte zunächst nach dieser unerwarteten und scheinbar auch nicht zur Sache gehörigen Bemerkung.